Herbert Leuninger

ARCHIV MIGRATION
1974

HESSISCHER RUNDFUNK (HR) Frankfurt/Main
1 Hörfunkprogramm
Der Initiativausschuß ausländische Mitbürger in Hessen
Interview von Ulrike Holler
mit Detlef Lüderwaldt und Herbert Leuninger
am 22. Dezember 1974
(leicht redigierte Ton-Nachschrift)

INHALT
Der Initiativausschuß ausländische Mitbürger in Hessen ist eine ungewöhnliche Zusammensetzung. Wie kann das funktionieren und was kann er tun?

Hessischer Rundfunk:
Der Initiativausschuß "Ausländische Mitbürger in Hessen" tritt, um es global zu sagen, für die Rechte der ausländischen Arbeitnehmer in der Bundesrepublik ein. Herr Pfarrer Lüderwaldt, Sie gehören zu diesem Initiativausschuß, wer gehört außer Ihnen, außer dem Diakonischen Werk, diesem Ausschuß noch an?

Lüderwaldt:
Dem Initiativausschuß gehören ausländische und deutsche Organisationen an:

- von ausländischer Seite die Spanische Elternvereinigung, die Neue Griechische Gemeinde, das Türkische Volkshaus, die italienische Organisation Unione Inquilini; und

- von deutscher Seite die Wohlfahrtsverbände, Caritasverbände der Diözesen Fulda, Limburg, Mainz, die Diakonischen Werke in Hessen und Nassau und in Kurhessen-Waldeck, die Arbeiterwohlfahrt, Bezirke Hessen-Nord und -Süd, das Amt für Industrie- und Sozialarbeit der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau und das Jugendsozialwerk Hessen.

Hessischer Rundfunk:
Aber wie war es denn möglich, Herr Leuninger - sie gehören der katholischen Kirche an - wie war es denn möglich, so verschiedene und viele Gruppen und Organisationen unter einen Hut zu bringen?

Leuninger:
Das ist nur dadurch möglich, daß es in diesen Einrichtungen sehr aufgeschlossene Menschen gibt, die wissen, daß nur das Zusammenrücken aller etwas erreichen kann.

Hessischer Rundfunk:
Können Sie etwas genauer darauf eingehen, wie Sie Ihr Ziel, wie Sie Ihre Arbeit formulieren würden?

Leuninger:
- Als erstes betrachtet sich der Initiativausschuß als eine Einrichtung, die zum Ausdruck bringt, daß sich die deutsche Seite, oder viele Einrichtungen der deutschen Seite, mit den ausländischen Arbeitern solidarisieren wollen.

- Zweitens versucht dieser Ausschuß, die von den Ausländern selbst formulierten Anliegen und Probleme und Forderungen zu übernehmen und sie damit verstärkt an die deutsche Öffentlichkeit zu geben.

- Drittens versucht der Ausschuß, und da funktioniert er auch vorzüglich, möglichst viele und manchmal auch sehr schwer erreichbare Informationen zu sammeln, um sie dann entsprechend der Öffentlichkeit bekannt zu machen, und dieser den Hintergrund zu verdeutlichen, auf den sich die Ausländerproblematik hier in der Bundesrepublik abspielt.

Hessischer Rundfunk:
Aber, Herr Pfarrer Lüderwaldt, wie arbeitet ein solcher Ausschuß mit so vielen unterschiedlichen Organisationen zusammen - treffen sie sich immer oder gibt es eine Führungsspitze des Ausschusses?

Lüderwaldt:
Der Ausschuß setzt sich aus Mitgliedern zusammen, die in den verschiedensten hessischen Städten leben und arbeiten. Wir treffen uns in der Regel alle sechs bis acht Wochen zu einer Sitzung. Auf dieser Sitzung werden Aktionen und Erklärungen vorbereitet, die dann in der Folgezeit durchgeführt bzw. abgegeben werden. Bei besonders aktuellen Anlässen trifft sich der Ausschuß zu Sondersitzungen, um einer bestimmten Situation schnell begegnen zu können.

