Herbert Leuninger ARCHIV KIRCHE
1978

Mit kritischen Augen

Wie Ausländer-Pfarrer die deutsche Kirche sehen


INHALT

  1. Pluspunkte für die Kirche
  2. Die Kehrseite der Medaille
  3. Nationale Besonderheiten bei der Kritik
  4. Hintergründe für die Kritik

1. Pluspunkte für die Kirche

Ein deutscher Priester, Bernd Gottlob, reist im Frühjahr 1976 kreuz und quer durch die Bundesrepublik. In seinem Aktenkoffer befindet sich nicht nur ein ausgeklügelter Terminplan sondern auch ein umfangreicher Fragenkatalog. Zielgruppe geplanter Interviews sind 346 Missionare, d.h. italienische, kroatische, slowenische, portugiesische und spanische Pfarrer, die hier für ihre Landsleute wirken. Gottlob will Situation und Verhalten seiner Kollegen wissenschaftlich sondieren. Es gelingt ihm, mit 289 von ihnen ein ausführliches Gespräch zu führen.

Für unser Thema von Belang sind vor allem die Antworten auf die Fragen Nr. 63 und 64, die Gottlob in seiner Dissertationsschrift "Die Missionare der ausländischen Arbeitnehmer in Deutschland" (Eine Situations- und Verhaltensanalyse vor dem Hintergrund kirchlicher Normen, München – Paderborn – Wien 1978) publiziert hat.

Die dreiundsechzigste Frage lautet: "Als Missionar kennen Sie die Kirche Ihrer Heimat und haben sich auch ein Bild von der katholischen Kirche in Deutschland gemacht ... Können Sie mir bitte sagen, was Ihnen ganz allgemein an der katholischen Kirche in Deutschland positiv auffällt?" Es sind verschiedene Antwortmöglichkeiten vorformuliert, jeder kann mehrere davon auswählen.

Was fällt nun den Priestern, die aus verschiedenen europäischen Ländern kommen, als besonders sympathisch auf? Das deutsche Organisationstalent, ohnehin weltweit gerühmt! Sie finden es auch in der hiesigen Kirche wieder und räumen ihm Platz 1 ihrer Rangliste ein. Nicht weniger als 70% sind beeindruckt von der Organisation der Bistümer und Pfarreien. Das ist die Anerkennung struktureller Leistungen, die noch nichts über das aussagen, was eine gut ausgebaute Kirche für das Heil der Menschen erbringt, Aber auch hier erfährt die Kirche seitens der ausländischen Priester eine Würdigung, die der in der Weltkirche in etwa entspricht; gemeint ist der Respekt vor dem Einsatz zugunsten der Dritten Welt mit den großen Bischöflichen Hilfswerken wie "Misereor", "Adveniat" und auch "Missio". Jeder zweite Priester anderer nationaler Herkunft schätzt dieses Engagement in besonderer Weise. Ein weiteres, was ihm wohltuend auffällt, weil er es von der Heimat her vielleicht nicht so kennt, und auch in seiner eigenen Gemeinde noch weitgehend vermißt, ist die umfangreiche und intensive Mitarbeit der Laien in Deutschlands Kirche. Hier steht sie im internationalen Vergleich sicher auch glänzend da.

Die gute Organisation, die beachtlichen Kollektenergebnisse für die Entwicklungsländer, die Mitarbeit der Laien, Pluspunkte, die die Kirche bei den nichtdeutschen Priestern sammeln kann. Spricht das nicht auch für deren Objektivität? Eigentlich schon, wenn es nicht auch die weiteren Einstufungen gäbe in Bereichen, in denen sich die deutsche Kirche einiges zugute halten kann. So ist sie über Jahrzehnte bahnbrechend in der liturgischen Erneuerung gewesen und hat eine führende Rolle in der Theologie gespielt. Dennoch haben nur 28% der anderssprachigen Priester einen positiven Eindruck von den hier gefeierten Gottesdiensten und nur 18% einen solchen von der Theologie. Es ist schwer zu sagen, wie eine derartige Einschätzung zu erklären ist. Kennen die befragten Pfarrer nicht die Messen, die in den Pfarreien gehalten werden, sind ihnen Namen wie Rahner, Ratzinger, Küng und Metz kein Begriff? Oder halten sie einfach nicht viel weder vom einen noch vom anderen? Auch den Gottesdienstbesuch findet nur jeder 5.Priester der Rede wert, obwohl er an manchen anderen Ländern gemessen sich durchaus noch sehen lassen kann. Daß die Kirchensteuer als spezielle deutsche Einrichtung keine sonderliche Bewunderung abnötigt, ist allerdings durchaus verständlich. 13% fällt überhaupt nichts Positives zur Kirche in der Bundesrepublik ein.

