Herbert Leuninger ARCHIV MIGRATION
1984

GESELLSCHAFTLICHE GRUPPEN IN DER BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND
Ihre Vorstellungen vom Zusammenleben der deutschen und türkischen Bevölkerung

Referat auf dem Presseseminar des Bundespresseamtes "Deutschlandbild und Türkeibild in den Medien - eine historische und soziologische Untersuchung des Entstehens und der Tradierung von Klischeebildern und Vorurteilen" in der Woche vom 7. - 11. Mai 1984 Ankara/Türkei


INHALT

  1. Einleitung: Bereicherung durch die Fremden
  2. Die allgemeine Meinung über die Arbeitsmigranten in der Wirtschaftskrise Internationale Erfahrungen und Erklärungen
  3. Das Meinungsbild unter den gesellschaftlichen Gruppen in der Bundesrepublik Deutschland
    3.1 Die Arbeitgeber
    3.2 Die Gewerkschaften
    3.3 Gewerkschaft und Kirche
    3.4 Die Kirchen
    3.5 Die Wohlfahrtsverbände
    3.6 Freiwillige Initiativen
  4. Ausblick

1. Einleitung: Bereicherung durch die Fremden

Ein einmaliger Vorgang! Die türkische Regierung ordnet ein Staatsbegräbnis für einen "Gastarbeiter" an, für einen Flüchtling, einen Deutschen, den Arzt und Internisten Erich Frank. Dieser Wissenschaftler war vor Hitler geflohen, hatte in der Türkei Asyl gefunden, sich offensichtlich in langen Jahren um den Ausbau des türkischen Gesundheitswesens verdient gemacht und war 1957 als türkischer Staatsbürger verstorben. Welche Ehrung und Hochachtung, welche Anerkennung durch eine dankbare Nation, die Hilfe zu gewähren und Hilfe anzunehmen und zu respektieren verstand. (2)

Ob ein türkischer Gastarbeiter jemals eine solche Ehrung in der Bundesrepublik Deutschland erfahren könnte? Ob, allgemeiner gefragt, der großen Aufbauleistung der türkischen Arbeitsmigranten in Deutschland jemals ein Denkmal gesetzt wird ?

Noch gehört es zum Alltagsgeschäft der Luftfracht auf dem Frankfurter Flughafen, die Särge der in der Bundesrepublik verstorbenen oder verunglückten türkischen Menschen in die Türkei zu fliegen. Verständlicherweise möchten die Angehörigen ihre Toten in der Heimat bestatten und bringen hierfür größte finanzielle Opfer. Die Bundesrepublik Deutschland ist für sie noch lange nicht das Land, in dem man Mitglieder der Familien oder auch enge Freunde bestattet; es kann es vielleicht auch noch nicht sein, solange sich eine abweisende Stimmung in Witzen niederschIägt, bei denen in absteigender Linie vom deutschen über den jüdischen Menschen, dem türkischen ein ehrloses Begräbnis zugedacht wird.

Dem steht sicher entgegen, daß der Bundespräsident türkischen Migranten für besondere Verdienste einen Orden verliehen hat, was durchaus exemplarisch zu verstehen war. Dennoch ist nicht davon auszugehen, daß in absehbarer Zeit für einen türkischen Toten ein ähnlicher Staatsakt erwogen wird wie für den deutschen Professor in der Türkei. Gleichwohl schließe ich es nicht für alle Zeiten aus. Es setzt voraus, daß es zu einer Wende im Verhältnis zwischen deutschen und türkischen Menschen kommt, und daß es selbstverständlich wird, daß hier angesiedelte Menschen aus der Türkei auch in Deutschland begraben werden, mit allen Ehren begraben werden. Ich stütze diese vielleicht etwas ungewöhnliche Prognose auf die Überzeugung, daß gerade der auf Dauer in der Bundesrepublik lebende Teil der türkischen Bevölkerung eine sehr dynamische und aufstrebende Minderheit ist, die mit vielseitigen und sicher auch ungewöhnlichen Begabungen Deutschland - nicht zuletzt kulturell und wissenschaftlich - bereichern kann und wird. Ich sehe mich in dieser Auffassung bestätigt durch eine Konferenz des Europarates, die im vergangenen Jahr in der Bundesrepublik (Bremen) stattgefunden und die sich ausführlich mit der "Bereicherung der Kultur durch Bevölkerungsgruppen ausländischer Herkunft" befaßt hat (3).

2 Die allgemeine Meinung über die Arbeitsmigranten in der Wirtschaftskrise
Internationale Erfahrungen und Erklärungen

Aber nicht, noch nicht unter dem Gesichtspunkt der Bereicherung, sondern nahezu ausschließlich unter dem der Belastung, ja Bedrohung wird die öffentliche Diskussion in den Ländern geführt, in denen Arbeitsmigranten und ihre Familien in größerer Zahl !eben. Dies ist mittlerweile sogar Anlass zu besorgten internationalen Stellungnahmen.

So hat die Parlamentarische Versammlung des Europarates, dessen Statut am 5. Mai vor 45 Jahren verabschiedet wurde, und in dem die Türkei noch vor der Bundesrepublik Deutschland Mitglied war, im September des vergangenen Jahres eine dramatische Entwicklung der Fremdenfeindlichkeit vor allem in den Aufnahmeländern von Arbeitsmigranten beklagt und in einer einstimmig verabschiedeten Entschließung die betroffenen Mitgliedstaaten zu einer Serie von Gegenmaßnahmen aufgefordert (4). Dies hat im Oktober desselben Jahres die 2. Konferenz der Europäischen Minister für Wanderungsfragen des Europa-Rates aufgegriffen, insofern sich die Minister besorgt über das Unverständnis und die Intoleranz gegenüber Arbeitsmigranten geäußert und Wert darauf gelegt haben, eine solche Haltung als unzulässig und =gerechtfertigt zu verurteilen (5).

Nach Auffassung des Europa-Rates haben sich die ausländerfeindlichen Haltungen und Bewegungen durch die Zunahme der Arbeitslosigkeit, die auf die wirtschaftliche Rezession in den meisten Mitgliedsländern zurückzuführen ist, erheblich verschärft. Die Empfehlung benennt die klassischen Vorurteile, die ein fremdenfeindliches Klima verschärfen. In wirtschaftlicher Hinsicht ist es die Behauptung, die ausländischen Arbeitnehmer beanspruchten Arbeitsplätze, die den Einheimischen zur Verfügung stehen könnten. In sozialer Hinsicht werde behauptet, ausländische Arbeitnehmer und ihre Familien kamen in den Genuß von Sozialleistungen, die von der einheimischen Bevölkerung finanziert würden, auch nähmen sie Wohnraum in Anspruch, der den Einheimischen zur Verfügung gestellt werden könnte. Unter moralischem Aspekt würden die ausländischen Arbeitnehmer für die Zunahme von Gewalt und Kriminalität verantwortlich gemacht. Ihre Kinder schließlich behinderten den normalen Lernerfolg der von diesen besuchten Schulklassen.