Hessischer Rundfunk:
Herr Leuninger, ist der Initiativausschuß eine kämpferische Organisation oder mehr eine Organisation, die sich darauf beschränkt, papierene Erklärungen herauszugeben?

Leuninger:
Letzteres ist auch eine wichtige Funktion, die der Initiativausschuß sehr gern und in breitem Umfange wahrnimmt, aber die Mitglieder sind sich klar darüber, daß das einfach nicht genügt, sondern daß die Zeichen der Solidarität auch aktiv gesetzt werden müssen, etwa in der Beteiligung bei einer Demonstration, bei Protesten gegenüber bestimmten Maßnahmen irgendwelcher Behörden, schließlich auch in weiteren Initiativen zugunsten der ausländischen Arbeitnehmer.

Hessischer Rundfunk:
Gibt es dabei Schwierigkeiten mit den Organisationen, denen Sie angehören, z.B. mit dem Diakonischen Werk, z.B. mit der Caritas oder der Arbeiterwohlfahrt? Denn ich könnte mir vorstellen, daß die Organisationen als solche, also die Hauptorganisationen, nicht immer die Initiativen und die Aktionen des Initiativausschusses mittragen möchten.

Leuninger:
An sich hat sich die Arbeit des Initiativausschusses so eingespielt, daß er normalerweise einen breiten Spielraum hat, und daß auch die Vertreter in diesem Ausschuß das Vertrauen ihrer vorgesetzten Behörden haben; aber es dürfte an sich nicht verwunderlich sein, besonders in der jetzigen kritischen Situation, daß es über die politische Relevanz und über die Akzentsetzung bestimmter Initiativen unterschiedliche Auffassungen geben kann. Darüber müßte dann allerdings in aller Offenheit diskutiert werden, und ich glaube, daß die derzeitigen Mitglieder des Initiativausschusses auch dazu bereit wären.

Hessischer Rundfunk:
Wo liegen die Grenzen Ihrer Arbeit?

Leuninger:
Die Grenzen unserer Arbeit liegen darin, daß wir im Grunde keine politische Macht haben. Unsere Macht ist eine indirekte, sie ist für die Ausländer selbst vielleicht eine kleine Verstärkung ihrer eigenen Initiativen, die sie entwickeln können; es ist einfach so eine Art moralischer Impuls gegenüber der deutschen Öffentlichkeit.

Hessischer Rundfunk:
Herr Pfarrer Lüderwaldt, welche konkreten Aufgaben haben Sie sich in Moment gesetzt?

Lüderwaldt:
Im Augenblick haben wir uns zur besonderen Aufgabe gestellt, gegen Tendenzen zu wirken, die darauf hinauslaufen, daß Ausländer in Zuge der jetzigen wirtschaftlichen Krise zu einer Rückkehr in ihre Heimat veranlaßt werden sollen. Wir kritisieren hier in diesem- Zusammenhang sehr stark Anweisungen, die von der Bundesanstalt für Arbeit an die Arbeitsämter ergangen sind. Diese Anweisungen bieten den Arbeitsämtern ein Instrumentarium, durch des sie den ausländischen Arbeitnehmern sehr leicht die Arbeitserlaubnisse versagen können.

Von hier aus haben wir in Moment besonderes Interesse daran, eine gewisse Gegen-Öffentlichkeit gegen diese Tendenzen zu entwickeln und wir nehmen jeden Anlaß, der sich uns bietet, wahr, um darauf hinzuweisen, daß die ausländischen Arbeitnehmer auf ausdrücklichen Wunsch der westdeutschen Industrie in das Land gerufen worden sind, daß sie anerkanntermaßen einen enormen Beitrag zur Schaffung unseres Lebensstandards geleistet haben, und dass wir infolgedessen der Auffassung sind, daß eine Krise nicht zu ihren Lasten, sondern in Solidarität mit ihnen bewältigt werden muß.