Herbert Leuninger

ARCHIV KIRCHE
1978

HESSISCHER RUNDFUNK, Frankfurt/M.,
3. Hörfunkprogramm
Sendereihe: "Rendezvous in Deutschland"
29. Januar 1978
Kirche und Ausländerpolitik
redigiertes Interview von Gianna van Loe

INHALT
Die katholische Kirche hat sich für ein verbessertes Ausländerrecht ein- aber dabei nicht wirklich durchgesetzt.

HR:
Voraussichtlich am 17. Februar wird der Bundesrat seine Zustimmung zu den neuen Verwaltungsvorschriften geben, die die Ausführung des Ausländergesetzes regeln sollen. Kernpunkt dieser Übereinkunft zwischen Bund und Länder ist die Stabilisierung des aufenthaltsrechtlichen Status der ausländischen Arbeitnehmer. Die Neuregelung sollte eine Verbesserung gegenüber der bisherigen Praxis darstellen. Ist sie es wirklich ?

Darüber gibt es unterschiedliche Auffassungen. Herbert Leuninger, Ausländerreferent des Bistums Limburg und Mitglied des Initiativausschusses "Ausländische Mitbürger in Hessen" hat zu dieser Neuregelung in einer Rede, die er kürzlich in Bonn gehalten hat, Stellung genommen.

Herr Leuninger, ist die geplante Neuregelung Ihrer Meinung nach eine Verbesserung für die ausländischen Arbeitnehmer ?

Herbert Leuninger:
Im Prinzip können die geplanten Änderungen durchaus als eine Verbesserung angesehen werden, wenn sie entsprechend ausgeführt werden. Allerdings - und hier liegt der kritische Punkt - sind die Änderungen an die Erfüllung verschiedener Bedingungen gebunden. So muß ein ausländischer Arbeitnehmer aus einem Nicht-EG-Land für die unbefristete Aufenthaltserlaubnis nachweisen, daß er sich auf einfache Art in deutscher Sprache mündlich verständlich machen kann, daß er die besondere Arbeitserlaubnis besitzt, daß seine Kinder die Schule besuchen und daß er eine angemessene Wohnung hat. Diese einzelnen Bedingungen, die an sich durchaus verständlich sind, können allerdings so ausgelegt werden, daß nur ein kleiner privilegierter Teil der ausländischen Arbeiter in den Genuß der Verbesserungen kommt. So ist es durchaus möglich, einen beliebigen Anteil der Antragsteller  bei der Prüfung der Sprachkenntnisse etwa, durchfallen zu lassen. Aber selbst dann, wenn die Bedingungen wunschgemäß erfüllt sind, fehlt der Rechtsanspruch auf eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis, bzw. auf eine Aufenthaltsberechtigung.

Wenn die als Verbesserung gedachten Bestimmungen hier von mir so kritisch beleuchtet werden, dann deswegen, weil man sie in einem politischen Kontext sehen muß, nach dem die Bundesrepublik sich nicht als Einwanderungsland versteht. Mit anderen Worten: Man will nicht, daß Ausländer hier in größerer Zahl ansässig werden. Daher bleibt auch die künftige Ausländerpolitik - selbst gegenüber der zweiten Generation - nur eine Ausländerbeschäftigungspolitik. Der Vorrang der deutschen Arbeitnehmer auf dem Arbeitsmarkt wird nicht nur aufrechterhalten, sondern verstärkt. Davon sind die ausländischen Jugendlichen betroffen, deren Zahl hier doch sehr groß ist, und die zum Teil hier groß geworden sind.

HR:
Herr Leuninger, Sie sind Vertreter der Kirche. Ist die katholische Kirche mit dieser Politik auch einverstanden ?

Herbert Leuninger:
Nein. Bereits im November 1973 hat die Kirche in einem Grundsatzbeschluß davon gesprochen, daß die Bundesrepublik für viele ausländische Arbeitnehmer faktisch zum Einwanderungsland geworden sei. Die Kirche hat ein Recht auf Daueraufenthalt gefordert und sich vor allem dagegen gewehrt, daß die Ausländer als Ware angesehen; werden, die man je nach Konjunkturlage handelt. So hat die Kirche sich gerade in den letzten Jahren sehr intensiv für eine Verbesserung der Ausländerpolitik eingesetzt.

HR:
Herr Leuninger, Sie selbst aber in Ihrer Rede in Bonn haben von einer verlorenen Schlacht der Kirche in der Ausländerpolitik gesprochen. Warum ?

