Herbert Leuninger:

ARCHIV KIRCHE
1978

30.4.1978
CORRIERE D`ITALIA
Unser Interview mit Referent Herbert Leuninger:
AUSLÄNDER - WAS NUN?

CdI:
In den letzten Monaten hat man von einem Gesetz, das von der Bund-Länder-Kommission vorgeschlagen wurde und vom Parlament im Februar verabschiedet werden sollte, geredet. Was ist mit diesem Gesetz geschehen?

Leuninger:
Es handelt sich um die Verwaltungsvorschriften zur Ausführung des Ausländergesetzes, zu denen der Bundesrat noch seine Zustimmung geben muss. Diese Zustimmung ist bereits Anfang des Jahres verschoben worden auf den März und jetzt noch einmal auf den Juni. Dies ist ein sehr bedenklicher Vorgang, weil die in der Absprache der Bund-Länder-Kommission vorgesehenen Verbesserungen des aufenthaltsrechtlichen Statut für nicht EG-Ausländer eine Verbesserung bringen könnten gegenüber dem jetzigen Zustand. Sie kann aber, solange der Bundesrat seine Zustimmung nicht gegeben hat, nicht eintreten. Warum es zu dieser Verlegung gekommen ist, ist erklärlich, weil einige Länder Änderungsanträge gestellt haben.

CdI:
Gibt es einen Unterschied zwischen der Interpretation und der Meinung der Länder und des Bundes. Welches ist zur Zeit die Auffassung der Bundesregierung?

Leuninger:
Die Bundesregierung hält sich an die Absprachen der Bund-Länder-Kommission, soweit uns das bekannt ist. Aber die Länder Baden-Württemberg und Bayern werten diese Übereinkunft als zu günstig für die Ausländer und machen Vorschläge, die restriktiver sind. Außerdem gibt es noch Bremen, das in diesem Zusammenhang einen Änderungsantrag gestellt hat, der günstiger ist.

CdI:
Günstiger als der Vorschlag der Bund-Länder-Kommission?

Leuninger:
Ja. Außerdem haben die entsprechenden, vorbereitenden Ausschüsse des Bundesrates auch noch Änderungsvorschläge gemacht, die eine Verbesserung darstellen. Hier stehen wir also wohl an einem Punkt wo praktisch wesentliche Teile des Konzepts wieder zur Diskussion stehen. Man wartet die Konferenz der Ministerpräsidenten im Mai ab; da soll das ganze Konzept noch einmal abgestimmt werden.

CdI:
Wie es scheint, herrschen Unstimmigkeiten zwischen den unteren Ausschüssen und den Spitzenpolitikern der Länder. Weshalb?

Leuninger:
Ich kann hier nur Vermutungen äußern, die darauf hinzielen, daß die zuständigen Verhandlungspartner bei den Verhandlungen zu einem Kompromiss gedrängt wurden, der dann letztlich von einigen Ministerpräsidenten nicht geteilt worden ist.

CdI:
Welche Ansicht vertreten die Gewerkschaften und Kirchen?

Leuninger:
Die Kirchen und der DGB haben in Zusammenhang mit der Sitzung am 17. März darauf gedrängt, daß das Konzept der Bund-Länder-Kommission endlich in Kraft tritt.

CdI:
Sie akzeptieren die Vorschläge?

Leuninger:
Sie sind für die Inkraftsetzung der Vorschläge, damit endlich eine größere aufenthaltsrechtliche Sicherheit eintritt.

CdI:
Es gibt zwei Konzepte: "Integration" und "Deutschland ist kein Einwanderungsland". Die neuen Vorschriften behandeln das Problem Integration. Steht das nicht im Widerspruch zu dem Konzept "Deutschland ist kein Einwanderungsland"?

Leuninger:
Dieser Zwiespalt steckt in dem Konzept und macht auch seine eigentliche Schwäche aus. Die These, daß die Bundesrepublik kein Einwanderungsland ist, widerspricht den Fakten. Man möchte aber den Fakten Rechnung tragen. Wenigstens durch eine leichte Verbesserung der Rechtsvorschriften, die integrationsfördernd sein können.

CdI:
Einige Politiker, wie zum Beispiel Ministerpräsident Börner haben erkannt, daß Deutschland faktisch ein Einwanderungsland ist. Es gibt unterschiedliche Meinungen. Einige Politiker, Mitglieder verschiedener Parteien wie Liberale, Christdemokraten und Sozialdemokraten, sind für eine konsequente Integration. Andere nicht. Es gibt z.B. Politiker der CDU, die diese Integration konsequent unterstützen, während der DGB normalerweise die Integration predigt, behauptet, "Deutschland ist kein Einwanderungsland". Ich sehe hier einen großen Widerspruch.