2. Die Kehrseite der Medaille

Dem steht aber dafür ein fast gleich hoher Prozentsatz gegenüber, der überhaupt keine dunklen Flecken auf dem Bild der deutschen Kirche zu entdecken vermag. Gottlob hat nämlich nicht nur nach positiven Eindrücken gefragt, sondern auch wissen wollen, was seinen Mitbrüdern mit anderer Muttersprache an der katholischen Kirche in Deutschland besonders negativ auffällt. Es ist die Frage nach der Kehrseite der Medaille, die sich auch gleich bei der Spitzenposition der Negativ-Liste offenbart. Wir erinnern uns, daß bei der positiven Beurteilung die Organisation der Kirche am besten abschnitt. Dem entspricht nun auf der anderen Seite mit gleichem Rang die Kritik an der kirchlichen Bürokratie. Sehr kritisch stehen auch die ausländischen Priester ihren deutschen Kollegen gegenüber. 44 kreiden ihnen einen zu bürgerlichen Lebensstil an. Die Priester aus den Entsendeländern der ausländischen Arbeitnehmer sind einen solchen Stil nicht gewöhnt. Sie wollen ihn wohl auch, obgleich sie hier das gleiche Einkommen haben wie die Deutschen, nicht übernehmen. Das ist für sie sicher nicht nur eine Frage der Gewöhnung sondern viel eher eine der geistlichen Haltung und der evangelischen Botschaft von der Armut und Anspruchslosigkeit, Daß diese Interpretation zutrifft, ergibt sich aus weiteren negativen Urteilen, die sich auf den zu großen Reichtum: der Kirche und auf eine mangelnde Sorge um die unteren Schichten der Bevölkerung beziehen. Während diese Kritik auf Platz drei und vier rangiert, liegt die mögliche Antwort unfreundliche Aufnahme der Ausländer überraschenderweise mit nur 20 Punkten auf Platz sieben.

Es ist nahezu unmöglich, aufgrund dieser Angaben das Bild zu zeichnen, das nichteinheimische Priester von der sie anstellenden Aufnahmekirche haben. Vor allem ergibt sich ein sehr unterschiedliches Spektrum innerhalb dieser Theologen-Gruppe, nicht zuletzt dann, wenn man nach nationaler Herkunft differenziert. Besonders starke Divergenzen ergeben sich zwischen den drei Nationalitäten, die die meisten Pfarrer stellen, zwischen den Italienern, Spaniern und Kroaten. Hier spielen eine Rolle das Kirchenbild, das aus der Heimat mitgebracht wird, die Beurteilung der Emigration in die Bundesrepublik und nicht zuletzt die theologischen Vorstellungen über eine Arbeit unter einer sozial schwachen Minderheit