Der Europarat hält diese Beschuldigungen für unfair, weil sie die Faktoren, die die Lage der Arbeitsmigranten bestimmen, und die im Europäischen Übereinkommen über die Rechtsstellung des Wanderarbeitnehmers definierten Rechte außer acht ließen. Der politische Mißbrauch von Vorurteilen wird insofern gerügt, als der Europa-Rat feststellt, daß die genannten Beschuldigungen manchmal aus wahltaktischen Gründen auf Kosten der elementarsten Achtung der Menschenrechte ausgenutzt würden.

Weitere internationale Stellungnahme zur Lage der Arbeitsmigranten und ihrer Familien in der gegenwärtigen Krise liegen vor:

in einer Entschließung des Europäischen Parlaments vom 18-11.1983 in dem sich das Parlament beunruhigt zeigt über die Zunahme des Rassismus in allen Ländern der Gemeinschaft und die Auffassung vertritt, "daß die Wirtschaftskrise das Problem einer einseitigen Abwälzung der sozio-ökonomischen Probleme auf die schwächsten Zuwanderergruppen mit sich bringt, und daß dabei rassistische Tendenzen zum Vorschein kommen, die energisch bekämpft werden müssen" (6) .

Der Europäische Gewerkschaftsbund beabsichtigt, eine Kampagne gegen Fremdenhass und Manifestationen von Rassismus durchzuführen und ggfs. über seine Mitgliedsbünde und deren Initiativen Verbände und Gruppierungen hinzuziehen, die sich für die Menschenrechte einsetzen und die gegen ein Wiederaufleben des Rassismus einerseits und die Versuchung, ethnische Minoritäten zu isolieren, andererseits, kämpfen (7).

International noch weitgehender ist eine Stellungnahme des Oberhauptes der Katholischen Kirche, Papst Johannes Pauls Il, zum letztjährigen weltweiten "Tag des ausländischen Mitbürgers", in dem er die Erscheinungen der Xenophobie nicht nur im Widerspruch zum christlichen Glauben, sondern auch zum Geist der Universalität stehen sieht. Es genüge allerdings nicht, die fremdenfeindliche Haltung zu brandmarken und zu bekämpfen, es müsse die Brüderlichkeit in positivem Sinne aufgebaut werden (8).

Die eindrucksvollen internationalen Stellungnahmen zur Lage der Arbeitsmigranten und ihrer Familien in den Aufnahmeländern stellen diese Länder, vor allem auch die Bundesrepublik Deutschland, vor große Aufgaben. Diese können ohne die positive Mitwirkung der verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen und ohne Einbeziehung der Migrantenbevölkerung nicht gelöst werden.

Die Parlamentarische Versammlung des Europarates hat in ihrer Resolution betreffend ausländerfeindlicher Handlungen und Bewegungen in den Mitgliedsstaaten gegenüber Arbeitsmigranten den Herkunftsländern wie den Aufnahmeländern eine Mitverantwortung für die aufgetretenen Schwierigkeiten gegeben und zur Überwindung der Ausländerfeindlichkeit dem Ministerkomitee empfohlen, die Regierungen der Mitgliedsstaaten zu den verschiedensten Maßnahmen aufzufordern. So sollen diese die Verständigung zwischen den Staatsangehörigen der Aufnahmeländer und den ausländischen Arbeitnehmern fördern; dies vor allem dadurch, daß eine von den Massenmedien, Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden getragene objektive Aufklärungskampagne durchgeführt wird. Aufgeklärt werden soll dabei über die Faktoren, die die Auswanderung bestimmen, die Vorurteile und Irrtümer in den gegen ausländische Arbeitnehmer vorgebrachten Beschuldigungen, ihren Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung in der Vergangenheit, ihre stützende Rolle in der derzeitigen Wirtschaftslage und ihren demographischen „Beitrag zur Generationserneuerung" (9).

3 Das Meinungsbild unter den gesellschaftlichen Gruppen in der Bundesrepublik Deutschland

3.1 Die Arbeitgeber

Für die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände ist die Zusammenarbeit von Deutschen und Ausländern im Betrieb weitgehend unproblematisch. Hier habe sich die Eingliederung im allgemeinen reibungslos vollzogen. Ausländer seien am Arbeitsplatz als gleichwertige Partner akzeptiert, von denen nicht wenige beruflich aufgestiegen seien. Diese positive Entwicklung in der Arbeitswelt führt der Bundesverband nicht zuletzt darauf zurück, daß die Arbeitgeber sich im betrieblichen Bereich stets für gegenseitiges Verständnis und für Toleranz eingesetzt und vielfältige Integrationshilfen zur Verfügung gestellt hätten (10).

Einen besonderen künftigen Schwerpunkt möchten die Arbeitgeber im Bereich der beruflichen Ausbildung jugendlicher Ausländer setzen. Dabei geben die Arbeitgeber davon aus, daß es in Zukunft eine ausreichende Zahl von Ausbildungsplätzen auch für ausländische Jugendliche geben wird. Vor dem Hintergrund des in Zukunft drohenden Facharbeitermangels werde der Qualifikation dieses Personenkreises besondere Beachtung geschenkt werden müssen.

Im Unterschied zum betrieblichen Bereich drohe in gesellschaftlichen Bereich jedoch die früher freundliche, zumindest aber neutrale Haltung der Deutschen gegenüber den Ausländern umzuschlagen. Die Arbeitgeberverbände verweisen darauf, daß die größte Ausländergruppe und die Hälfte des Zuwachses in den letzten Jahren von den Türken gestellt werden. Mentalitätsunterschiede und andersartige kulturelle Herkunft erschwerten die Verständigung. Im Hinblick auf ein mögliches Anwachsen der ausländischen Bevölkerung geht auch die Wirtschaft davon aus, daß die Grenzen der Aufnahmefähigkeit für Ausländer erreicht seien. Deshalb müßten eine konsequente Begrenzung des weiteren Zuzugs und eine möglichst wirkungsvolle Rückführung von Auslindern Hauptanliegen der Ausländerpolitik sein. Hilfen zur besseren gesellschaftlichen Eingliederung von Ausländern, die hierbleiben wollen, seien ebenfalls wichtig.

