Herbert Leuninger
ARCHIV KIRCHE
1969

 HESSISCHER RUNDFUNK Kirchenfunk
 KULTURELLES WORT (Redaktion: Norbert Kutschki)
 Sendung am 5.6,1969,11.00-11.30 im II. Programm

 Was wird aus Fronleichnam?

 Überlegungen von Herbert Leuninger

So tief das Fronleichnamsfest auch im katholischen Bewußtsein verankert ist, bleibt ihm eine große Veränderung nicht erspart. Sie zeichnet sich allenthalben ab vornehmlich da, wo die mit diesem Fest verbundene Prozession entfällt oder stark verkürzt wird und zwar zugunsten einer einzigen großen Gemeindemesse außerhalb des Kirchenraumes. Als Papst Urban IV das Fest vorschrieb, wurde es ohnehin nur mit einer festlichen Messe begangen. Die Einführung der Fronleichnamsprozession folgte erst 50 Jahre später.

Fronleichnam 1969 - Fronleichnam 1999 - Fronleichnam 2016

Verehrte Hörer!

„Das Jahr des Herrn hat viele prächtige Feste, aber keines ist mit diesem" – gemeint ist Fronleichnam – „zu vergleichen" schreibt Karl Heinrich Waggerl in seinem Roman: "Das Jahr des Herrn" und er fährt in seiner anschaulichen Art fort:

"Am Fronleichnamstage geht Gott über Land mit Prunk und Glanz, und darum schmückt sich der Dorfplatz schon den Abend zuvor mit grünem Laub, mit Birkenstämmchen und jungen Lärchen und Blumen, so viele die Gärten spenden können. Die Altäre werden von den Böden geholt, uraltes geschnitztes Rankenwerk um dunkle Bilder, zinnerne Leuchter aus den Truhen, geweihtes Linnen, mit dem Namen des Herrn bestickt. Viermal wird Gott unterwegs rasten. Es ist von altersher festgesetzt, wo er einkehren will, beim Krämer, beim Schmiedhaus, vor der Schule und bei der Kapelle. Glanzvoll ist der Heerbann des Herrn, prächtig sind seine Diener gekleidet, er selbst aber wohnt in einer Krume weißen Brotes; so kommt er zu den Menschen. Und die heilige Scheibe leuchtet wahrhaftig heller als Gold und kostbares Gestein. Sie ist ein mildes Licht und ein Trost, denn Gold ist zwar Macht, aber Brot ist Leben.

Und der Herr geht weite Wege rund um das Dorf. Er läßt sich über das Wasser tragen, durch Wiesen und Fruchtfelder; da neigen die Ähren ihre Häupter zu ihm unter dem Traghimmel und berühren ihn scheu. Auf der Brücke bleibt Pater Johannes abermals stehen. Er hebt die Monstranz und zeigt dem Herrn das ganze Land, während er die Worte des großen Segens spricht. Gott sieht den Fleiß seiner Kinder, die üppigen Farben des Sommers, Wiesen, die sich von neuem begrünen, bräunliches Korn auf den Äckern, ja coelesti benedictione benedicatur, mit himmlischem Segen werde gesegnet und bewahrt dieser Ort und die hier wohnen, die Felder und die Früchte der Erde in seinem dreieinigen Namen.

Dann ruht der Herr auf den Altären und läßt sich loben als der große und starke Gott, der er ist. Die Luft erzittert von Glockenschall, das silberne Gezirp der Schellen mischt sich unablässig in den Gesang und wie der Wind durch ein Weizenfeld streift, so läßt der Anblick des Allerheiligsten die Schar der Gläubigen zusammensinken."

