Herbert Leuninger ARCHIV

Fremdenhaß und Rassismus in Europa



INHALT

 

Die Rolle der Polizei

Zuerst die schlechte Nachricht: Hinter der traditionell freundlichen Fassade des Londoner Bobby verbirgt sich oft Rassenhaß; der gute Ruf der 26.000 Beamten, die mit ihren schwarzen Uniformen und glänzenden Helmen das Bild der britischen Hauptstadt mitbestimmen, wird durch eine Studie empfindlich beeinträchtigt. So meldete es die Nachrichten-Agentur Reuters. Und sie ließ die gute Nachricht gleich folgen: Die Bobbies werden von den Forschern für besser gehalten als die Polizisten vergleichbarer Großstädte in anderen Ländern. (1)

Die Metropolitan Police Force selbst hatte besagte Studie vor vier Jahren in Auftrag gegeben. Damals war es zu schweren Zusammenstößen zwischen der Polizei und rund 5.000 meist farbigen Demonstranten im Londoner Stadtteil Southall gekommen. Die Demonstration hatte sich gegen eine genehmigte Wahlveranstaltung der rechtsradikalen, für ihre rassistischen und fremdenfeindlichen Aktionen weidlich bekannten "National Front" gerichtet. Die "National Front" wiederum hatte sich gerade diesen Stadtteil für ihre Zusammenkunft ausgesucht, weil hier große nichtweiße Minderheiten wohnen. Erschrocken berichtete damals der Londoner Korrespondent der "Frankfurter Rundschau": Die Bobbies haben Einsatzbereitschaft von einer Schlagkraft bewiesen, die man sonst nur bei den kontinental europäischen Ordnungskräften kennt; aber auch die Gegner der Bobbies, meist Briten indischer Abstammung, haben eine Wut gezeigt, die erschreckend ist.(2)

Über ständig wachsende Spannungen zwischen der Polizei und nichtweißen Minderheiten ist die britische Öffentlichkeit schon seit Jahren besorgt. Ein - hektographierter Bericht über den Londoner Stadtteil Lewisham spricht bereits 1973 von rassistischen übergriffen der Polizei.(3) Nichtweiße, die mit der Polizei nie in Berührung gekommen seien, so heißt es dort, würden ihre Einstellung zu den Ordnungskräften in dramatischer Weise ändern, wenn sie einmal einen solchen Kontakt gehabt hätten.

Ein weiterer Vorfall: Am 21. Juni 1983-wird im Minguettes-Viertel von Lyon, in dem vorwiegend Ausländer wohnen, ein junger Mann, Toumi Djaidja, von der Kugel eines Polizisten niedergestreckt. Das Opfer ist Präsident eines Notkomitees in einem Stadtteil, in dem es immer wieder zu Zusammenstößen zwischen Jugendlichen und der Bereitschaftspolizei kommt. Ein von Immigranten betriebener Radiosender nennt Djaidja das vierzigste Opfer von Gewalttätigkeiten, die in den letzten bei den Jahren von schießwütigen Polizisten oder intoleranten Nachbarn an jungen Ausländern begangen wurden.(4)

Vergleichbares wurde von anderen Ländern kaum bekannt, "nur" übergriffe einzelner Polizisten gegenüber dem einen oder anderen Ausländer. Auch der von der Öffentlichkeit aufmerksam verfolgte Prozeß gegen zwei dänische Polizisten, die einen türkischen Arbeiter mit ihren Schlagstöcken derart traktiert hatten, daß er auf dem Weg zur Wache starb, ist noch kein Beweis für besonders fremdenaggressive Ordnungshüter in Europa - allerdings der Freispruch der beiden Angeklagten auch kein Beweis des Gegenteils. (5)

Selektive Verdachtsstrukturen

Inzwischen scheint in mehreren Ländern ein Problembewußtsein für die Tatsache zu entstehen, daß die Kriminalität von Fremden eine starke, ja übermäßige Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit erregt. Diese Aufmerksamkeit bot Anlaß für wissenschaftliche Untersuchungen, die naturgemäß auch auf das Verhalten der Polizei eingehen. So spricht eine Studie des Bundeskriminalamtes - von diesem zwar herausgegeben, aber nicht verantwortet - von einer erhöhten "Dichte" der Verfolgung ausländischer Jugendlicher, insbesondere unter der Bedingung regional überschaubarer Zuständigkeitsbereiche. In die Alltagssprache übertragen, heißt das wohl: Die Polizeistreifen haben junge Ausländer auf dem Kieker. (6) Aufgrund der Aussagen nichtdeutscher Jugendlicher sind die Autoren besagten Berichts geneigt, eine stärkere Kontrolle ausländischer Jugendlicher, selektive Verdachtsstrukturen und eine im Kern stigmatisierende Behandlung zu unterstellen.(7) In diesem Zusammenhang wird auch eine andere Untersuchung erwähnt, die bei Polizeibeamten eine Vorurteilsstruktur feststellt, die "im semantischen Differential" Gastarbeiter analog der Einschätzung deutscher Hilfsarbeiter mit extrem negativen Bewertungen belegt.(8) Damit der Schwarze Peter aber nicht bei der Polizei hängen bleibt, rückt die Studie die Fremdenfeindlichkeit von Polizisten in einen größeren Zusammenhang: Die Probleme, die Polizisten mit Fremden hätten, seien im Grunde dieselben, die bei der Öffentlichkeit insgesamt anzutreffen seien - sie könne Ausländern nicht vorurteilsfrei begegnen. (9) Auf einen einfachen Nenner gebracht: Die Polizei ist so fremdenfreundlich bzw. fremdenfeindlich wie "ihre" Gesellschaft und die Politik dieser Gesellschaft. Rassismus und Fremdenhaß der Ordnungshüter sind der Rassismus und Fremdenhaß der Mehrheitsgesellschaft.