3. Nationale Besonderheiten bei der Kritik

Nahezu gleiche Auffassungen zeigen sich bei dem Aktiv-Saldo der Ortskirche, wenn es um die Beurteilung des Organisationsgrades, um den Einsatz für die Dritte Welt und auch um die Theologie geht. Die Mitarbeit der Laien imponiert den Kroaten am ehesten, während die Italiener hier Zurückhaltung üben, vielleicht sehen sie, die überwiegend aus Norditalien kommen, hier gewisse Gemeinsamkeiten mit ihren Heimatpfarreien. Dafür gefallen ihnen die deutschsprachigen Gottesdienste eher als den Spaniern und Kroaten, Ihnen fällt - hier mit den Kroaten - der Gottesdienstbesuch doppelt so stark auf wie den Spaniern, Diese können auch der Kirchensteuer keinen sonderlichen Geschmack abgewinnen, während sich die Kroaten davon fast viermal so oft angesprochen fühlen. Nun kommen die Kroaten aus einem kommunistischen Land in der der Staat nicht nur in einer völligen Distanz zur Kirche steht, sondern diese in ihrer Entfaltung erheblich beeinträchtigt und zwar bis in die Bundesrepublik hinein. Die Spanier hingegen kommen aus einer Staatskirche, die erst jetzt die Entflechtung vom weltlichen Regiment in die Wege geleitet hat- Die italienischen Priester, die hier eine Mitte einnehmen, und zu 15% der Kirchensteuer ablehnend gegenüberstehen, kennen eine massive Kritik vieler Landsleute an diesem Geldeinzug und einem ihrer Auffassung nach mangelhaften Service der Kirche.

Bei den Mängelrügen fallen die spanischen Theologen vollends aus dem statistischen Rahmen. Zu 80% machen sie ein großes Fragezeichen hinter dem verwaltungsmäßigen Gebaren einer Kirche und dem bourgeoisen Auftreten der hiesigen Kirchendiener. 70% finden sich auch nicht mit dem finanziellen Polster der Kirche ab. Daher darf es auch dann nicht verwundern, wenn sie auch am häufigsten die mangelnde Sorge der deutschen Kirche um die schwächeren sozialen Schichten und die unfreundliche Aufnahme der Ausländer beklagen.

Im krassen Gegensatz zu den Spaniern stehen die Priester, die aus dem katholischen Kernland Jugoslawiens, aus Kroatien kommen und die überwiegend dem Franziskaner-Orden angehören, Im Unterschied zu ihrem Ordensvater, dem hl. Franziskus, reden sie der deutschen Kirche als einer reichen und mächtigen kaum ins Gewissen. Sie haben zwar auch nicht viel für den Verwaltungsaufwand der Kirche übrig, ihre Einwände gegen ihre gut situierten hiesigen Mitbrüder sind aber bereits sehr moderat. Eine starke Zurückhaltung ist bei ihnen zu finden, wo es um Vorbehalte gegenüber dem Reichtum der Kirche oder um die Sorge für einfache Menschen geht. Eine unfreundliche Aufnahme der Ausländer glauben nur 7% feststellen zu können. Alles in allem geben sich die kroatischen Priester als mit der Einheimischen-Kirche beachtlich zufrieden. Ihre Kritik liegt sicher unter der Reizschwelle, wo sie die Deutschen beunruhigen könnte.

Italiens Priester nehmen eine Mittelposition ein. Sie unterscheiden sich zwar fast in allen genannten Positionen deutlich sowohl von ihren spanischen wie ihren kroatischen Confratres, scheinen aber eine stärkere Hinneigung zu den ersteren zu besitzen.

4. Hintergründe für die Kritik

Die Priester, die zu Hunderten aus den verschiedensten europäischen Kirchen in die Bundesrepublik geholt wurden, urteilen über eine Kirche, die sie kennen und die sie wiederum auch nicht kennen, Sie kennen sie nicht, und es ist schwierig für sie, sie wirklich kennenzulernen, da sie für eine gesellschaftliche und kirchliche Randgruppe tätig sind, nur sporadische Kontakte zur Ortskirche haben, oft nicht über ausreichende Sprachkenntnisse verfügen und auch eine andere Mentalität besitzen, Das ist ein natürlicher Nährboden für Vorurteile und pauschale Wertungen.

Dennoch kennen die nichtdeutschen Priester, die sie anstellende Kirche recht gut, und zwar nicht immer von ihrer besten Seite. Das schlägt sich in der Beurteilung zwangsläufig nieder und stellt eine Herausforderung an die Kirche in der Bundesrepublik dar. Ohne Selbstkritik auszusparen sind gerade die italienischen Priester immer wieder bemüht herauszufinden, was das denn für eine Kirche ist, der sie dienen, und was an dieser Kirche anders sein müßte.