Diese Beschreibung des Fronleichnamsfestes darf als repräsentativ angesehen werden für die Weise, in der das Fronleichnamsfest gefeiert wurde und noch gefeiert wird. Hier kulminiert die katholische Frömmigkeit, nicht nur nach dem Selbstverständnis der Katholiken, sondern auch nach dem Urteil Außenstehender. Fast alle Elemente, die Eingang in den Kult der Kirche gefunden haben, sind hier verwendet. Von den Fahnen angefangen über Weihrauch, Schellen und Kerzen, Blumen und vergoldeten Gefäßen, bis hin zu den weißgekleideten Mädchen, zur kostbaren Gewandung der Kultdiener und sonstiger Repräsentanten des öffentlichen und gesellschaftlichen Lebens. Was Wunder, wenn dieses Fest mit starken Affekten und Reminiszenzwerten besetzt ist. So tief dieses Fest auch im katholischen Bewußtsein verankert zu sein scheint, bleibt ihm eine große Metamorphose nicht erspart. Sie zeichnet sich allenthalben ab, vornehmlich darin, daß die mit diesem Fest verbundene Prozession entfällt oder stark verkürzt wird. Um diesen Wandel zu verstehen, genügt es nicht die Kategorie des Altmodischen in`s Spiel zu bringen. Der geistige Umbruch, der die Veränderung insinuiert, geht tiefer, er setzt an den Motiven an, aus denen heraus das Fest entstanden ist und sich über sieben Jahrhunderte halten konnte.

Seine Einführung im 13. Jahrhundert fällt in eine Zeit kirchlicher Reformbestrebungen, Ordensfrauen aus Brabant und Flandern fühlen sich berufen durch eine besondere Verehrung des Altarsakramentes die Kirche zu reformieren. Diese Reform bedeutet zuerst die Überwindung der Lehre eines Berengar von Tours. Er leugnet die Wesensverwandlung, die reale Gegenwart des Herrenleibes, und begnügt sich mit einer rein symbolischen Auffassung der Eucharistie. Die frommen Frauen wollen aber auch Sühne leisten für die Unbilden, die Christus durch unzulängliche Verehrung der Christen täglich erleidet, vor allem wollen sie einen geistlichen Ausgleich schaffen für das Verhalten unsittlicher und geldsüchtiger Priester. In dieser geistigen Umwelt lebt die Nonne Juliana von Lüttich, die bereits mit fünf Jahren in das Kloster gekommen war, und auf deren Einfluß die Einführung des Festes zurückgeführt wird.

Was ihr Biograph diesbezüglich schreibt, soll zum Verständnis der Situation ausführlich zitiert werden:

"Als sich Juliana in ihrer Jugend dem Gebete hingab, erschien ihr ein großes und wunderbares Zeichen. Sie sah den Mond in seinem Glanze, aber auf seiner Scheibe war ein kleiner Bruch. Lange schaute sie hin und wußte gar nicht, was das bedeuten sollte,... und so bat sie inständig den Herrn, ihr die Bedeutung zu offenbaren. Der eröffnete ihr, in dem Mond sei die Kirche dargestellt, die dunkle Stelle aber in der Scheibe deute an, daß noch ein Fest fehle, das er von allen Gläubigen gefeiert sehen wolle. Es sei sein Wille, daß zur Mehrung des Glaubens, der jetzt am Ende der Welt so abnehme, und zum gnadenvollen Fortschritt der Auserwählten die Einsetzung seines heiligsten Sakramentes eigens gefeiert werde, und zwar mehr als am Kardonnerstag, wo ja die Kirche nur mit der Fußwaschung und dem Gedächtnis seines Leidens beschäftigt sei. An diesem Tage solle das ergänzt werden, was an den gewöhnlichen Tagen durch zu wenig Andacht und durch Nachlässigkeit unterlassen werde".

Neben den bereits oben angeführten Motiven spielt also auch der Gedanke eine Rolle, daß die Verbindung der Einsetzung des Abendmahles mit Fußwaschung und Kreuzesgedächtnis in einer einzigen Feier der Eucharistie nicht gerecht wird und ein gesondertes Einsetzungsfest notwendig macht. Bezeichnend für die Ätiologie bzw. Herleitung von Fronleichnam ist der visionär-mystische Charakter und eine gewisse Weltuntergangsstimmung, die unterschwellig mit Unheilsängsten (Frustrationsängsten) gekoppelt ist. Damit wird den Zeremonien dieses Tages von vorneherein eine apotropäische, das heißt gefahrbannende Funktion zugewiesen.