3.2 Die Gewerkschaften

Von Anfang an haben sich die Gewerkschaften in der Bundesrepublik für eine arbeits- und sozialrechtliche Gleichstellung der Arbeitsmigranten eingesetzt. Dies sollte ihre Verwendung als Lohndrücker verhindern, war gleichzeitig aber auch der Ausdruck einer gewerkschaftlichen Grundeinstellung der internationalen Solidarität aller Arbeiter. Interessanterweise nahmen anfangs die Aufnahmescheine zur Mitgliedschaft in der Metallgewerkschaft, der größten Einzelgewerkschaft der Welt, keine Unterscheidungen nach Nationalitäten vor. Der Deutsche Gewerkschaftsbund und die in ihm vereinigten Gewerkschaften sind die Interessenvertretung aller Arbeitnehmer in der Bundesrepublik Deutschland, sowohl der deutschen als auch der ausländischen. Dies betont eine Erklärung des DGB-Bundesvorstandes zur Ausländerpolitik vom September 1983. Es wird auf die solidarische Verbundenheit des Deutschen Gewerkschaftsbundes mit den ausländischen Arbeitnehmern und ihren Familien verwiesen, wie sie sich auch in seinem Grundsatzprogramm von 1981 niederschlägt. Danach setzt sich der Deutsche Gewerkschaftsbund gemeinsam mit den ausländischen Arbeitnehmern für die Beseitigung ihrer besonderen wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Benachteiligung ein mit dem Ziel, ihre Gleichberechtigung zu verwirklichen.

Intensiver Gewerkschaftsarbeit ist es zu verdanken, daß sich der gewerkschaftliche Organisationsgrad der Arbeitsmigranten immer mehr gesteigert hat. Hierbei nehmen die türkischen Arbeiter eine besondere Stellung ein. 1977 erreichten die Arbeiterinnen und Arbeiter aus der Türkei einen Organisationsgrad von 46 %. Damit liegen sie vor den Spaniern, Griechen und Portugiesen. Die im Bergbau beschäftigten Arbeiter aus der Türkei sind sogar zu annähernd 100 % organisiert. Mehr als die Hälfte aller ausländischen Gewerkschaftsmitglieder sind Mitglieder der Industriegewerkschaft Metall. 1981 sind nahezu 60% der infrage kommenden ausländischen Arbeiter in dieser Gewerkschaft organisiert (11).

Daher ist es höchst verständlich, wenn die DGB-Spitze es für ungerecht hält, den ausländischen Arbeitnehmern mangelnde Integrationsbereitschaft vorzuwerfen, erst recht solange wie die Gesellschaft ihnen hierfür wesentliche Möglichkeiten vorenthält. Das unzureichende Angebot an familiengerechten Wohnungen, die immer noch fehlenden personellen Voraussetzungen für die Erziehung und Bildung ausländische Kinder und Jugendlicher, die Benachteiligungen auf dem Arbeitsmarkt, die geringen politischen Mitwirkungsmöglichkeiten und die Hürden bei der Familienzusammenführung stellten nach Auffassung des DGB ausländische Arbeitnehmer vor individuell nicht lösbare Probleme und erschwerten den Integrationsprozess auf beiden Seiten. Ausdrücklich wehren sich die Gewerkschaften gegen Versuche, bestimmten Ausländergruppen - gemeint sind wohl die Türken, - den Willen und die Fähigkeit zur Integration abzusprechen. Dies würde der Willkür Vorschub leisten, Betroffene zu Schuldigen machen und sozial Benachteiligte zusätzlich treffen. Die Schwierigkeiten bestimmter Ausländergruppen bei der Integration seien, wie eben schon gesagt, darauf zurückzuführen, daß das Integrationsangebot der Gesellschaft nicht differenziert genug und für sozial Benachteiligte nicht ausreichend ist.

Bis vor kurzem ist man bei Arbeitgebern, Gewerkschaften und auch in der Gesellschaft davon ausgegangen, daß die Integration im Betrieb im wesentlichen gelungen ist, daß eine ähnliche Integration in der Gesellschaft aber weitgehend noch Aufgabe ist. Mittlerweile hat sich das Klima aber auch in den Betrieben geändert. Der Leiter der Abteilung ausländische Arbeitnehmer beim DGB-Bundesvorstand, Karl-Heinz Goebels, erwähnt eine Umfrage unter den deutschen Bürgern im Frühjahr '82, nach der die Hauptsorge der deutschen Bundesbürger der Arbeitsplatz darstellt (12). 46% der Bundesbürger haben Angst um ihren Arbeitsplatz. Nach einer anderen Umfrage hätten 40% der Befragten die Befürchtung, daß die Türken ihnen die Arbeitsplätze wegnehmen. In der unteren Schicht seien es sogar 53%. Einen Widerspruch sieht der DGB-Funktionär darin, daß gerade in dieser Schicht 58% einräumen, daß die Türken meistens Arbeiten verrichten, die die Deutschen gar nicht mehr machen wollen. (Goebels weiß davon zu berichten, wie leichtfertig auch in Betrieben dahergeredet wird. Die Ursachen der Arbeitslosigkeit seien oft nicht klar. Mit der Angst im Nacken suche man nach Ursachen und höre dann auf das, was Berufene und Unberufene sagten. Allerdings sei bei der Angst, daß man verdrängt werden könne, nicht der einzelne ausländische Kollege gemeint. Zwar würden in Diskussionen sehr leichtfertig die Ausländer für die Arbeitslosigkeit verantwortlich gemacht, und man plappere nach, es müßte die Zahl verringert oder begrenzt werden, oder wir müßten die Bundesrepublik vor Überlastungen schützen. Aber man meine nicht den Kollegen im Betrieb.)

Goebels erwähnt, wie ausländische Kollegen bei vielen Aktivitäten mit den Deutschen Seite an Seite gestanden hätten, wie sie gemeinsam für gemeinsame Interessen gekämpft, gemeinsame Urabstimmungen und Streiks durchgeführt hätten. Fast 800.000 ausländische Arbeitnehmer seien gewerkschaftlich organisiert. Auch hier werden die Türken herausgehoben als die, die mit fast 50% am besten organisiert seien. Dieser Organisationsgrad, aber auch die Mitarbeit in Betriebsräten sind für die Gewerkschaften ein Zeichen zunehmender Integration und auch Solidarisierung.

"Unser Problem", so wörtlich, "sind demzufolge nicht die Ausländer, sondern unser Problem ist die Arbeitslosigkeit. Das ist ein Problem der Gesellschaft und dieses Problem muß insgesamt gelöst werden". So heißt es auch in der Erklärung des DGB-Bundesvorstandes: „Die jetzt aufgrund der Beschäftigungslage zunehmenden Probleme sind in erster Linie Probleme der Gesellschaft und müssen auch von ihr gelöst werden. Sie können nicht nur einem Teil der Gesellschaft, nämlich den ausländischen Arbeitnehmern, angelastet werden" (13).

Mit diesen knappen Einblicken in die gewerkschaftliche Situation wird eine Strategie deutlich, die sich von den herrschenden Tendenzen in der Gesellschaft absetzt und ein solidarisches fremdenfreundliches Meinungsbild zu erreichen sucht. Entscheidend dabei ist, daß die Gewerkschaften es von ihrem Grundverständnis aus nicht zulassen können, daß eine bestimmte Gruppe der Arbeiter unter nationalen oder sogar rassischen Gesichtspunkten ausgesondert wird.

