Betr. : Anhörung
am 23.4.1979 im Deutschen Bundestag, Bonn
Antworten zum Fragenkatalog (hier nicht aufgeführt)
zu der öffentlichen Anhörung von Sachverständigen und Auskunftspersonen des Ausschusses
für Jugend, Familie und Gesundheit des Bundestages am 23.April 1979 in Bonn
betreffend Zukunftschancen der Kinder ausländischer Arbeitnehmer.
1) Vorschulischer Bereich:
Die Anpassung des Kindergartens an die spezifischen Bedürfnisse einer gegenseitigen Integration
deutscher und nichtdeutscher Kinder, vor allem auch die Gewährleistung eines ausreichenden
Versorgungsgrades mit Plätzen für Kinder nichtdeutscher Eltern erfordern unter anderem:
- die Überzeugung der politischen Öffentlichkeit, der Kindergartenträger, der
Erzieherinnen und der deutschen Eltern,
- dass die gemeinsame Zukunft der nachwachsenden Generation - ethnisch-plural zusammengesetzt
- am besten durch eine gemeinsame im Kindergarten beginnende Erziehung und Integration garantiert
wird;
- dass Integration in einer multiethnisch zusammengesetzten (Stadt-)gesellschaft neue, am
leichtesten im Kleinkindalter zu erlernende Verhaltensweisen erforderlich macht;
- dass hierzu vor allem der gegenseitige Respekt vor anderen Mentalitäten, Sprachen und
Kulturen gehört,
- dass Kindergärten mit hohem Ausländeranteil keinen Niveauverlust im Hinblick auf
die Einschulung der Kinder mit sich bringen müssen.
- Erforderlich sind im einzelnen
- neue pädagogische ( bi- oder multikulturelle Programme für
- die Integration deutscher und nichtdeutscher Kinder und eine entsprechende Aus- und Weiterbildung
der Erzieher,
- eine intensivierte Arbeit mit deutschen und nichtdeutschen Eltern.
- zusätzliches, zweisprachiges Personal, möglichst aus der zweiten Generation der
eingewanderten Bevölkerung,
- passende Öffnungszeiten, vermehrtes Angebot von Tagesplätzen und flexiblere Staffelung
der Elternbeiträge.
- Die Überwindung der Zugangsbarrieren zum Kindergarten bei nichtdeutschen Eltern verlangt
besondere Formen kindergartenüberschreitender Elternarbeit.
Sie schließt ein :
- den Einsatz zusätzlicher Sozialarbeiter, bzw. Sozialpädagogen für die Arbeit
mit nichtdeutschen Eltern und für die Kontaktpflege zwischen Kindergarten und nichtdeutscher
Elternschaft,
- die Bildung von Mütter- und Elterngruppen einzelner Nationalitäten,
- eine bessere Information dieser Eltern über das Angebot von Kindergartenplätzen
und die pädagogische Bedeutung eines Kindergartens,
- ein Abbau der Ängste vor der "Germanisierung" und der "Christianisierung" von Kindern
durch die Betonung der ethnischen Komponente im pädagogischen Programm des Kindergartens.
2. Schulischer Bereich:
In dem Maße, wie die unter 1) skizzierte pädagogische Eingliederung gelingt, treten
Integrationsschwierigkeiten in der Schule zurück.
Nationale Klassen oder Schulen widersprechen den unter 1) dargestellten gesellschaftlichen Erfordernissen
neuer gemeinsam erlernter und praktizierter Verhaltensweisen und führen außerdem bei
gesellschaftlich schwächeren Gruppen wie einer eingewanderten Arbeitnehmerbevölkerung
zu bildungsmäßiger Deklassierung.
Zum Konzept der Eingliederung in das deutsche Bildungswesen gibt es keine für die
Mehrheit der betroffenen Schüler praktikable Alternative, zumal eine solche Schulpolitik
bereits auf beachtliche Erfolge verweisen kann. So haben zum Schuljahr 1977/78 in
Frankfurt 68 % der ausländischen Schüler die Hauptschule mit Abschlusszeugnis verlassen. Von 461 ausländischen Schülern sind das immerhin 315.