Nachdem das Fest im Jahre 1246 für das Bistum Lüttich eingeführt worden war, schreibt es Papst Urban IV. 1264 für die ganze Kirche vor. In seiner Bulle nimmt er ausdrücklich Bezug auf Julianas Vision, die dadurch eine kirchenamtliche Würdigung erfährt. Nicht Bezug genommen wird allerdings auf das sogenannte "Blutwunder von Bolsena", das den Papst letztlich zur Einführung des Festes veranlaßt haben soll. Wie legendär dieses Wunder auch ist, so kennzeichnet es doch das Klima, in dem das Fronleichnamsfest nicht nur entstanden, sondern auch gewachsen ist. In der Legende ist von einem Priester die Rede, der - man erinnere sich an Berengar von Tours - an der Wesensverwandlung von Brot und Wein in Leib und Blut Christi zweifelt. Im Jahre 1263 sieht er bei der Feier der Messe die Hostie als mit Blut besprengtes Fleisch. Die Blutstropfen ordnen sich auf dem Altartuch bzw. dem Korporale so an, daß sie das blutüberströmte Antlitz Christi bilden. Urban IV. habe den Leib des Herrn nach Orvieto kommen lassen, sei ihm in einer feierlichen Prozession entgegengegangen und habe ihn knieend in Empfang genomnen. Diese Ursprungslegende soll nicht nur den anschaulichen Beweis für den Irrtum Berengars von Tours bieten, sondern über die Einführung des Festes hinaus auch gleich die Prozession als Moment der Verehrung rechtfertigen.

Das Fest fand nicht die ungeteilte Aufnahme, die man erwartet hatte. Größte Schwierigkeiten machten Welt- und Ordensgeistliche. Sie sprachen sich schroff gegen das Fest aus, weil sie ein solches Erinnerungsfest insofern für unnütz hielten, als es ja jeden Tag am Altar gefeiert werde. Nach Urban IV. haben die zwölf folgenden Päpste sich nicht mehr um das Fest gekümmert, bis ihm Johannes XXII. 1317 endlich allgemeine Geltung verschaffte.

Der Tag wurde anfänglich mit einer festlichen Messe begangen. Die Gläubigen wurden aufgefordert, zahlreich die hl. Kommunion zu empfangen. 50 Jahre dauerte es, bis eine Prozession eingeführt wurde. Offiziell von Rom geregelt wurde diese erst um 1600. Sehr bald gewinnt aber dieser Umgang an Fronleichnam eine entscheidende Bedeutung. Messe und Kommunionempfang treten dahinter fast völlig zurück. Waggerl zum Beispiel erwähnt in seinem ausführlichen Bericht von Fronleichnam die Messe nicht einmal. Eine starke Verdinglichung christlicher Glaubensgehalte ist dafür die Ursache.

Diese Verdinglichung zeigte sich in der Ostkirche schon längst im Ikonenkult, durch den die himmlische Welt in die irdische hineingeholt wird. Der in der Ikone verehrte Heilige gilt als wirklich zugegen. Was für die Orthodoxie die Bilder waren, werden für die römische Kirche die Reliquien. Auch sie sind ein Stück greifbaren Himmels auf der Erde. Ihr Besitz und ihre Übertragung von einem Ort zum anderen beschäftigen in unvorstellbarer Weise das mittelalterliche Abendland. Nicht zuletzt die auf das handfest-materielle eingestellte germanische Welt trug dazu bei, daß die Religiosität des christlichen Volkes auf den Reliquienkult fixiert war. Hinter diesem Kult traten alle anderen Formen christlicher Lebensäußerung in den Sakramenten und in der Liturgie zurück. Wenn schon die übermäßige Verehrung der Heiligen bedenklich an Vielgötterei erinnern musste, so verweist der Reliquienkult ganz eindeutig auf eine heidnische Schicht im Christentum. Diese Schicht wurde nie ganz verdeckt und lag noch einmal unverhohlen bloß in der Barockzeit. Die Auswirkungen erleben wir bis heute.