Ein guter Kenner der englischen Probleme, der Generalsekretär des Deutschen Roten Kreuzes, Hans-Jürgen Schilling, zieht aus der ungelösten Rassenfrage Großbritanniens den Schluß, der Versuch der Integration kompakter ethnischer Minderheiten in gewachsene europäische Nationen sei immer zum Scheitern verurteilt.(10) Wie Großbritannien es nicht vermocht habe, zwei Millionen Zuwanderer aus seinem Commonwealth zu integrieren, so komme es für die Bundesrepublik darauf an, das Potential der ethnisch Fremden deutlich unter eine kritische Grenze zu senken, selbst wenn dies zu Härten führe. In einem zuvor erschienenen Artikel in der "Zeit" hatte Schilling sich selbst als nichtrassistisch eingestuft, obwohl er hier meinte: "Es muß die Repatriierung des größten Teils der Gastarbeiter aus den europäischen Randgebieten bzw. außereuropäischen Ländern erwogen werden." (11) Schilling begründete diese Empfehlung mit der inneren Distanz, die man zu ethnisch Andersartigen habe. Vor allem gehe es ihm aber, so Schilling weiter, um die politische und humanitäre Aufgabe, die Bundesrepublik für die kommenden Krisenjahre als leistungsfähige und leistungswillige Basis für wachsende Hilfen an Länder in Not zu erhalten. Erkennbar sind allerdings Schillings Sympathien für den britischen Parlamentarier Enoch Powell, der sich, so Schilling, trotz seiner aufreizenden Rhetorik die kaum verhüllte Anerkennung durchaus ernst zu nehmender politischer Kreise erworben habe, indem er die Repatriierung von Fremden verlangte. Es ist davon auszugehen, dass auch Schilling mit Anerkennung rechnete womit er sich übrigens nicht verrechnete: Sein "Zeit"-Artikel wurde von der CDU im Rahmen einer Forderung nach Rücksendung jener Ausländer, deren Integration nicht möglich ist, immerhin als lesenswert bezeichnet. (12)

Die vornehmen Varianten - verbal zurückgewiesener - rassistischer Ideen sind gelegentlich auch bei renommierten Wissenschaftlern anzutreffen, so bei Prof. Eibl-Eibesfeld, dessen Respekt vor fremden Kulturen und Völkern so groß ist, daß er argumentiert, diese hätten ein Recht auf Identität, könnten sie aber nur in ihren eigenen Ländern und nicht in irgendwelchem Einwanderungsland erlangen.(13) Zudem würden solche Minderheiten die völkische und nationale Identität des Aufnahmelandes bedrohen, was letzterem wiederum das Recht gebe, sich zur Wehr zu setzen - natürlich nur mit humanen Mitteln.

Der dieser Ansicht eng verbundene Repatriierungsgedanke, der sich u.a. in sogenannten Rückkehrhilfen niederschlägt, hat seine strukturelle Entsprechung in der Politik Südafrikas, das durch die Einrichtung von "Homelands" schwarze Einheimische zu Ausländern machte. In der Bundesrepublik und anderswo findet der Repatriierungsgedanke seine Legitimation im Nationalstaatsprinzip, das keinem Ausländer das Menschenrecht der Einwanderung zuerkennt, auch nicht das der Integrierung nach langjähriger Anwesenheit. Solange also das Nationalstaatsprinzip nicht stärker relativiert wird - was durch die Freizügigkeitsregelungen der Europäischen Gemeinschaft bereits in beachtlichem Umfang erreicht wurde -, werden eingewanderte Minderheiten in Krisenzeiten zu Überzähligen, die das Gastrecht des Aufnahmelandes schon lange genug in Anspruch genommen haben.

Eine Variante des Rassismus wird nicht von der nationalen Idee abgedeckt, sondern beruht auf eurozentrischen Vorstellungen und kommt damit dem Rassismus in Reinkultur, der von der Überlegenheit und dem imperialen Anspruch der weißen Rasse ausgeht, äußerst nahe.

