Herbert Leuninger

ARCHIV MIGRATION
1992


CONTRA EINWANDERUNGSGESETZ
DAS AUSLÄNDERGESETZ ALS EINWANDERUNGSRECHT


INHALT
Die Diskussion um ein neues Einwanderungs- gesetz, das sich auf bestimmte Aufnahmekriterien und -quoten stützen will, ist vielleicht überflüssig. Wir haben es in der Bundesrepublik bereits mit einer umfangreichen Einwanderung zu tun, die sich auf verschiedene Migrantengruppen bezieht.

Die Diskussion um ein neues Einwanderungsgesetz, das sich auf bestimmte Aufnahmekriterien und -quoten stützen will, ist vielleicht überflüssig. Wir haben es in der Bundesrepublik bereits mit einer umfangreichen Einwanderung zu tun, die sich auf verschiedene Migrantengruppen bezieht. Da sich die Bundesrepublik aber immer noch nicht als ein faktisches Einwanderungsland versteht, fehlt das rechtliche Instrumentarium, um diese Einwanderung auf möglichst humane Weise zu gestalten.

Ganz im Gegensatz dazu haben wir zum 1.Januar 1991 ein Ausländergesetz erhalten, das sich drei Ziele ge steckt hat:

  • Nur einem begrenzten Kreis der längst ansässig gewordenen nichtdeutschen Arbeitnehmerbevölkerung einen Daueraufenthalt zu gewähren. Damit soll ein für allemal das Kapitel Einwanderung über Anwerbung abgeschlossen werden.
  • Das ökonomisch erwünschte Kommen und Gehen aus dem Dritt-Staaten-Bereich soll (mit zeitlich begrenztem Aufenthalt) erleichtert werden.
  • Die künftige Einwanderung von Ausländern, die nicht aus dem EG-Raum kommen, soll mit allen Mitteln verhindert werden.

Nicht mehr verhindern kann das Ausländergesetz aufgrund der Freizügigkeitsregelungen der Europäischen Gemeinschaft die Einwanderung von Gemeinschaftsbürgerinnen. Hier ist die Wirtschaft das entscheidende Steuerungsinstrument.

Die Einwanderung von Ausländern aus Osteuropa, die sich durch eine Gesetzesinterpretation von Artikel 116 GG auf ihre deutsche Abstammung berufen können, wird durch verschiedene Hinhalte-Prozeduren zeitlich gestreckt. Die insgesamt noch ausstehende Einwanderung dieses Personenkreises wird auf ca. 2 Millionen geschätzt.

Für folgende Migrantengruppen steht eine vernünftige und menschlich vertretbare Regelung ihrer Einwanderung aber noch aus.

1. DIE "ALTE" ARBEITSMIGRATION

Die Bundesregierung hat mit der Anwerbung von Millionen Menschen aus der europäischen Peripherie einen Einwanderungsprozeß ausgelöst, der sich auf eine natürliche Weise für weitere Generationen fortsetzt. Es handelt sich hierbei um einen sogenannten "self-feeding process" d.h. einen Vorgang, der sich aus sich selbst heraus speist. Es genügt hier das Phänomen zu benennen, daß in der Bundesrepublik geborene und aufgewachsene junge Menschen immer wieder Ehepartner aus ihrem Herkunftsland wählen und Verwandte ihren Angehörigen nach Deutschland folgen wollen.

Das Ausländergesetz, das unter die bisherige Einwanderung über die Arbeitsmigration einen Schlußstrich ziehen wollte, hat für das Angebot der Einwanderung nur eine bestimmte Auswahl von Menschen im Blick. Es sind dies solche, die sich wirtschaftlich, sozial und vor allem wohnungsmäßig gut integrieren konnten und von dieser Republik nicht als "Belastung" eingestuft werden. Diese Auswahl ist weder realistisch noch menschlich, weil sie Einwanderung nicht als einen umfassenden kollektiven Prozeß, sondern als individuellen Vorgang begreifen möchte, also als einen Vorgang, der durch nachträgliche Unterscheidung zwischen akzeptierten und abgelehnten Einwanderern korrigierbar ist. Das drastische Beispiel hierfür ist der ständige Versuch, Kriminalität nach einer Strafverbüßung durch Ausweisung zu sanktionieren, In vielen Fällen hat diese Ausweisung aber nicht nur den Charakter einer Doppelstrafe sondern sogar den der Verbannung.

