Herbert Leuninger ARCHIV KIRCHE
1981

30. Dezember 1981
BAYERISCHER RUNDFUNK

KONSEQUENZEN AUS DER RESTRIKTIVEN AUSLÄNDERPOLITIK

Interview
von Antonis Beys-Kamnarokos mit Herbert Leuninger,
Bischöfliches Ordinariat, Limburg,
im griechischen Abendprogramm (auszugsweise)

INHALT
Die Kirche muß sehen, daß sie die Anwaltsrolle, zu der sie verpflichtet iist, durchhält, und zwar nicht nur in Expertenkreisen, sondern auch in den Gemeinden und bei den übrigen Amtsträgern.


BR:
….wird durch diese Maßnahmen nicht das Vertrauen der Ausländer gegenüber den Deutschen erschüttert ?

Leuninger:
Ich befürchte, daß das, was Bischof Wittler (1) in seinem Brief an den Bundeskanzler geschrieben hat, als er auf diese Maßnahmen Bezug nahm, erfolgt: Daß tatsächlich eine Vertrauenskrise bei den Ausländern einsetzt. Ich persönlich glaube, daß wir in eine neue Situation hineingekommen sind, die nicht mehr mit den bisherigen Kriterien zu begreifen und zu beurteilen ist. Bund und Länder reagieren in einer Weise auf eine Krise, die ich nur als ausländerfeindlich und ausländerabwehrend bezeichnen kann.

BR:
Sie selbst, aber auch der von Ihnen eben zitierte Bischof Wittler, stellen fest, daß die beschlossenen Empfehlungen verfassungswidrig sind. Was gedenkt die katholische Kirche, was gedenkt der Initiativausschuss4Ausländische Mitbürger in Hessen4in dieser Richtung zu tun? Mit christlicher Liebe ist ja wohl nicht mehr viel zu erreichen, im Gegenteil werden sie nur Hohn ernten können. Hier müssen wohl die Gerichte entscheiden.

Leuninger:
Es ist natürlich verfassungsrechtlich bedenklich, wenn die Gerichte ausbaden sollen, was politisch hinsichtlich der Grundwerte nicht mehr durchgehalten werden kann. Dennoch hoffen wir, daß nicht gerade eine Prozeßflut, aber einige exemplarische Prozesse dafür sorgen, daß der Öffentlichkeit gesagt wird, wo die Grenzen der Manipulierbarkeit von Grundwerten der Familie liegen.

BR:
Bischof Wittler stellt in dem Brief an den Bundeskanzler fest, daß sichtbare Mängel im Bildungs- und Wohnungsbereich durch Mittel der Sozial- und Bildungspolitik hätten gelöst werden sollen und nicht durch das Ausländerrecht.

Unter anderen Verhältnissen hätte man sagen können und vielleicht auch sagen müssen, daß solches, wenn es in größerem Rahmen gemacht wird, als Ausnahmerecht oder als Ausnahmezustand bezeichnet wird. Muß man unter diesem Gesichtspunkt nicht sagen, daß in der Bundesrepublik ausländerrechtlich der Ausnahmezustand erklärt worden ist?

Leuninger:
Man kann es so formulieren. Ich würde eher sagen, daß aus der bisherigen Ausländerpolitik einige Konsequenzen gezogen wurden. Dies in dem Sinne, daß man den Ausländern gegenüber glaubt, eine Art Zwangsbewirtschaftung hinsichtlich bestimmter infrastruktureller Mängel vornehmen zu können, was man der deutschen Bevölkerung gegenüber niemals wagen würde; wenigstens nicht in einer Situation, die ja doch nicht als schwere Krise anzusehen ist.

BR:
Können eigentlich die Politiker so etwas wollen, oder warum tun sie es?

Leuninger: ... Sie sind sich wohl aber nicht im Klaren darüber - hierfür fehlen ihnen die Kontakte zur Basis - was sie bei dem betroffenen nichtdeutschen Bevölkerungsteil anrichten. Er muß sich durch diese Maßnahmen als manipulierbarer Teil einer Bevölkerung betrachten, von der die Kirchen immer gesagt haben, daß es eigentlich eine gemeinsame Zukunft geben sollte.

BR ...... Was ist in dieser Situation zu tun ? Kann die Bundesregierung aus der Sackgasse, in die sie sich selbst hineinmanövriert hat, wieder heraus kommen ? Und was können sie tun als die erklärten und bewährten Anwälte der Ausländer in der Bundesrepublik - und man muß hier schon wirklich von einer neuen Rolle der Kirche sprechen - was gedenken Sie zu tun?

Leuninger:
Wir müssen selbst erst einmal als Kirche sehen, daß wir die Rolle, zu der wir verpflichtet sind, ob mir wollen oder nicht, durchhalten, und zwar nicht nur in Expertenkreisen, sondern auch in den Gemeinden und bei den übrigen Amtsträgern. Dies ist eine schwere Aufgabe, die nur gelöst morden kann, wenn man die ganze Problematik in einen größeren Zusammenhang stellt. Es gibt gewisse Ähnlichkeiten mit der Zeit vor ‘33, als auch eine Wirtschaftskrise dazu führte, daß man einen bestimmten Bevölkerungsteil in diesem Falle die Juden - zu Sündenböcken machte. Wenn dieser Vergleich auch heute in seiner Dramatik nicht gilt, müßten wir aber gewisse vergleichbare Entwicklungen sorgsam beachten. Ich würde mir wünschen, daß bedeutende Persönlichkeiten, die ihr Sprechen nicht unmittelbar vor Wählern legitimieren müssen, ihre warnende Stimme erheben, und zwar zusammen mit den Kirchen. Ich würde mir zudem wünschen, daß auch alle anderen gesellschaftlichen Kräfte, vor allem die Gruppen, die bisher zu den Ausländern gehalten haben, sich durch den Druck der Öffentlichkeit nicht in die Enge treiben lassen, sondern solidarisch, reflektiert und politisch klar das weiterhin tun, was sie bisher getan haben. Ich glaube nicht, daß Bund und Länder von sich aus in absehbarer Zeit eine grundlegende Änderung ihrer Politik vornehmen werden. Hier müssen die Betroffenen und die mit ihnen zusammen Engagierten mittelfristig ruhig, gezielt und stark eine politische Öffentlichkeit in ihrem Sinne herzustellen versuchen.

 

(1) Bischof Dr. Helmut Hermann Wittler von Osnabrück ist in der Deutschen Bischofskonferenz zuständig für Ausländerfragen.