Erst auf dem Hintergrund der Reliquienfrömmigkeit wird der Hostienkult von Fronleichnam ganz verständlich; denn erst von der Frage, wie in der Reliquie der Heilige wirklich zugegen war und Wunder wirkte, gewinnt die Frage an Bedeutung, in welcher Weise Christus "wirklich" unter den Gestalten von Brot und Wein gegenwärtig war. In der Ablehnung der Ansicht des Berengar von Tours, der einer spirituell symbolischen Gegenwart Christi das Wort redete, konzentrierte sich das Bewußtsein vom Mahlgedanken weg auf die dauernde Gegenwart Christi in den eucharistischen Gestalten. Ihre Verehrung führte über die Messe hinaus zu einem eigenständigen Kult. Das, was in der Kirche bisher am Rande gestanden hatte, wird damit zum eigentlich Zentralen. Im Zuge dieser Entwicklung wird auch der Einsetzungsbericht der Messe als Wandlung zeremoniell stark überformt. Dieser Augenblick der Messe wurde mit größter Stille umgeben. Nur für die unmittelbare Umgebung hörbar flüsterte der Priester in beinahe magischer Artikulation die Einsetzungsworte. (Nicht von ungefähr wurde der lateinische Satz für "Das ist mein Leib" nämlich "Hoc est enim Corpus meum" verballhornt zu der Zauberformel „Hokus pokus'"), Das Schellen der Ministranten, das Läuten der Glocke, die Kniebeugen des Priesters, die Berührungsscheu vermochten die Objektivierung und massive Verdinglichung der Eucharistie aufs äußerste zu kultivieren. Die Fülle der Hostien- und Blutwunder im Stil des von Bolsena berichteten ließen die eucharistische Frömmigkeit kaum noch vom Reliquienkult unterschieden sein.

Zu den Riten, die für die Verehrung des eucharistischen Brotes gefunden wurden, gehörte insbesondere die Erhebung der Hostie nach dem Einsetzungsbericht. Hierin lag eine Aufforderung zur Anbetung; man fiel auf die Knie und schlug sich an die Brust. Entscheidend war, daß die Gläubigen die Hostie schauen konnten. Um dem Schauverlangen der Christen nachzukommen, gab man die Anweisung, daß der Leib des Herrn genügend hoch erhoben werden sollte; dabei war eine Weile innezuhalten und die Hostie nach links und rechts zu bewegen. Den Leib des Herrn gesehen zu haben, war der Inbegriff der Messandacht. Für einen günstigen Aussichtsplatz auf dem Altar stritt man sich sogar vor Gericht. Schließlich glaubte man, daß das Schauen der Hostie eine Teilnahme an der Kommunion ersetzen könne.

Es konnte nicht mehr lange währen, bis sich dieses Zeigen von der Messe löste und zu einem speziellen Zeigekult führte. Das Gefäß, in dem dann der Leib des Herrn ausgestellt wurde, war den Reliquiaren nachgebildet und erhielt den Namen: Monstranz, das heißt Zeigegefäß. Jetzt konnte das heilsvermittelnde Schauen beliebig ausgedehnt werden.

Das Schaubedürfnis wird wesentlich ergänzt durch den Wunsch, die Monstranz in den üblichen Prozessionen mitzuführen. Religionsgeschichtlich ist die Prozession immer der Höhepunkt eines Festes. Ein bestimmter Bezirk, die Gemeinde und die Felder sollen in das Heil einbezogen und vor Schaden bewahrt werden. Besonders wichtig ist es, Heiliges mitzuführen, da von ihm Segenskräfte ausgehen. In der Reliquienprozession wird der Heilige mitgeführt, mit der Hostie ist nun das Allerheiligste aufgeboten um Gefahr und Unheil zu bannen. Daher wird man eine Prozession nicht ohne weiteres ausfallen lassen. Hierzu gehört auch die magische Angst, die in einer Gemeinde aufkam, Gott werde die Gemeinde dem Erdboden gleichmachen, weil die Fronleichnamsprozession nicht mehr stattfindet.