2. DIE "NEUE" ARBEITSMIGRATION

Die Wirtschaft braucht in einem großen Umfang weiterhin Arbeiterinnen aus dem Ausland. Um aber zu verhindern, daß es sich hierbei um potentielle Einwanderlnnen handelt, wurde für sie die Rotation eingeführt, d.h. die Verpflichtung nach einem Zeitraum von höchstens fünf Jahren wieder endgültig in die Heimat zurückzukehren. Für den genannten Zeitraum ist eine Familienzusammenführung ausgeschlossen.

Die Einführung der Rotation, von den Gewerkschaften hingenommen, ist aus menschlichen Gründen nicht hinnehmbar. Die Arbeitsaufnahme müßte in einer Form gestattet werden, daß ein längerer, ja ein dauernder Verbleib in der Bundesrepublik nicht ausgeschlossen ist.

3. DIE "ILLEGALEN'

An der letzten Gruppe kann festgemacht werden, daß nicht auf die Wirklichkeit und die menschlichen Interessen bezogenes Recht "Illegalität“ mit sich bringt. Denn es ist ziemlich unwahrscheinlich, daß Menschen, die einen Arbeitsplatz haben und in ihrer Heimat für einen solchen keine Chance besitzen, mit allen Mitteln versuchen, in der Bundesrepublik zu bleiben. Zu ihnen kommen illegal beschäftigte Menschen in einer Größenordnung hinzu, die in die Hunderttausende gehen dürfte. Sie werden zumeist ohne jeglichen Versicherungsschutz und unter unmenschlichen Bedingungen ausgebeutet, vielleicht fristen sie auch durch die Unterstützung von Verwandten und Freunden ein erbärmliches Dasein, wenn sie sich nicht zu Schlimmerem verführt fühlen.

Zur Gruppe der "Illegalen" gehören auch rechtskräftig abgelehnte Flüchtlinge, die sich der Abschiebung entziehen.

Wie groß schließlich der Kreis derer ist, die nach vielen Jahren der Abwesenheit wegen eines sehr restriktiven Ausländergesetzes keine Verlängerung ihrer Aufenthaltsgenehmigung erhalten, ist überhaupt nicht zu beziffern.

Um all diesen Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus eine vernünftige Lebensplanung zu ermöglichen, wäre eine großzügige Legalisierung erforderlich. Diese müßte ggfs. alle 7-10 Jahre wiederholt werden.

4. DIE "GEDULDETEN FLÜCHTLINGE

Die Flucht von Hunderttausenden. Menschen nach Deutschland führt zu einer weiteren Form der Einwanderung. Auch wenn nur ein geringer Teil nach Artikel 16 GG als asylberechtigt anerkannt wird, verbleibt der größere Teil, zumeist nur geduldet, in der Bundesrepublik. Die Ausweisung dieser Menschen wird ausgesetzt, weil eine Rückkehr in ihre Heimat mit Gefahr für Leib und Leben verbunden ist. Da fast alle Krisen in den Herkunftsländern sich über viele Jahre hinziehen, kommt es auch für diesen Personenkreis, vor allem, wenn es sich um Familien handelt, zu einer faktischen Einwanderung.

Faßt man die hier nur kurz skizzierten Einwanderungsgruppen zusammen, dann ergibt sich allein durch sie ein großes Einwanderungspotential, dem nur eins fehlt, nämlich die rechtliche Akzeptanz. Mit dem Ende dieses Jahres steht eine Überprüfung des Ausländergesetzes an. Wenn es der faktischen Einwanderung Rechnung trüge, wäre eine eigenes Einwanderungsgesetz vorläufig oder sogar auf Dauer überflüssig.

veröffentlicht in:
wir aktuell, Informationen des FORUM WIR e.V.
Nr. 3/1992, S. 14-15