Leuninger:
Der Begriff Integration wird unterschiedlich verwendet. "Integration" wird von den Politikern, die gegen die Einwanderungsthese sind, im Sinne einer Integration auf Zeit verwendet. Die anderen, die von einem Daueraufenthalt ausgehen, verwenden den Begriff Integration - wie es eigentlich richtig ist - als einen Vorgang, der auf Dauer angelegt ist.

CdI:
Können Sie erklären, weshalb ein DGB gegen eine ständige Integration sein kann. Gibt es Gründe dafür?

Leuninger:
Für den DGB ist die arbeitsmarktpolitische Behandlung der Ausländerbeschäftigung nicht in erster Linie die Integration, sondern ein Abbau der Beschäftigungszahlen der ausländischen Arbeitnehmer auf eine Größe, die man zu verkraften glaubt. Das heißt, der DGB betrachtet die Ausländer auch unter dem Gesichtspunkt der Restgröße: Was braucht der Arbeitsmarkt? Was braucht der Arbeitsmarkt nicht?

CdI:
Sind Ihrer Meinung nach die ausländischen, in Deutschland anwesenden, sozialen und kirchlichen Kräfte überzeugte und konsequente Verteidiger der Integration? Unterstützen Sie die Integration zum Beispiel im schulischen und sprachlichen Bereich oder bilden Sie eine Barriere gegen die Integration?

Leuninger:
Ich kenne aus meinem Bereich (Kirche) keine Institution und keine Person, die sich nicht ausdrücklich zur Integration bekennen würde. Theoretisch wäre also eine Gleichheit der Vorstellungen da, aber ich sehe doch Unterschiede, wenn es darum geht, die Integration besser zu fördern.

Die Frage, was für die zweite Generation notwendig ist, unterscheidet sich z.B. sehr von der Frage, was für die erste Generation notwendig ist.

Unsere kirchlichen Einrichtungen sind eher auf die Bedürfnisse der ersten als die der zweiten Generation eingestellt. Daher ergaben sich naturgemäß Schwierigkeiten hinsichtlich der Förderung der Integration.

CdI:
Was würden Sie unseren ausländischen Priestern (Missionaren) vorschlagen, um die Integration z.B. im sprachlichen Bereich zu fördern?

Leuninger:
Ich selbst würde als Priester versuchen, die deutsche Sprache zu beherrschen und würde manche wichtigen Aufgaben zurückstellen, um mich als Interpret der deutschen Sprache und Kultur zu qualifizieren, um dann auch der Interpret meiner Landsleute gegenüber der deutschen Seite sein zu können. Das wäre das erste. Das zweite: Ich würde alle Möglichkeiten der Begegnung ausschöpfen, damit meine Landsleute mit der sie umgebenden deutschen Gesellschaft in Kontakt treten und dort gleichberechtigt mitarbeiten, mitfeiern, mitleben können. Ich würde mich vor allem dafür einsetzen daß kein Kind getrennt von deutschen Kindern aufwächst. Unabhängig davon würde ich selbstverständlich zur Förderung der Identität, die Kultur und Sprache meiner Landsleute fördern.

CdI:
Zum Bereich Schule. Es gibt einige Institutionen, in denen die katholische Kirche auch ausländische Priester eingesetzt hat. Es existieren auch einige italienische Kindergärten. Fördern diese Kindergärten Ihrer Meinung nach eine Integration?

Leuninger:
Nein

CdI:
Warum?

Leuninger:
Die Einrichtung der italienischen Kindergärten ist eine Einrichtung gewesen, die am Anfang der Einwanderung eine provisorische Lösung darstellte und die wichtige Aufgabe erfüllt hat, diesen Kindern eine gemeinschaftliche Erziehung zu gewährleisten.

Dies ist ein hoher pädagogischer Wert und ein wichtiges pädagogisches Ziel. Nach fast zwei Jahrzehnten der Einwanderung gerade italienischer Arbeitnehmer können italienische Kindergärten die Aufgabe der Integration selbst bei bestem Willen nicht mehr erfüllen. Das mindeste wäre, daß zweisprachige Einrichtungen geschaffen werden, in denen deutsche und italienische Kinder gemeinsam aufwachsen; dabei müßten die italienischen Kinder unbedingt auch in ihrer Sprache und ihrer Kultur gefördert werden. Aber sie sollten in einem ständigen Kontakt mit deutschen Kindern stehen, damit sie ganz selbstverständlich und natürlich in die deutsche Sprache hineinwachsen. Nur dann sind sie in der Lage, auch in der deutschen Schule mitzuhalten und gleichberechtigt in dieser Gesellschaft zu leben.