Bei allen religionsgeschichtlichen Assoziationen, die sich bei dem Fronleichnamsfest einstellen, darf nicht vergessen werden, daß hinter allem die ursprüngliche Hochschätzung der Eucharistie zu spüren ist. Außerdem gilt für das Mittelalter, daß dank des eucharistischen Kultes Christus unter dem Wust der Reliquienfrömmigkeit wieder in den Mittelpunkt gerückt werden konnte. Eindeutig traten er und seine Verehrung wieder in den Vordergrund, allerdings nur im Rahmen einer materialisierenden Religiosität. Gemessen an den Exzessen des Reliquienkultes ist damit ein beachtlicher Fortschritt zu verzeichnen. Dieser Fortschritt ist aber nur relativ. Er bleibt selbst in seiner sublimierten Form weit hinter den eigentlich christlichen Erfordernissen zurück. Auf Jahrhunderte ist das Herrenmahl aus seiner ihm gemäßen Funktion verdrängt.

Dies war nicht zuletzt dadurch möglich, daß die Messe zu einer für die Gemeinde unverständlichen Klerikerliturgie geworden war, in der eine schauervolle und ehrfurchtgebietende Atmosphäre wichtiger war als brüderlicher Kontakt am Tisch des Herrn. Der vielzitierte Lettner, das Gegenstück zur ostkirchlichen Ikonostase, das unverständliche Latein, die allegorische Deutung der einzelnen Messzeremonien, waren die Ursache für Ersatzhandlungen und kompensatorische Volksbräuche. Daran konnte auch die offizielle Hochschätzung, die die Amtskirche und die Theologie der Messe weiterhin entgegenbrachten, nichts ändern. Im 16 Jahrhundert ließ Calderon in seinem Spiel von der Messe eine Frau mit verbundenen Augen auftreten, die folgendes zu sagen hatte: „Ich bin die Unwissenheit und im Namen dieser Unwissenheit vieler muß ich sagen, das ganze Jahr gehe ich zur Messe, verstehe aber blutwenig von der Messe." Dieses prinzipielle Unverständnis blieb bis in unser Jahrhundert erhalten und wurde erst von der liturgischen Bewegung weniger Länder und dann durch das Konzil für die Gesamtkirche allmählich überwunden Daher mußte der eucharistische Kult als den unmittelbaren religiösen Wünschen und Vorstellungen des Volkes angemessen eine derartige Rolle im Leben der katholischen Kirche spielen„

Der eucharistische Kult ist neben der eigentlichen Theologie entstanden. Sie hat sich erst nachträglich des Phänomens angenommen, um sekundäre Begründungen für seine Rechtfertigung zu finden. Andererseits jedoch hat sie auch gröbste Mißverständnisse zu eliminieren vermocht. Im Grunde aber hat sie weithin eine ähnliche Rolle gespielt wie nach der konstantinischen Wende, als mit den nur an der Oberfläche christianisierten Massen das heidnische Element in die Kirche eindrang und sich dort als wenigstens ebenso geschichtsmächtig erwies wie der christliche Gedanke. Auch damals ging es im wesentlichen darum, den ärgsten Aberglauben abzuwehren und ein leidlich purgiertes Heidentum zu taufen.

Des einen oder anderen theologischen Irrtums ist die Theologie bei der eucharistischen Frömmigkeit allerdings nicht ganz Herr geworden. Mit der eucharistischen Anbetung hat sich nämlich ein uneingestandener (kryptogamer) Monophysitismus ergeben, der von Karl Rahner in einem anderen Zusammenhang als die Häresie unserer Tage bezeichnet wurde. Es handelt sich dabei um eine christologische Auffassung, die im Gegensatz zu Arius nur die Göttlichkeit Christi proklamiert und die menschliche Seite des Herrn übergeht. Im Tabernakel und in der Monstranz wird schlechthin "Gott" verehrt. Hören wir noch einmal Waggerl: "Am Fronleichnamstag geht Gott über Land mit Prunk und Glanz", und "Gott sieht den Fleiß seiner Kinder" oder "dann ruht der Herr auf den Altären und läßt sich loben als der starke und große Gott, der er ist." Diese, vorsichtig gesprochen, dogmatische Einseitigkeit, ist aber nicht nur theologiegeschichtlich interessant, sie hat auch ihre Konsequenzen.