3.3 Gewerkschaft und Kirche

Siegfried Bleicher, Mitglied des geschäftsführenden DGB-Bundesvorstandes sieht einer an vielen Orten aufflackernden Ausländerfeindlichkeit eine Bewegung sich entgegenstellen, die aus gewerkschaftlicher Solidarität oder christlichem Humanismus heraus die Aufgabe wahrnimmt, Ausländerfeindlichkeit auf breiter Flur zu verhindern. Er wertet es als besonders bemerkenswert und positiv, daß fast alle verantwortlichen gesellschaftlichen Organisationen in der Ausländerarbeit und der Ausländerpolitik an einem Strang ziehen. Besonders die christlichen Kirchen und die Gewerkschaften könnten politische und gesellschaftliche Identität bei der Behandlung des Ausländerthemas feststellen.

Diese nicht selbstverständliche, aber notwendige und wichtige Gemeinsamkeit stellt der Gewerkschaftsführer auf einer gemeinsamen großen Veranstaltung der Kirchen und der Gewerkschaften in Frankfurt heraus, in der es um eine gemeinsame Strategie zur Überwindung der Fremdenfeindlichkeit und zu einem besseren Klima des Zusammenlebens geht. Schon zuvor hatten Kirchen und Gewerkschaften in einem Flugblatt das in Massenauflagen über die ganze Bundesrepublik gestreut wurde, gegen nationalistische und rassistische Parolen, wie sie sich vor allem auch gegen die türkische Bevölkerung richten, gewandt und alle verantwortlich denkenden Deutschen aufgerufen, einem von neuem erwachenden deutschen Nationalismus zu widerstehen (15). Veranstaltung und Flugblatt waren Teil einer kirchlichen Initiative, die von den Gewerkschaften mitgetragen wurdet, und bei der es darum ging, über eine sogenannte "Woche der ausländischen Mitbürger" möglichst breite Mitgliederkreise in den Kirchen, in den Gewerkschaften, aber auch die Öffentlichkeit unter dem Motto zu mobilisieren, "Ängste überwinden - zur Nachbarschaft finden". Das in zehntausend Exemplaren verbreitete Plakat zu dieser Woche zeigt eine türkische Familie aus der Nähe von Frankfurt. Der Grafiker hatte diese Familie ausgewählt, um auf ihr Schicksal aufmerksam zu machen. Der Vater hatte über Jahre legal in der Bundesrepublik gearbeitet, war aber im Rahmen einer Reintegrationsförderung mit seiner Familie in die Türkei zurückgekehrt, ohne die erhoffte wirtschaftliche Basis schaffen zu können. Daraufhin kehrte er mit seiner Familie wieder in die Bundesrepublik zurück, lebte aber dort ohne den Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis. Mittlerweile war die Frau an Krebs erkrankt. Ihr Tod stand kurz bevor. Nur der Intervention höchster kirchlicher Kreise war es zu verdanken, daß die Familie bleiben konnte. Inzwischen ist die Mutter verstorben und zur Beerdigung in die Heimat überführt morden.

3.4 Die Kirchen

An dieser Stelle wird eine Funktion deutlich, die die Kirchen in der Bundesrepublik übernommen haben, nämlich Anmalt zu sein für die Arbeitsmigranten und ihre Familien. Das bezieht sich nicht nur auf den eben erwähnten dramatischen Einzelfall sondern auf die gesamte Lebenssituation der Migrantenfamilien. Seit Jahren versuchen die Kirchen dazu beizutragen, daß den eingewanderten Minderheiten ein Höchstmaß an Rechtssicherheit gewährleistet wird. Dabei machen sie prinzipiell weder einen Unterschied zwischen Christen noch zwischen den Nationalitäten.

Ausdrücklich heißt es in einer Erklärung des obersten Repräsentanten der katholischen Kirche in der Bundesrepublik, Kardinal Höffner (1982) daß sich die Kirche von ihrem Auftrag her, vor allem der Fremden und Bedrängten annehmen wird und als Anwalt und Verteidiger ihrer Rechte auftritt. Dabei umfasse der soziale Dienst der Kirche alle Fremden und Bedrängten ohne Ausnahme und Unterschied von Herkunft und Religion auch die türkische Bevölkerung (16). In Einheit mit dem Papst, der gesamten Kirche und den Europäischen Bischofskonferenzen erhebt der Kardinal namens der deutschen Bischöfe die Forderung nach dem uneingeschränkte Recht der Ehegatten, Eltern und Kinder auf Zusammenleben, Der Kirchenführer sieht einen Stimmungswandel gegenüber den ausländischen Arbeitnehmern und ihren Familien, der sich in Fremdenangst und sogar in Fremdenhaß äußert. In Politik und Verwaltung hätten die wirtschaftlichen Schwierigkeiten sich in einschränkenden und abwehrenden Maßnahmen den Ausländern gegenüber niedergeschlagen. Verständliche Sorgen um die wirtschaftliche Zukunft und tiefsitzende Ängste um die eigene und nationale Identität würden - wie in der Geschichte so oft - auf die "Fremden" übertragen. Der Bischof gesteht ein, daß die Unruhe in der Gesellschaft, die sich als Fremdenangst und Fremdenabwehr äußert, auch vor der Kirche nicht Halt mache, so daß auch ein Wort in die Kirche hinein angezeigt ist, die er verpflichtet, an der Überwindung vorhandener Ängste, vor allem in Wohnbereichen mit einem hohen Anteil an nichtdeutscher Bevölkerung, mitzuwirken.

Die Anwesenheit der türkischen Bevölkerung ist für die Kirche auch die Anwesenheit von Muslimen, also Menschen eines anderen Glaubens. in einer Stellungnahme des Sekretärs der Deutschen Bischofskonferenz (1982) wird festgestellt, es sei unschwer abzusehen, daß muslimische Bevölkerungsgruppen auf Dauer zum gesellschaftlichen, kulturellen und religiösen Erscheinungsbild in der Bundesrepublik Deutschland gehörten (17). Aus dieser Tatsache ergeben sich nicht nur für Gesellschaft und Staat Probleme spezifischer Art, auch die Kirche sehe sich in ihrer Sorge einer großen Herausforderung gegenübergestellt. Dabei muß die Kirche mit dafür sorgen, daß sich ein Klima der Fremdenfeindlichkeit nicht ausbreiten kann. Auf der Grundlage ihres christlichen Menschenbildes tritt sie dafür ein, daß kulturelle Minderheiten jenen Freiraum erhalten, der eine menschenwürdige Entfaltung in Freiheit gewährleistet.