So haben sie im Mai dieses Jahres intensiv über die Zusammenarbeit zwischen den Missionen und der Ortskirche nachgedacht, Hierbei hatten sie sich gewisse Hoffnungen gewacht, das Thema würde auch deutsche Kirchenvertreter in stärkerem Maße interessieren. Diese Hoffnung trog; die Beteiligung von Deutschen war so minimal, daß sich bei den italienischen Priestern das Gefühl der Isolierung und der Distanz zur Ortskirche verstärken musste, In dieser Grundstimmung setzten sie sich auch mit einer Umfrage auseinander, die sie selbst unter deutschen Pfarrern gemacht hatten, und mit der sie herausfinden wollten, was denn wohl ihre deutschen Partner über sie und eine verstärkte Zusammenarbeit mit ihnen dachten.

Die Ergebnisse der Umfrage bestätigten ihnen nur, was sie bereits aus Erfahrung wussten. Pfarrer und Dekane interessieren sich im allgemeinen nicht für die Ausländer und deren kirchliche Probleme. Wenn das schon für den Klerus zutreffe, so sei das Interesse auf Gemeindeebene gleich null. Bei solchem Desinteresse bleibt eine gegenseitige Fremdheit, die dem Sich- Besser-Kennenlernen nicht förderlich ist.

Trotz dieser Erklärungen bleibt die besonders kritische Distanz der spanischen Priester gegenüber der deutschen Kirche auffällig, so daß wohl hier noch besondere Gründe im Spiel sind. Vielleicht liegt es daran, daß die spanischen Priester im Unterschied zu ihren übrigen Kollegen wesentlich politischer eingestellt sind. So lehnen mehr als die Hälfte von ihnen politische Enthaltsamkeit in ihrer Arbeit ab, die ihnen von kirchlichen Autoritäten in Deutschland angesonnen wird. Im Gegensatz zu den Italienern haben sie sich im Bemühen um die Verbesserung der Lage ihrer Landsleute nicht mit Manifesten und Resolutionen begnügt, sondern politische Aktionen angeregt und mitgetragen. Hierbei ließen sich viele von ihnen in ihrem kirchlichen und politischen Selbstverständnis prägen von der südamerikanischen Theologie der Befreiung und von der Bewegung "Christen für den Sozialismus". Zu den spanischen Aktionen gehörten auch immer wieder Appelle an die Kirche in der Bundesrepublik, sich stärker für die ausländischen Arbeitnehmer einzusetzen. Wenn dies auch in einem beachtlichen Maße geschehen ist, so waren viele spanische Priester noch lange nicht damit zufrieden. Daher kritisieren auch fast 40% von ihnen den fehlenden politischen Einsatz der Bischöfe und Priester. Ein ähnliches Urteil geben bei den Italienern nur 6 %, bei den Kroaten 9 und bei den Portugiesen 4 % ab.

Wenn Pfarrer der Gemeinden anderssprachiger Katholiken die Kirche in Deutschland mit kritischen Augen betrachten, ist dies ihr gutes Recht, im gewissen Sinne sogar ihre Pflicht als Anwälte ihrer Landsleute. Natürlich wird eine solche Kritik von einer Kirche, die sich nicht gerade für die schlechteste aller möglichen hält, ungern vernommen und gelegentlich mit unnötiger Schärfe abgewehrt, Dabei besteht nicht die geringste Gefahr, daß kritische Stimmen aus dieser Randposition die Mauern der Kirche ins Wanken bringen. Aber sie kratzen spürbar am Image und das ist schon schmerzlich genug. Vielleicht lindert es aber den Schmerz, daß 80% der befragten Pfarrer mit all ihren negativen aber auch positiven Erfahrungen bereit wären, noch einmal als Missionare nach Deutschland zu gehen.


Text der Sendung im 2. Hörfunkprogramm des Hessischen Rundfunks am 5. 12. 1978 von 18.45 - 19.00 Uhr