CdI:
Ihres Wissens sind diese Bedingungen nicht vorhanden?

Leuninger:
Sie können in italienischen Kindergärten nicht vorhanden sein.

CdI:
Was würden Sie vorschlagen?

Leuninger:
Ich würde vorschlagen, daß ein gemeinsamer Plan gemacht wird, wie die vorhandenen italienischen Kindergärten umstrukturiert werden.

Das bedeutet als
1. den Einsatz von deutschem Personal, die mit den Kindern deutsch sprechen.
2. Könnte ich mir vorstellen, daß die Kinder, die in diesem Jahr in die Schule kommen, wenigstens ein Jahr lang einen deutschen Kindergarten besuchen.
3. Aber das ist wahrscheinlich das schwierigste, ging es darum, paritätisch einen Kindergarten mit deutschen und italienischen Kindern zu besetzen und zweisprachige Erzieherinnen einzustellen.
4. Müßte dafür gesorgt werden, daß alle italienischen Kinder einen Kindergarten mit Deutschen zusammen besuchen können und daß sie dabei auch in ihrer Sprache und ihrer Kultur gefördert werden.

CdI:
Wie würden Sie die Missionen als Ort der Integration ausbauen und umstrukturieren?

Leuninger:
Wir müßten von beiden Seiten aus die Voraussetzungen schaffen, daß man miteinander arbeitet. Die Ortskirche und auch die Missionen. Das würde bedeuten, daß man beide Seiten dazu bringt, ihre gegenseitige Isolierung aufzugeben. Uns schweben im Augenblick drei Modelle vor. Das erste wäre: daß eine italienische Mission (wie es auch schon geschieht), mit einer Ortspfarrei  zusammen ein Arbeitsteam bildet, um auf Taufe, Erstkommunion, Firmung und Ehe vorzubereiten und zwar in einer Pfarrei, in der viele Italiener wohnen, daß man dort eine ständige Zusammenarbeit pflegt, Veranstaltungen durchführt - italienische und gemeinsame. 

Das zweite Modell wäre, daß darüber hinaus eine Pfarrei und eine Mission gemeinsam die gleiche Kirche und die gleichen Räumlichkeiten benutzen, wobei die eigenständige Struktur der Mission und der Ortspfarrei erhalten blieben.

Das dritte Modell, das sicher nur in dem einen oder anderen Fall realisiert werden kann, wäre, daß ein italienischer Pfarrer auch eine Ortspfarrei übernimmt, gleichzeitig Missionar ist und zweisprachiges Personal zur Verfügung hat. Das wird für die zweite und dritte Generation von großem Nutzen sein.

CdI:
Woher kommen die Schwierigkeiten der Integration in den Missionen? Liegt die Schuld nur bei den italienischen Missionaren?

Leuninger:
Die Deutsche Kirche hat, als die große Einwanderung einsetzte, die Missionen geschaffen, hat ihnen ihre Zuständigkeit gegeben ohne die Zuständigkeit der Pfarreien dadurch aufzuheben. So besteht eine Doppelzuständigkeit. Entwickelt hat sich aber faktisch durch die Missionen eine Nebenkirche, die keine oder nur sehr wenige Kontakte mit der Ortskirche hat. Die Pfarreien fühlen sich durch die Anwesenheit der Missionen entlastet und betrachten sie als ein Alibi.

Cdl:
Ist die mangelnde Integrationsfähigkeit nicht auch politisch bedingt?

Leuninger:
Die mangelnde Integrationsfähigkeit die Ortskirche hängt damit zusammen, dass sich die Bundesrepublik immer noch als ein "Nichteinwanderungsland" versteht. Dies gilt im Prinzip auch für die Italiener. Die Integrationsbereitschaft der Pfarreien würde sich verbessern, wenn die Politiker die Bundesrepublik als ein Einwanderungsland akzeptieren, und wenn sie eine konsequente Integrationspolitik betreiben würden. Dann würde sich die Einstellung der Deutschen und die der Ausländer verändern. Man würde ganz anders aufeinander zugehen können. So aber müssen sich die Ausländer als nicht akzeptiert verstehen und zwangsläufig darauf reagieren, in dem sie sich zurückziehen.

Cdl:
Daraus lässt schließen, dass die Seelsorge der Kirchen von der deutschen Politik abhängig ist.

Leuninger:
Wenn die Kirche die Situation innerkirchlich verbessern will, muß sie unabhängig von ihrer Anwaltsfunktion, die sie übernommen hat, dafür sorgen, dass der große politische Rahmen geändert wird.

Cdl:
Ich danke Ihnen für dieses Gespräch.