3. Problem der "Stadt in der Stadt"
Der Begriff "Stadt in der Stadt" ist ein Euphemismus für die Konzentrierungstendenzen der
nichtdeutschen Arbeitnehmerbevölkerung in Stadtteilen, aus denen die deutsche Bevölkerung
wegen unzulänglicher Wohnqualität abwandert. Anders gesagt, es erfolgt in unseren Großstädten
im Rahmen der Stadtflucht der mobilen deutschen Bevölkerung und der starken Ausländerbeschäftigung
in den Ballungsgebieten eine Bevölkerungsentmischung, die das Entstehen von Ghettos begünstigt.
Dass sich Ausländer in bestimmten Stadtteilen konzentrieren, ist nicht so sehr von
dem Motiv in der Fremde heimatliche Ersatzstrukturen zu bilden bestimmt, als vielmehr von dem
Basiswunsch, überhaupt eine Wohnung zu erträglichen - wenn auch zu vergleichsweise überhöhten
- Mieten zu erhalten. Ausländer - und unter ihnen vor allem ausländische Arbeiter mit
Kindern - erhalten Wohnungen aber nur dort, wo deutsche Mieter in ihren Wohnansprüchen nicht
mehr befriedigt werden können. In guten Wohnquartieren sind ausländische Familien durchaus
unerwünscht, ganz abgesehen von dem Mietpreisniveau, das dort herrscht. Nehmen wir das Beispiel Frankfurt, das mit einem nahezu 20%iger, Ausländeranteil
die wohl unter diesem Gesichtspunkt internationalste Stadt Europas sein dürfte. Die sieben
Stadtteile mit dem höchsten Ausländeranteil haben eine Gesamtbevölkerung von ca.100.000
Bewohnern. Darunter sind ca. 33.000, d.h. 33% Ausländer. Von 1975 bis 1977 hat die deutsche
Bevölkerung um 8,5% abgenommen, während sich im gleichen Zeitraum der Ausländeranteil
um 2% erhöht hat. Unter diesen Stadtteilen gibt es wiederum solche mit einem Ausländeranteil von über
40 bzw. über 60%. Die Substruktur der Stadtteile mit hohem Ausländeranteil kennt einzelne
Stadtbezirke, in denen nur noch eine Minderheit von Deutschen wohnt. Außerdem gibt es Häuser
und Häuserblocks, in denen ausschließlich Nichtdeutsche wohnen.
Während der ausländische Geburtenanteil 1977 in den Stadtteilen mit hoher Ausländerkonzentration
bei 58% liegt, sind sie andererseits gekennzeichnet durch einen überproportionalen Anteil
älterer Deutscher. Der fortschreitende Wegzug jüngerer deutscher Familien, die dadurch
bedingte mangelnde deutsche Reproduktionsrate, der hohe ausländische
Geburtenanteil und der Familiennachzug wird die Deutschen in eine immer stärkere Minderheitensituation
bringen und ihren Abwan derungsprozess verstärken. Für die betroffenen Stadtteile sind eine stagnierende oder leicht rückläufige
Wohnungsbestandszahl, eine allgemein geringere Qualität der Wohnungen, ein unterdurchschnittliches
Wohnflächenangebot pro Person, ein geringerer Anteil an sozialem Wohnungsbau und hohe
Umweltbelastungen kennzeichnend.
Das soziale Klima wird geprägt durch eine überdurchschnittliche Fluktuation, durch
einen überproportionalen Anteil an Sozialhilfeempfängern, straffälligen Jugendlichen
und Selbstmorden.
Wenn diese Entwicklung nicht rückgängig gemacht wird, kommt es zu Wohngebieten, in
denen die Ausländer vor allem in Kindergärten und Schulen völlig unter sich sind,
das Wohngebiet weiter- verfällt und die Gefahr diskriminierender Abschließung
(Ghetto) heraufbeschworen wird.
Empfehlenswert erscheint folgende Leitlinie des Gemeinderates Stuttgart:
"Verhinderung schädlicher Konzentrationen von Ausländern durch Einflussnahme auf die
Ansiedlung ausländischer Einwohner in Bereichen der Stadt, wobei der Wunsch nach landsmannschaftlicher
Nachbarschaft zu respektieren ist." Ebenso wichtig sind alle Maßnahmen, die die Stadtflucht
deutscher Familien bremsen.
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