Herbert Leuninger:
Obwohl die Kirche auf eine Veränderung der Ausländerpolitik gedrängt hat, hat sie tatsächlich eine Änderung dieser Politik nicht erreichen können. Das hat verschiedene Gründe: Die Kirche ist mit einigen Handicaps in diese Auseinandersetzung hineingegangen. Sie ist ein Teil dieser Gesellschaft und hat damit direkt und indirekt Nutzen von der bisherigen Form der Ausländerbeschäftigung gehabt. Des weiteren - und das hat die Kirche selbstkritisch gesagt - steht sie in einer gewissen Distanz zur Arbeiterschaft überhaupt. Und so fehlt der Kirche der entscheidende Zug zu den Arbeitern, vor allem natürlich zu den ausländischen Arbeitern. Drittens, die katholische Kirche in der Bundesrepublik ist bekanntermaßen sehr stark mit den tragenden politischen Kräften von CDU und CSU verbunden. Die CDU- und CSU-regierten Länder, die sich mit der SPD und FDP auf eine neue Ausländerpolitik geeinigt haben, sind noch restriktiver gewesen als FDP und SPD.

Und so ist im Augenblick auch eine sehr interessante Entwicklung festzustellen. Äußerungen eines maßgeblichen Kirchenführers sprechen davon, daß es auf höchster kirchlicher Ebene mittlerweile Versuche gäbe der scharfen Kritik, die die Kirche bisher an der Ausländerpolitik geübt hat, die Spitze zu nehmen. Dieser Kirchenführer, Weihbischof Wilhelm Wöste, bedauert es, daß das, was damals in den Grundsatzbeschluß der Kirche grundgelegt worden sei, vor allem im politischen Bereich, nicht zu entsprechenden Regelungen geführt habe. Und eine ganz neue Entwicklung, die kirchliche Ausländerkreise mit Sorge erfüllt: Die Bischofskonferenz und das Zentralkomitee der Deutschen Katholiken haben einen Beirat "Ausländische Arbeitnehmer" gebildet, Für diesen Beirat soll der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit, Josef Stingl, berufen werden. Die kirchlichen Ausländerkreise haben sich gegen diese Benennung gewehrt und darauf hingewiesen, daß Josef Stingl der Präsident einer Anstalt sei, die für die Durchführung einer von der Kirche kritisierten restriktiven Ausländerbeschäftigungspolitik verantwortlich sei. Damit gerate Stingl zwangsläufig in einen unaufhebbaren Loyalitätskonflikt.

HR:
Gibt es außer der Kirche keine andere Stimme von politischem Gewicht, die eine ähnliche Linie befürwortet, Herr Leuninger ?

Herbert Leuninger:
Im Laufe der Auseinandersetzungen über die künftige Ausländerpolitik sind prominente politische Kräfte auf den Plan getreten, die eine andere, eine bessere Ausländerpolitik befürworten. So hat der Deutsche Städtetag eine sehr kritische Stellungnahme zu den Ergebnissen der Bund-Länder-Absprachen abgegeben. Der Städtetag mit seinen Großstädten und mit den Ballungsräumen kalkuliert nämlich ein, daß eine wachsende Zahl von Ausländern auf Dauer in der Bundesrepublik bleiben wird.

Bürgermeister Hans Koschnick (Bremen), der ehemalige Präsident des Deutschen Städtetages, der gleichzeitig auch stellvertretender SPD-Vorsitzender ist, hat vor einiger Zeit die Bund-Länder-Vorstellungen als unbrauchbares Konzept der Ausländerpolitik bezeichnet. Die These vom Nichteinwanderungsland hält er für eine Fiktion. Sein Nachfolger als Präsident des Deutschen Städtetages, der Oberbürgermeister von Stuttgart, Manfred Rommel (CDU), empfiehlt auf die Zukunft hin realitätsbezogene und ausländerfreundliche Integrationskonzepte, Auch er steht ganz hinter den Positionen des Deutschen Städtetages. Und schließlich als dritte wichtige politische Persönlichkeit auf diesem Gebiet: der Ministerpräsident von Hessen, Holger Börner (SPD), ist in letzter Zeit mit sehr beachtlichen ausländerpolitischen Äußerungen an die Öffentlichkeit getreten, in denen er vor den Folgen einer halbherzigen Integration warnt. Er hat kürzlich bei einer Fernsehsendung gesagt: "Ich halte es deshalb für richtig, daß der Deutsche Städtetag in einer Erklärung hier seine Stimme erhoben hat und die Politiker nicht nur in den Kommunen, sondern auch in den Ländern und im Bund aufgefordert hat, darüber nachzudenken, daß wir in den nächsten Jahren den ausländischen Mitbürgern - wenn wir nicht unglaubwürdig werden sollen - alle Rechte gewähren müssen, die unsere Verfassung nicht ausdrücklich den deutschen Staatsbürgern vorbehalten hat."