Die kolonialistische Version

In Großbritannien wird die Frage dieses sogenannten institutionalisierten Rassismus heftig diskutiert. (14) Dabei geht es u.a. um eine kolonialistische Version, der zufolge eine Kolonialmacht wie England seine frühere Einstellung zu den Kolonien auch heute noch in Staat, Gesellschaft und Bevölkerung beibehalten und damit eingewanderte Minderheiten aus diesen Staaten nach wie vor diskriminieren darf. Die Verwendung des Wortes "black" für Menschen nichtweißer Hautfarbe legt einer Untersuchung zufolge übrigens semantische Schichten frei, die noch vor die Kolonialzeit zurückreichen und Christentum und Kirche für die Zweiteilung in "black" und" white" verantwortlich machen. (15)

Dieser Theorie zufolge bezieht die rassistische Diskriminierung ihre Legitimität aus religiösen Vorstellungen von sündhaftem Dunkel und ritueller Unreinheit, aus Vorstellungen also, die über die Liturgie und die Symbolsprache der Kirche vermittelt worden und auf die Symbolwelt des Vorderen Orients zurückzuführen sind.

Auch für Alain de Benoist, den führenden Kopf der französischen und europäischen Rechten, ist das Christentum eine wesentlich orientalische Religion. (16) De Benoist sieht als entscheidendes Element dieser Religion den Glauben an, daß alle Menschen vor Gott gleich sind. Nach de Benoist haben sich in 2000 Jahren Christentum aber Ordnungsstrukturen herausgebildet, die diese (revolutionäre) Religion dem europäischen Geist anpaßten und erlaubten, die gefährliche Botschaft des Evangeliums in vernünftige Bahnen zu lenken. Heute, so de Benoist, wolle das Christentum diese 2000 Jahre wieder ausklammern und zu den Quellen einer wirklich universellen Religion zurückkehren. Was das bedeuten würde, schildert er am Beispiel Roms und der Verantwortung des Christentums für dessen Untergang. Eine Wolke von Zeugen wird aufgeboten, nach denen Rom fiel infolge des Verschwindens der Eliten, der wachsenden Bedeutung der Plebs und der Sklavenmassen, der hohen Geburtenrate des ausländischen Bevölkerungsteils und letztlich aufgrund der Einflüsse des Christentums und der von ihm ausgelösten sozialen Revolution. Den Menschen der Antike sei das Christentum als Sklaven- und Heimatlosenreligion erschienen die gerade bei den Unzufriedenen, den Deklassierten, den Neidischen und den potentiellen Revolutionären Erfolg gehabt habe. Und bei den Asiaten.

Für de Benoist ist "die Verwandtschaft der Konstellationen" zwischen dem Untergang Roms und dem drohenden Untergang Europas durchaus gegeben.

Wesentlich platter, dafür aber um so klarer drückt sich ein Mitautor von de Benoist aus. (17) Europa sei in Gefahr, durch Geburtenrückgang bei gleichzeitiger Bevölkerungsexplosion in anderen Ländern zu überaltern und durch das Hereinfluten fremdländischer Gastarbeiter und nicht enden wollender fremdrassischer, unintegrierbarer Flüchtlingsströme die Orientierung zu verlieren. Dabei hätte Europa sich jahrhundertelang als Zentrum des Weltgeschehens betrachten dürfen, als die Führungsmacht der Erde, deren Kultur und Zivilisation von der germanisch-europäischen Langhose des Mannes bis zum Wagenrad weltweit nachgeahmt wurde. "Europa ist der Erdteil des Menschen, der (Erdteil), in dem die Pflanze Mensch am besten gedeiht." (18)

Ohne kirchlichen Segen

Offensichtlich wollen einige Europäer das (Wagen-)Rad der Geschichte, auch der Einwanderungsgeschichte, wieder zurückdrehen, auf daß es zu einer Renaissance Europas komme. Dabei scheinen Nationalismus und Eurozentrismus eine Ehe oder besser, eine Mesalliance eingehen zu wollen. Denn einerseits "zeugen" immer mehr Menschen dafür, "daß das ethnokulturelle Erbe ihres Volkes kontinuierlich ist, daß es sogar ein Verbrechen darstellt, sich an ihm zu vergreifen, zumal diese Integrität ihre Eigenart und Unvergänglichkeit (!) gewährleistet"; andererseits gilt Europa als ethnokulturelle Gemeinschaft, "die durch Jahrtausende Geschichte ausgestaltet wurde (. . .), Schmelztiegel (!) einer eigentümlichen Kultur und Zivilisation, die die Völker nahezu aller europäischen Nationen verbindet". (19)

Wenn diese Ehe im "rechten" Sinn vollzogen wird, werden alle Kinder von nichteuropäischen und nichtweißen (Arbeiter-) Immigranten, die in dem wiedergeborenen Europa zur Welt kamen, und auch die, die hier noch das Licht Europas erblicken werden, "illegitim" sein. Den Ordnungsmächten dieses Europa fällt dann eine ebenso hehre wie schwere Aufgabe zu! Eine der klassischen Ordnungsmächte sollte bei diesem Werk nicht einkalkuliert werden: die Kirche. Sie wird einen solchen Liebesbund nicht einsegnen. Gott sei Dank kommt sie nicht einmal in die Verlegenheit, darum gebeten zu werden: Denn "die Zukunft ist heidnisch", heidnisch im vorchristlichen, "indogermanischen" (20) Sinne.


veröffentlicht in: EG-Magazin, 2/1984, Bonn, S, 17-19