Herbert Leuninger

ARCHIV MIGRATION
1979

Anhörung im Deutschen Bundestag
Zukunftschancen der Kinder ausländischer Arbeitnehmer

Auf Antrag der CDU/CSU-Fraktion (Drucksache 8/1811) erfolgte eine Anhörung, zu der auch der Initiativausschuss "Ausländische Mitbürger in Hessen" eingeladen war.

INHALT

  1. Vorschulischer Bereich
  2. Schulischer Bereich
  3. "Stadt in der Stadt"

Herbert Leuninger, Pfr.
Initiativausschuß
"Ausländische Mitbürger in Hessen"

6238 Hofheim Ts.
Teutonenstr. 13
Tel. (06192) 6513

Betr. : Anhörung am 23.4.1979 im Deutschen Bundestag, Bonn

Antworten zum Fragenkatalog (hier nicht aufgeführt) zu der öffentlichen Anhörung von Sachverständigen und Auskunftspersonen des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit des Bundestages am 23.April 1979 in Bonn
betreffend Zukunftschancen der Kinder ausländischer Arbeitnehmer.

1) Vorschulischer Bereich:

Die Anpassung des Kindergartens an die spezifischen Bedürfnisse einer gegenseitigen Integration deutscher und nichtdeutscher Kinder, vor allem auch die Gewährleistung eines ausreichenden Versorgungsgrades mit Plätzen für Kinder nichtdeutscher Eltern erfordern unter anderem:

  • die Überzeugung der politischen Öffentlichkeit, der Kindergartenträger, der Erzieherinnen und der deutschen Eltern,
    • dass die gemeinsame Zukunft der nachwachsenden Generation - ethnisch-plural zusammengesetzt - am besten durch eine gemeinsame im Kindergarten beginnende Erziehung und Integration garantiert wird;
    • dass Integration in einer multiethnisch zusammengesetzten (Stadt-)gesellschaft neue, am leichtesten im Kleinkindalter zu erlernende Verhaltensweisen erforderlich macht;
    • dass hierzu vor allem der gegenseitige Respekt vor anderen Mentalitäten, Sprachen und Kulturen gehört,
    • dass Kindergärten mit hohem Ausländeranteil keinen Niveauverlust im Hinblick auf die Einschulung der Kinder mit sich bringen müssen.
  • Erforderlich sind im einzelnen
  • neue pädagogische ( bi- oder multikulturelle Programme für
  • die Integration deutscher und nichtdeutscher Kinder und eine entsprechende Aus- und Weiterbildung der Erzieher,
  • eine intensivierte Arbeit mit deutschen und nichtdeutschen Eltern.
  • zusätzliches, zweisprachiges Personal, möglichst aus der zweiten Generation der eingewanderten Bevölkerung,
  • passende Öffnungszeiten, vermehrtes Angebot von Tagesplätzen und flexiblere Staffelung der Elternbeiträge.
  • Die Überwindung der Zugangsbarrieren zum Kindergarten bei nichtdeutschen Eltern verlangt besondere Formen kindergartenüberschreitender Elternarbeit.
    Sie schließt ein :
  • den Einsatz zusätzlicher Sozialarbeiter, bzw. Sozialpädagogen für die Arbeit mit nichtdeutschen Eltern und für die Kontaktpflege zwischen Kindergarten und nichtdeutscher Elternschaft,
  • die Bildung von Mütter- und Elterngruppen einzelner Nationalitäten,
  • eine bessere Information dieser Eltern über das Angebot von Kindergartenplätzen und die pädagogische Bedeutung eines Kindergartens,
  • ein Abbau der Ängste vor der "Germanisierung" und der "Christianisierung" von Kindern durch die Betonung der ethnischen Komponente im pädagogischen Programm des Kindergartens.

2. Schulischer Bereich:

In dem Maße, wie die unter 1) skizzierte pädagogische Eingliederung gelingt, treten Integrationsschwierigkeiten in der Schule zurück.

Nationale Klassen oder Schulen widersprechen den unter 1) dargestellten gesellschaftlichen Erfordernissen neuer gemeinsam erlernter und praktizierter Verhaltensweisen und führen außerdem bei gesellschaftlich schwächeren Gruppen wie einer eingewanderten Arbeitnehmerbevölkerung zu bildungsmäßiger Deklassierung.