Die unüberbietbare Nähe Gottes, die uns in Christus gewährt ist, wird nicht ausgehalten, sondern zurückgewiesen. Die Distanzlosigkeit Gottes wird als Überforderung angesehen, nicht nur, weil der Mensch sich Gott so nicht vorstellen kann, sondern weil eine Distanzlosigkeit zum Mitmenschen damit verbunden ist, Brüderlichkeit genannt. Daher ist es nur zu verständlich, wenn das brüderliche Mahl zu einem relativ unverbindlichen Mysterienspiel degenerieren konnte. Die zur Nächstenliebe verpflichtende Nähe Gottes wird wieder zu einer unnahbaren Ferne, die mehr zu magischer als zu personaler Praxis drängte. Wenn diese Gefahren aufgezeigt werden, soll damit nicht behauptet werden, die Kirche sei ihnen völlig erlegene Die Quellen, aus denen das echt (genuin) Christliche gespeist wird, sind vielfältig, Auch unzulängliche und einseitige Formen können auf das Zentrum hinführen, vor allem wenn sie tendenziell darauf ausgerichtet sind, und das dürfte gerade beim eucharistischen Kult gegeben sein. Generationen haben in ihm ein persönliches Verhältnis zu Christus gefunden und auch die Kraft empfangen, dem Mitmenschen zu dienen. Das enthebt uns nicht der Verpflichtung, uns von überholten Formen zu trennen und zeitgemäße, und vielleicht auch dem ursprünglichen Verständnis angepaßtere Formen zu finden. Dabei muß es nicht darum gehen, das Fronleichnamsfest selbst aufzugeben. Neben dem Gründonnerstag, dessen Abendmahlsfeier eine immer größere Bedeutung für die Gemeinden gewinnt, kann auch noch ein besonderer Tag gerechtfertigt bleiben, der mit gebotener Eindringlichkeit die zentrale Bedeutung der Eucharistie hervorhebt.

Da sich die Frage, "was wird aus Fronleichnam?" aber sogleich auf die Frage, "was wird aus der Fronleichnamsprozession?" zuspitzt, bedarf es hier einer gesonderten Überlegung. Es wurde schon festgestellt, daß die Prozession nicht wesensgemäß mit der Einführung des Festes verbunden war, sondern sich erst später, allerdings dann mit größter Intensität an dieses Fest anschloß. Von seinem Ursprung her kann also das Fronleichnamsfest wohl seinen Sinn behalten, selbst wenn jede noch so minimalisierte Prozession entfällt.