Wo es hilfreich ist, wird die Kirche all ihre sozialen Dienste und Einrichtungen den Muslimen öffnen. Hierzu zählen insbesondere die Krankenhäuser, die Einrichtungen der Jugendhilfe, der Jugendarbeit und Erwachsenenbildung. Dahinter steht der Anspruch des christlichen Glaubens, der verpflichtet, allen Menschen - ohne Unterschied ihrer Herkunft und ihres Glaubens - die erforderlichen Hilfen und den notwendig, Beistand zu gewähren. Eine besondere Problematik sieht die katholische Kirche dann gegeben, wenn es um die kirchlichen Erziehungs- und Bildungseinrichtungen gerade auch um Kindergärten geht, die aus ihrem katholischen Erziehungsauftrag- und Verständnis heraus wirken. Hierbei wird festgestellt, daß dieser Einrichtungen auch für muslimische Kinder und Jugendliche dann offenstehen, wenn der katholische Erziehungsauftrag gewährleistet bleibt und die Eltern mit der christlichen Erziehungseinrichtung einverstanden sind. Besondere Schwierigkeiten sieht die katholische Kirche auch bei Ehen zwischen Christen und Muslimen wegen des unterschiedlichen Eherechtes. In diesem ganzen Bereich geht es aber der Kirche darum, einen Prozess des gegenseitigen Verständnisses, des Rücksichtnehmens und des Akzeptierens einzuleiten. Dazu bietet die Kirche ihre Hilfe an. Dabei erhofft sie sich eine ähnliche Einstellung gegenüber den Christen in der Türkei.

Auch die andere der beiden großen Kirchen in der Bundesrepublik hat sich mit Erklärungen und Stellungnahmen in der Öffentlichkeit für die Anliegen der ausländischen Bevölkerung verwandt.

Die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland, das oberste Gremium dieser Kirche, hat sich im November des vergangenen Jahres dafür eingesetzt, daß die vorgesehene Reform des Ausländergesetzes eine Verfestigung des Aufenthaltsrechts für langjährig hier lebende Ausländer, sowie ihre hier aufgewachsenen Kinder zum Ziel haben solle (18). Wer nach längerem Aufenthalt den Mittelpunkt seines Lebens in Deutschland gefunden habe, müsse von Angst befreit sein, gegen seinen Willen ausgewiesen zu werden. Es gehöre zu den grundlegenden Rechten eines Menschen mit seinem Ehegatten und seinen minderjährigen Kindern zusammenzuleben. Deshalb dürfe die Familienzusammenführung nicht eingeschränkt werden.

Gleichzeitig dankt die Synode den vielen Kirchengemeinden, die sich in der "Woche der ausländischen Mitbürger" für eine gute Nachbarschaft mit Ausländern eingesetzt haben. Dabei habe sich die Zusammenarbeit der Gemeinden verschiedenster christlicher Konfessionen und auch die mit verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen bewährt. Nach Auffassung der evangelischen Kirche ist gute Nachbarschaft mit Ausländern ein wichtiger Beitrag zum Zusammenwachsen in Europa und zur Verwirklichung des Friedens.

Noch grundsätzlicher und weiterführender als die katholische Kirche hat sich die evangelische zur Erziehung und Bildung muslimischer Kinder und Jugendlicher geäußert (19). Auch hier wird betont, daß die Anwesenheit größerer muslimischer Bevölkerungsgruppen für diese selbst und für die deutsche Gesellschaft tiefgreifende Probleme und Aufgaben mit sich bringe. Menschen, die aus ganz unterschiedlichen Traditionen und Werten leben, müssen lernen einander anzunehmen und miteinander in einer Gesellschaft zusammenzuleben. Dabei setzt sich die evangelische Kirche für die Wahrung und Verwirklichung der Rechte auch solcher Mitbürger ein, die ihr nicht angehören. Zu diesen Rechten gehört die Glaubens- und Gewissensfreiheit, die eine ungestörte Religionsausübung einschließt. Erziehung und Bildung im Sinne des Grundgesetzes müßten auch das kulturelle und religiöse Erbe der muslimischen Kinder und Jugendlichen ernst nehmen und zugleich gegenseitiges Verständnis und ein Zusammenleben im Geist der Achtung voreinander fördern. Aus evangelischer Sicht wird diese Aufgabe in der Regel eine gemeinsame Erziehung in Bildungseinrichtungen und Schulen am ehesten gerecht.

Auch evangelische Kindergärten nehmen ausländische und muslimische Kinder auf. Sie bleiben dabei ihrem christlichen Erziehungsauftrag verpflichtet, wollen aber nicht, daß Kinder mit anderer kultureller Prägung und religiöser Zugehörigkeit ihrem Elternhaus entfremdet werden,

Bedeutsam und erstmals in die öffentliche Diskussion eingeführt ist die Zielvorstellung, nach der allen Schülern das geschichtliche, geistige und kulturelle Erbe Europas vermittelt werden soll. Dabei müsse auch auf die kulturelle Tradition der muslimischen Schüler in angemessener Weise eingegangen werden. Lehrpläne und Schulbücher sollten ein differenziertes Bild des Islam, seiner Geschichte und seiner Lebensformen bieten. Die evangelische Kirche verspricht sich davon, daß die Schule mithelfen kann, geschichtlich gewachsene Spannungen zwischen der christlichen und der islamischen Welt aufzuarbeiten; um einen Beitrag zu leisten, daß Christen und Muslime lernen, in einer Gesellschaft miteinander zu leben. Kirchlicherseits ist man sich aufgrund historischer Erfahrung durchaus bewußt, daß die Eingliederung ethnischer, kultureller und religiöser Minderheiten ein Prozess ist, der mehrere Generationen lang Zeit braucht und keineswegs immer gelingt.

3.5 Die Wohlfahrtsverbände

Eine bedeutsame Rolle für die Belange der nichtdeutschen, gerade auch der türkischen Bevölkerung und für ein besseres Zusammenleben der verschiedenen Nationalitäten In der Bundesrepublik spielen seit mehr als zwei Jahrzehnten die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege. Über das Angebot ihrer für die ganze Bevölkerung zur Verfügung stehenden Dienste und Einrichtungen hinaus haben sie mehr als 600 besondere Beratungsdienste für die Arbeitsmigranten und ihre Familien organisiert. In dieser Arbeit wurden sie von den Regierungen von Bund und Lindern finanziell gefördert.

Zwar gibt es in der weltanschaulich pluralistischen Landschaft dieser Vorbände keine offizielle fur die Betreuung einzelner Nationalitäten, es haben sich aber in der Entwicklung der genannten Sozialdienste und im Laufe der Zuwanderung Schwerpunkte ergeben, wobei der "Bundesverband der Arbeiterwohlfahrt" mit seinen Untergliederungen vorrangig die Sozialdienste für die türkische Bevölkerung anbietet und auch deren Anliegen in besonderer Weise in der Öffentlichkeit vertritt.