Zum Konzept der Eingliederung in das deutsche Bildungswesen gibt es keine für die Mehrheit der betroffenen Schüler praktikable Alternative, zumal eine solche Schulpolitik bereits auf beachtliche Erfolge verweisen kann. So haben zum Schuljahr 1977/78 in Frankfurt 68 % der ausländischen Schüler die Hauptschule mit Abschlusszeugnis verlassen. Von 461 ausländischen Schülern sind das immerhin 315.

3. Problem der "Stadt in der Stadt"

Der Begriff "Stadt in der Stadt" ist ein Euphemismus für die Konzentrierungstendenzen der nichtdeutschen Arbeitnehmerbevölkerung in Stadtteilen, aus denen die deutsche Bevölkerung wegen unzulänglicher Wohnqualität abwandert. Anders gesagt, es erfolgt in unseren Großstädten im Rahmen der Stadtflucht der mobilen deutschen Bevölkerung und der starken Ausländerbeschäftigung in den Ballungsgebieten eine Bevölkerungsentmischung, die das Entstehen von Ghettos begünstigt. 

Dass sich Ausländer in bestimmten Stadtteilen konzentrieren, ist nicht so sehr von dem Motiv in der Fremde heimatliche Ersatzstrukturen zu bilden bestimmt, als vielmehr von dem Basiswunsch, überhaupt eine Wohnung zu erträglichen - wenn auch zu vergleichsweise überhöhten - Mieten zu erhalten. Ausländer - und unter ihnen vor allem ausländische Arbeiter mit Kindern - erhalten Wohnungen aber nur dort, wo deutsche Mieter in ihren Wohnansprüchen nicht mehr befriedigt werden können. In guten Wohnquartieren sind ausländische Familien durchaus unerwünscht, ganz abgesehen von dem Mietpreisniveau, das dort herrscht.

Nehmen wir das Beispiel Frankfurt, das mit einem nahezu 20%iger, Ausländeranteil die wohl unter diesem Gesichtspunkt internationalste Stadt Europas sein dürfte. Die sieben Stadtteile mit dem höchsten Ausländeranteil haben eine Gesamtbevölkerung von ca.100.000 Bewohnern. Darunter sind ca. 33.000, d.h. 33% Ausländer. Von 1975 bis 1977 hat die deutsche Bevölkerung um 8,5% abgenommen, während sich im gleichen Zeitraum der Ausländeranteil um 2% erhöht hat.

Unter diesen Stadtteilen gibt es wiederum solche mit einem Ausländeranteil von über 40 bzw. über 60%. Die Substruktur der Stadtteile mit hohem Ausländeranteil kennt einzelne Stadtbezirke, in denen nur noch eine Minderheit von Deutschen wohnt. Außerdem gibt es Häuser und Häuserblocks, in denen ausschließlich Nichtdeutsche wohnen.

Während der ausländische Geburtenanteil 1977 in den Stadtteilen mit hoher Ausländerkonzentration bei 58% liegt, sind sie andererseits gekennzeichnet durch einen überproportionalen Anteil älterer Deutscher. Der fortschreitende Wegzug jüngerer deutscher Familien, die dadurch bedingte mangelnde deutsche Reproduktionsrate, der hohe ausländische Geburtenanteil und der Familiennachzug wird die Deutschen in eine immer stärkere Minderheitensituation bringen und ihren Abwan derungsprozess verstärken.

Für die betroffenen Stadtteile sind eine stagnierende oder leicht rückläufige Wohnungsbestandszahl, eine allgemein geringere Qualität der Wohnungen, ein unterdurchschnittliches Wohnflächenangebot pro Person, ein geringerer Anteil an sozialem Wohnungsbau und hohe Umweltbelastungen kennzeichnend.

Das soziale Klima wird geprägt durch eine überdurchschnittliche Fluktuation, durch einen überproportionalen Anteil an Sozialhilfeempfängern, straffälligen Jugendlichen und Selbstmorden.

Wenn diese Entwicklung nicht rückgängig gemacht wird, kommt es zu Wohngebieten, in denen die Ausländer vor allem in Kindergärten und Schulen völlig unter sich sind, das Wohngebiet weiter- verfällt und die Gefahr diskriminierender Abschließung (Ghetto) heraufbeschworen wird.

Empfehlenswert erscheint folgende Leitlinie des Gemeinderates Stuttgart:

"Verhinderung schädlicher Konzentrationen von Ausländern durch Einflussnahme auf die Ansiedlung ausländischer Einwohner in Bereichen der Stadt, wobei der Wunsch nach landsmannschaftlicher Nachbarschaft zu respektieren ist." Ebenso wichtig sind alle Maßnahmen, die die Stadtflucht deutscher Familien bremsen.