Herbert Leuninger

ARCHIV MIGRATION
1976

II. Solidaritätskongreß "Ausländer in der BRD"
11. -13. Juni 1976 in Stuttgart

Vorlage für Arbeitsgruppe 3:

Politik des Bundes - "17 Neue Thesen" zur Ausländerpolitik in der BRD

INHALT
Die hier lebenden ausländischen Arbeiter sind Teil der gesamten Arbeiterschaft, die hier lebenden Familien sind ein fester Teil dieser Gesellschaft.

  Einführung

Wie sieht das Konzept der Bundesregierung zur Ausländerbeschäftigung aus? Man sagt, sie habe keines. Bonn, 18. Mai (dpa): Hermann Buschfort, Staatssekretär im Bundesarbeitsministerium: Anwerbestopp kann vermutlich bald aufgehoben werden. Drei Tage später: Gelsenkirchen (ddp): Hermann Buschfort: Eine Aufhebung des Anwerbestopps ist gegenwärtig nicht zu rechtfertigen.

Beide Äußerungen spiegeln nicht nur zwei Seelen in der einen Staatssekretärsbrust wider, sondern auch die Ambivalenz der Politik der Bundesregierung gegenüber den ausländischen Arbeitern. Zwischen den Ministerien kursierte ein Papier mit 17 Thesen. Als es in der Öffentlichkeit bekannt wurde, zog man es zurück. Bleiben wir bei Buschfort. Besagter Anwerbestopp müsse aufrecht erhalten bleiben und zwar im Interesse der deutschen Arbeiter und der in der BRD lebenden Ausländer. Wie steht es aber um die Verteidigung der Interessen der ausländischen Arbeiter? Wie eine Erfolgsmeldung wird die Tatsache angeführt, nach der 556.000 ausländische Arbeiter hier ihre Arbeit verloren und zum allergrößten Teil in ihre Heimat zurückgekehrt sind. Ein Arbeitskräfteexport von einer halben Million als arbeitsmarktpolitische Leistung!

Aber damit nicht genug ! Buschfort bei einem Interview im Südwestfunk (Süddeutsche Zeitung vom 31.5.1976): Die Zahl der in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Gastarbeiter müsse in Anbetracht der eigenen Probleme der BRD "beachtlich unter der 2 Millionen-Grenze liegen". Die Arbeitsministerin von Baden-Württemberg, Frau Griesinger, formulierte kürzlich ähnlich: "Die Ministerpräsidenten aller Länder und die zuständigen Arbeitsminister seien einmütig der Auffassung, daß der Gastarbeiteranteil von rd. 2,1 Mio immer noch überhöht sei" (Stuttgarter Zeitung vom 21.5.76). Bundeswirtschaftsminister Apel hat bereits am 19. Dezember 1974 der Bildzeitung gegenüber gesagt um was es geht. „Eine Million Gastarbeiter müssen Deutschland verlassen." Buschfort präzisiert dies in dem Interview aufgrund der neuen Zahlen dahingehend: "Ich denke, daß wir uns der 1,5 Millionen-Grenze nähern werden." Nochmals eine halbe Million ausländischer Arbeiter weniger! Das bedeutet. „endlich" auch die deutliche Reduzierung der ausländischen Wohnbevölkerung, die immer noch um die 4 Millionen-Grenze schwankt.

So ist die Politik der Bundesregierung nicht nur gegen die ausländischen Arbeiter selbst gerichtet, sondern vor allem auch gegen deren Familien. Man will es verhindern, daß die BRD für einen großen Teil der bereits hier lebenden Ausländer zum Einwanderungsland wird. Es sollen die Infrastrukturkosten gespart, die Bildungsmisere und sonstige soziale Problematik exportiert und am Ende die Rotation für neue Arbeitskräfte eingeführt werden. So ergibt sich folgendes Konzept: Flexible Ausländerbeschäftigung; Ja – Dauerintegration: Nein! So sind die 17 Thesen, die auf einen Rückwanderungspolitik setzen, zwar vom Tisch, der Geist aber, in dem sie entstanden sind, ist noch durchaus lebendig. Reintegration statt Integration, Rotation, Einschränkung der Rechte und eine umfassende Kosten-Nutzenrechnung, nach der die bisherige Form und der bisherige Umfang der Ausländerbeschäftigung nicht mehr rentabel sein sollen.

Dagegen stehen „17 Neue Thesen" als Vorschlag für eine Ausländerpolitik, die den Interessen der Bundesregierung und den Interessen der ausländischen Arbeiter entgegenkommt. Dieses Konzept geht davon aus, daß die bereits hier lebenden ausländischen Arbeiter ein Teil der gesamten Arbeiterschaft, die hier lebenden Familien, vor allem die Kinder, die hier geboren wurden und groß geworden sind, ein fester Teil dieser Gesellschaft sind.

(Herbert Leuninger, Initiativausschuß "Ausländische Mitbürger in Hessen")