Die Arbeiterwohlfahrt setzt sich - ähnlich wie die anderen Wohlfahrtsverbände - dafür ein, daß alle ausländischen Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen die Chance haben, in freier Selbstentfaltung in unserer Gesellschaft zu leben und in sie hineinzuwachsen (20). Integration darf nicht auf das Arbeitsleben beschränkt bleiben, sondern zielt auf die rechtliche Gleichstellung und die volle gesellschaftliche Eingliederung in alle Lebensbereiche. Die verschiedenen sozialen Dienste von der Einzelarbeit über die Gruppenarbeit bis zur Gemeinwesenarbeit sind auf die Gesamtheit der ausländischen bzw. türkischen Bevölkerung ausgerichtet und umfassen alle sozialen Probleme und Bedürfnisse. Immer stärker tritt inzwischen auch das Bemühen in den Vordergrund, in den gemeinsamen Wohngebieten und Stadtteilen die Beziehung der deutschen und türkischen Bevölkerung durch Pflege der Nachbarschaft und durch Förderung der gemeinsamen Interessen zu verbessern.

Des Diakonische Werk der Evangelischen Kirche in Deutschland hat seit 20 Jahren in erster Linie die griechischen Arbeitnehmer beraten. Inzwischen sind aber auch andere Nationalitätengruppen dazu gekommen. Zurzeit stellen die türkischen Arbeitnehmer und ihre Familien die stärkste Gruppe. Dies führt auch dazu, daß die Kirchengemeinden und die örtlichen Einrichtungen dieses Wohlfahrtsverbandes, in deren Bereich Türken loben, in verstärktem Maße nach Lösungen suchen und dabei neue, multinationale Angebote entwickeln. Dies trifft nicht nur - wie schon gesagt- auf Kindergärten, sondern auch auf Hausaufgabenhelfergruppen, auf Schulen, Jugendgruppen, Freizeitheime, Krankenhäuser usw. zu.

Einen besonderen Akzent hat das Diakonische Werk in seiner Öffentlichkeitsarbeit gesetzt, um einerseits die Ausländerpolitik im Sinne der Verbesserung der Rechte für die Arbeitsmigranten zu beeinflussen, aber auch um dazu beizutragen, daß sich das Klima in der Öffentlichkeit verbessert (21).

Auch der Deutsche Caritasverband, die Wohlfahrtsorganisation der Katholischen Kirche, ist prinzipiell für jeden Hilfesuchenden da, unabhängig von Rasse, Religion, politischer Einstellung oder nationaler Herkunft. Daher sind seine Verbände, Sekretariate, Einrichtungen und Mitarbeiter selbstverständlich auch für türkische, islamische Menschen da und zwar dort, wo sie angegangen oder gebraucht werden. Gerade in der Hilfe für Kinder, Mütter, Familien und Kranke wächst der Anteil der türkischen Menschen, die sich auch an die Einrichtungen des Caritasverbandes wenden (22).

Selbstverständlich gibt es noch viele andere Wohlfahrtseinrichtungen und kleinere Wohlfahrtsverbände, die sich in Paritätischen Wohlfahrtsverband zusammengeschlossen haben. Auch dort wird der Einsatz für die türkische Bevölkerung und für ein gutes gemeinsames Auskommen immer intensiver. Alle Organisationen der Freien Wohlfahrtspflege teilen die Auffassung von der prinzipiellen Gleichberechtigung und Gleichbehandlung der türkischen Bevölkerung hinsichtlich des Angebots der Sozialdienste. Selbstverständlich ist dies auch Auffassung und überzeugende Praxis bei den besonderen Diensten, die das „Das Deutsche Rote Kreuz" für die gesamte Bevölkerung anbietet. Die Gemeinsamkeit ist ohne Absprache besonders deutlich geworden bei einer Anhörung der gesellschaftlichen Gruppen zur künftigen Ausländerpolitik, zu der im November 1982 das Bundesinnenministerium eingeladen hatte (23).

3.6 Freiwillige Initiativen

Entweder in enger Verbindung mit den Kirchen, und Wohlfahrtsverbänden, mit Kommunen, Bildungseinrichtungen, sozialen Verbänden und staatlich geförderten Modellen, oder auch in finanzieller und personeller Unabhängigkeit und Selbständigkeit agieren ungezählte Gruppen verschiedenster Größe in Deutschland, um die gegenseitige Integration und ein tolerantes Zusammenleben zu ermöglichen. Dabei kann nicht mehr eingegangen werden auf die Zentren und Organisationen, die die einzelnen Nationalitäten selbst gebildet haben oder in eigener Regie verwalten. Nur erwähnt werden kann noch das Engagement in Sport- und Freizeitvereinen, aber auch das von tausenden und abertausenden Menschen, die sich über das zu erwartende Maß hinaus in den von der Öffentlichen Hand getragenen Einrichtungen der Erziehung, Bildung, Beratung, der sozialen Dienste und Kultur für ein möglichst harmonisches Zusammenleben von Deutschen und Nichtdeutschen einsetzen.

Ich möchte nunmehr die Aufmerksamkeit lenken auf die freiwilligen Initiativen, in denen Deutsche und Ausländer verschiedener Nationalität zusammenarbeiten und in unverzichtbarer Weist zur partnerschaftlichen Eingliederung beitragen. Das Engagement dieser Bürgerinitiativen setzte in aller Deutlichkeit 1970 im Internationalen Erziehungsjahr ein, als die Bundesregierung zu einer „Kampagne Hausaufgabenhilfe für Ausländerkinder" aufgerufen hatte. Hilfe bei den Schulaufgaben ist über viele Jahre das stärkste Angebot der Initiativgruppen gewesen, deren Spektrum mittlerweile alle nur denkbaren Hilfen und sozialen Dienste umfaßt. Mittlerweile dürfte der Schwerpunkt bei den Initiativen liegen, die sich in aller Form gegen die Fremdenfeindlichkeit in der Bevölkerung durch Schaffung eines besseren Klimas einsetzen.

Um sich einen Überblick vom Umfang und Charakter dieser Initiativen zu verschaffen, hat sich vor geraumer Zeit die Beauftragte der Bundesregierung für Ausländerfragen, Ministerin a.D. Lieselotte Funcke an Verbände, Organisationen, Gewerkschaften, Unternehmen, Gemeinden und Kirchen gewandt, um ihre diesbezüglichen Erfahrungen mitzuteilen (24). Als erstaunlich hoch wertete Frau Funcke die Zahl der Berichte über die Bemühungen, das Zusammenleben von Deutschen und Ausländern zu verbessern, Fremdheit zu überwinden und Vertrauen zu gewinnen. Sie erhielt auf diesem Weg über 400 Zuschriften, die sie in einer Adressen-Sammlung auflisten ließ. Beispielhaft ausgewählt wurden 32 Initiativen, die deutlich machen sollen, daß sich sehr viele Menschen in Deutschland in vorbildlicher Weise dafür einsetzen, Spannungen zu überwinden und Verständnis füreinander zu gewinnen. Trotz aller Ängste, Reibungen, Feindseligkeiten und Missverständnisse widerlegen Zahl und Inhalt der Berichte für die die Bundesbeauftragte die Behauptung von der „Ausländerfeindlichkeit" d e r Deutschen.

Man muß davon ausgehen, daß die Zusammenstellung der Adressen nur einen Teil der mittlerweile zwei- bis dreitausend Initiativen erfasst (25). Daher dürfte es für die Öffentlichkeit von größtem Interesse sein, wenn noch einmal der Versuch unternommen wird, sich einen noch genaueren Überblick über die freiwilligen Aktivitäten zu verschaffen. Inhaltlich umfassen sie Beratung, Betreuung, Integrationsmaßnahmen, Verbesserung der allgemeinen und beruflichen Bildungschancen, Kontakte und Verbesserungen im Arbeits- und Wohnbereich, Verbesserung der Wohnbedingungen zwischen Ausländern und Deutschen, kulturellen Austausch, Öffentlichkeitsarbeit und nicht zuletzt politische Arbeit. In den Gruppen sind die verschiedensten Menschen aus vielen beruflichen, sozialen und weltanschaulichen Bereichen organisiert, die sich entweder an die gesamte Bevölkerung oder nur an die Kinder die Jugendlichen. die Frauen. die Männer, die Familien, die Arbeitnehmer, die Arbeitslosen oder auch an die Flüchtlinge, also an das gesamte Spektrum der nichtdeutschen Bevölkerung wenden. Größten Raum nehmen dabei die Aktivitäten und Initiativen für und mit der türkischen Bevölkerung ein.

4 Ausblick

Es ist überhaupt nicht abzuschätzen, welche Bedeutung diese ausgesprochen verheißungsvolle Bewegung unter der Bevölkerung der Bundesrepublik hat. Wenn im Rahmen der Krise auch in Deutschland in Öffentlichkeit und Bevölkerung ausländerabweisende Tendenzen und Stimmungen überwiegen, entsteht hier von unten auf ungesteuerte, vielfältige, sicher auf Dauer wirksame Weise ein neues Klima der Verständigung, der Toleranz, der Partnerschaft, der Wahrung der Menschenrechte, der gegenseitigen kulturellen Bereicherung und schließlich eines multikulturell strukturierten Zusammenlebens.

Dies würde sich in die internationalen Tendenzen, wie sie sich nicht zuletzt im Europarat niederschlagen, einfügen. Danach ist die Bildung multikultureller Gesellschaften innerhalb Europas kraft des Grundrechts auf Freizügigkeit eine nicht umkehrbare und in jedem Fall wünschenswerte Entwicklung im Hinblick auf die Förderung des europäischen Ideals und der Aufgaben Europas in der Welt. Der Europarat ist überzeugt, daß die Entwicklung der interkulturellen Verständigung, sowohl in en Schulen als auch in den Kommunen, einen Positiven und wichtigen Beitrag zur allgemeinen Förderung der Toleranz in den westlichen Gesellschaften leistet, und somit ein bedeutendes Ziel in der Bildungspolitik in den Mitgliedsstaaten darstellt.


Briefwechsel mit Bischofskonferenz

An den
Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz
Joseph Kardinal Höffner
Marzellenstr. 32

5000 Köln 1

28. März 1984

Sehr geehrter Herr Kardinal Höffner!

Auf Vorschlag der Beauftragten der Bundesregierung für Ausländerfragen, Frau Staatsministerin a.D. Liselotte Funcke, bin ich gebeten worden, auf einem Presseseminar in der Woche vom 7.5.1984 in Ankara eines der vorgesehenen Referate zu halten.

Das Seminar, das unter dem Thema "Deutschlandbild und Türkeibild in den Medien – eine historische und soziologische Untersuchung des Entstehens und der Tradierung von Klischeebildern und Vorurteilen" steht, wird voraussichtlich vom türkischen Außenminister und vom deutschen Botschafter eröffnet und soll u.a. dazu beitragen, das Klima der Presse in der Türkei gegenüber der deutschen Bevölkerung zu verbessern.

Mit der Zustimmung meines Generalvikars habe ich diese Aufgabe übernommen.

Nachdem ich das Referat "Gesellschaftliche Gruppen in der Bundesrepublik Deutschland - ihre Meinungen, Vorurteile und Klischeebilder über Türken" heute fertiggestellt habe, möchte ich es Ihnen unterbreiten mit der höflichen Bitte, prüfen zu lassen, ob die Positionen der Katholischen Kirche, wie ich sie auf den Seiten 11 bis 13 dargelegt habe, korrekt wiedergegeben sind.

Ich bitte Sie um Verständnis, wenn ich mich bei der Bedeutung der Angelegenheit zu diesem Schritt verpflichtet sehe.

Mit freundlichen Grüßen
( Herbert Leuninger)


DER SEKRETÄR
DER DEUTSCHEN BISCHOFSKONFERENZ
Kaiserstraße 163
5300 Bonn 1

6. April 1984

Herrn Pfarrer
Herbert Leuninger
Bischöfliches Ordinariat
Postfach 1355

6250 Limburg 1

Sehr geehrter Herr Pfarrer Leuninger,

im Auftrag von Herrn Kardinal Höffner darf ich Ihr Schreiben vom 28. März 1984 beantworten.

Sie bitten darin vor allem um eine Prüfung der Seiten 11 bis 13 Ihres Referats im Hinblick darauf, ob die Position der katholischen Kirche korrekt wiedergegeben ist .- Anbei darf ich Ihnen eine kurze Stellungnahme dazu in Anlage übersenden

Mit freundlichen Grüßen

Ihr
(Prälat Wilhelm Schätzler)

ANLAGE

Betr.: Stellungnahme zu dem Referat von Pfarrer Herbert Leuninger,

Gesellschaftliche Gruppen in der Bundesrepublik Deutschland - ihre Meinungen, Vorurteile und Klischeebilder über Türken

Bezug: Schreiben von Pfarrer Leuninger an den Vorsitzenden vom 28.03. 1984

1. Die Ausführungen auf Seite 11 bis 13 lehnen sich im wesentlichen an die in der vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz herausgegebenen Arbeitshilfe "Muslime in Deutschland" enthaltenen einschlägigen Passagen und an Erklärungen des Vorsitzenden und des Sekretärs der Deutschen Bischofskonferenz zu Ausländerfragen an und geben den von der Deutschen Bischofskonferenz in diesem Zusammenhang eingenommenen Standpunkt korrekt wieder.

2. Auf zwei Unklarheiten ist freilich hinzuweisen:

2.1. Seite 12, 1. Absatz: "Seit Jahren versuchen die Kirchen dazu beizutragen, daß den eingewanderten Minderheiten in der Bundesrepublik gleiche Rechte zugestanden werden."

Die gewählte Formulierung "gleiche Rechte" ist zu vage und kann Anlaß zu einer zu weit gefaßten und somit fehlerhaften Deutung geben, wenn zum Beispiel an die nur den deutschen Staatsbürgern zustehenden verfassungsmäßigen Rechte (vor allem Wahlrecht) gedacht wird.

2.2. Seite 13, 2. Absatz (über katholische Kindergärten und Schulen): "Hierbei wird festgestellt, daß diese Einrichtungen auch für muslimische Kinder und Jugendliche dann offenstehen, wenn der katholische Erziehungsauftrag gewährleistet bleibt, ohne daß andererseits die islamischen Kinder von ihrem Glauben entfremdet werden.""

Für den nicht mit der - bekanntlich auch intern kontrovers diskutierten - Problematik vertrauten Leser bzw. Hörer muß dieser Satz schwer verständlich bleiben, vor allem für ein Publikum

in der Türkei. Der Verfasser müßte hier für mehr Klarheit sorgen, namentlich bei der Betonung des katholischen Erziehungsauftrages.

3. An manchen Stellen wird das Wirken der Kirchen und der Gewerkschaften im Zusammenhang mit der Ausländerfrage zu sehr auf eine Stufe gestellt - auf Kosten einer Würdigung des spezifisch kirchlichen Auftrages (vor allem auf Seite 11 und auf Seite 15, im letzten Abschnitt des Referates).

4. Leider unterbleibt jeder Hinweis auf unsere Besorgnisse über die Situation der Christen in der Türkei, die im Gegensatz zu der offenen Haltung der Kirchen in Deutschland gegenüber den muslimischen Türken steht. Diese Frage gehört zwar nicht in den engeren Zusammenhang des Referates; doch sollte der seltene Anlaß, daß ein katholischer Geistlicher in der Türkei Gelegenheit zu einem öffentlichen Vortrag erhält, in diesem Sinne genützt werden.


 

ANMERKUNGEN

  1. vgl. Der Tagesspiegel, Berlin, 4.12.1983, S.33
  2. vgl. Sipeca, Kath.Informationsdienst für pastorale Fragen in Europa, Brüssel, Nr. 15, Oktober 1983
  3. vgl. Empfehlung 968(1983) des Europarates betr. ausländerfeindliche Haltungen und Bewegungen in den Mitgliedstaaten gegenüber Wanderarbeitnehmern, in: Deutscher Bundestag - 10.Wahlperiode, Drucksache 10/838,S.7-10
  4. vgl. Communique final de la Presidence de la Conference, Service de Presse, Conseil de l’Europe,Straßburg,4.11.1984
  5. Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften, Nr. 342/142 v. 19.12.1983
  6. vgl. Europäischer Gewerkschaftsbund, Entschließung zu Fremdenhaß und Rassismus v.14.und 15.4.1983, hektogr. Text in deutscher Sprache, i.Arch. d. Verf.
  7. Schreiben von Kardinalstaatssekretär A.Casaroli v.11.8.1983, Rom, abgedruckt in deutscher Sprache in: L'Osservatore Romano deutsch, Rom, 28.10.1983
  8. Empfehlung 968, aaO., S.9
  9. Vorstand der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, Das Ausländerproblem, Die Grundauffassung der Arbeitgeber, Köln, 1983
  10. P.Kühne, Die ausländischen Arbeiter in der Bundesrepublik Deutschland, in: Zeitschrift des Wirtschafts-und Sozialwissenschaftlichen Instituts des Deutschen Gewerkschaftsbundes, 7/1982,S.391
  11. K-H.Goebels, Referat auf dem Deutsche-Welle-Symposium "Die Bundesrepublik Deutschland und ihre Ausländer", hektogr. Text in: Mitteilung der Deutschen Welle an die Referenten, Köln,28.6.1982. Dort keine näheren Hinweise auf die Quellen der zitierten Umfragen.
  12. aaO., S.2
  13. S. Bleicher, Referat beim Symposion "Ängste überwinden - zur Nachbarschaft finden", Frankfurt/M., 24.3.1983, in: epd Dokumentation Nr.39/83, September 1983, S. 17
  14. Das Faltblatt ist abgedruckt in: epd Dokumentation Nr. 12/84, Frankfurt/M.,Februar 1984,S.22f
  15. Erklärung des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Joseph Höffner, vom 23.6.1982, in: betrifft: Ausländerpolitik, Hrsg.: Der Bundesminister des Innern Bonn, 1983,S.73-76
  16. Statement des Sekretärs der Deutschen Bischofskonferenz, Prälat Dr. Josef Homeyer, bei der Pressekonferenz am 5. August 1982 zur Arbeitshilfe "Muslime in Deutschland", Pressedienst der Deutschen Bischofskonferenz, Bonn, 5.8.1982, 7 Seiten. Die Arbeitshilfe "Muslime in Deutschland" -wurde als Nr.26 Arbeitshilfen herausgegeben vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Bonn,1982
  17. EKD-Synode, Kundgebung zur Frage der Ausländer in der Bundesrepublik, 4.11.1983, in: epd Dokumentation 11/84, Frankfurt/M., Februar 1984, S.59
  18. Zur Erziehung und Bildung muslimischer Kinder und Jugendlicher, vom Rat der EKD am 4.6.1983 zustimmend zur Kenntnis genommene und veröffentlichte Stellungnahme, als Textblatt hrsg. v. Kirchenamt der EKD, Frankfurt/M.
  19. Grenzen der Belastbarkeit, Stellungnahme zur aktuellen Ausländerpolitik, hektogr.Text, hrsg.vom Bundesverband der Arbeiterwohlfahrt, Bonn, 23.4.1982, S.11f
  20. vgl. hierzu das umfangreiche Material in den epd Dokumentationen 11/84 und Nr.12/84, Frankfurt/M., Februar 1984
  21. vgl. G. Hüssler, Der diakonische Auftrag der Kirche – auch gegenüber Muslimen?, in K. Barwig/K.-Ph. Seif (Hrsg.), Muslime unter uns, München, 1983,S.117 u. 122
  22. vgl. u.a. , Deutsches Rotes Kreuz, Generalsekretariat, Stellungnahme, Im Rahmen der Anhörung gesellschaftlicher Gruppen – Kommission "Ausländerpolitik" gemäß Beschluß der Bundesregierung vom 3.November 1982, am Dienstag, 30. November in der Lastenausgleichsbank, Bonn-Bad Godesberg hektogr.Text, Bonn,1982
  23. Begegnen Verstehen Verändern, Deutsche und Ausländer ergreifen die Initiative, Eine Zusammenstellung der Beauftragten der Bundesregierung für Ausländerfragen, (Bonn, ohne Jahresangabe)
  24. Schätzungen gemäß tel. Auskunft des Büros der Bundesbeauftragten für Ausländerfragen v. April 1984