Da, wo Fronleichnamsprozessionen weiterhin durchgeführt werden, präsentieren sie sich für den heutigen Menschen in einer immer noch mittelalterlichen Struktur. Von den dogmatischen Problemen einmal abgesehen, soll aber doch der Frage nachgegangen werden, ob die Prozession nicht modernisiert werden kann. Brockmöller beschreibt einen solchen Versuch in seinem Buch: "Industriekultur und Religion". In der Industriegemeinde eines Bergbaugebietes ist der Gedanke aufgetaucht, an Fronleichnam von der Kirche zur Zeche zu ziehen. Im Buch heißt es: "Als in der Nachbarschaft eine neue Zeche abgeteuft und eine neue Wohnsiedlung mit einer neuen Kirche gebaut wurde und zum ersten Male die Fronleichnamsprozession vorbereitet wurde, trat der Pfarrer der Kirchengemeinde an die Zechenleitung heran, ob sie bereit sei, die Prozession nach dem neuen Vorschlag zu halten, und ob die Zeche, von der ja die Gemeinde lebe, bereit sei, den Altar zu bauen. Nach gehöriger Beratung des Direktors mit den maßgeblichen Herren kam die Gegenfrage der Zechenleitung, ob sie dann diesen Altar mit den Symbolen des Bergbaus bauen dürfe, mit Stempeln des Grubenbaus, mit Grubenlampen anstatt der Kerzen. Mit gegenseitigem Einverständnis baute die Zeche dem Herrgott einen Altar mit den Symbolen des Bergmannslebens. Der Pfarrer mußte neue Gebete formulieren, das Orchester der Bergleute entsprechende Choräle einüben. Erfolg? Am Tage danach sagten die andersgläubigen und religiös abständigen Kumpels ihren katholischen Kollegen voller Respekt: "Das habt ihr prima hingelegt!" Sie hatten erlebt, daß dieser Kult in der ihnen verständlichen Symbolsprache den tieferen Sinn ihrer schweren Arbeit und ihres Berufes gedeutet und ins helle Bewußtsein gehoben hatte. Die Trennungsmauer war durchbrochen. So vergaßen sie den Spott. Der kirchliche Kult war in ihre Welt gekommen und hatte sie lichter und sinnvoller gemacht."

Die so beschriebene Feier ist sicher zeitgemäßer. Dennoch fällt es schwer, dem emphatischen Urteil über den vollends geglückten Kult vorbehaltlos zuzustimmen. Symbole können nicht einfach ausgewechselt oder neu definiert werden, zumal dann nicht, wenn man - ohne alles Werturteil - von einem Verlust des Symbolempfindens sprechen muß. Es kommt hinzu, daß die Prozession einer Epoche entstammt, in der das Gehen und das Schreiten die übliche Form der Fortbewegung darstellte. Der heutige Mensch ist zwar wie sein Vorfahre auch gern unterwegs, aber auf eine ganz andere Art und Weise. Er fährt und sprengt damit auch immer wieder die Enge seines ursprünglichen Wohnbezirks. Seine Prozession ist eher die Autoschlange, die ihn trotz gelegentlicher Stockungen an sehr ferne Ziele bringt. Gerade hier erlebt er seine Überlegenheit über die Natur. Das Gehen ist im Grunde nur noch als Spaziergang gerechtfertigt. Bei der heutigen Einstellung zur Natur ist überdies ein kultisches Umschreiten sinnlos.

Nur als Demonstration oder als Protestmarsch bleibt die "Prozession", Prozession in Anführungszeichen gesetzt, heute noch lebendig. Wenn auch hier bannende und heilsverheißende Töne mitschwingen, sieht man doch in der Demonstration eine intensive Form der Information, des Aufrufs und der kollektiven Aussage. Man will andere aufmerksam machen und damit zu Veränderungen anregen. In diesem Sinne ist auch die Fronleichnamsprozession schon als Demonstration aufgefaßt worden. Während der nationalsozialistischen Zeit haben sich viele Katholiken auf diese Weise öffentlich zu ihrem Glauben bekannt. Da die heutige Öffentlichkeit jeden Aufzug toleriert, erst recht wenn er so farbenprächtig und gewaltlos vor sich geht wie die Fronleichnamsprozession, ist eine Demonstration des Glaubens in dieser Form nicht mehr aktuell. Andererseits besteht die Gefahr, daß dieser Umgang als folkloristischer Brauch und Touristenattraktion gewertet wird.

Wenn die Katholiken an diesem Tag auf die Straße gehen wollen, stände es ihnen im Zuge der Zeit recht gut an, eine Demonstration ihres Glaubens an Christus "das Brot für die Welt" zu veranstalten. Um für andere verständlich zu bleiben, müßten sie dann auf Fahnen, Blumen, Kerzen und Blasmusik verzichten und dafür vielleicht Transparente, Plakate und Handzettel mitführen, auf denen etwa Forderungen und Parolen der päpstlichen Rundschreiben "über den Frieden" und "über den Fortschritt der Völker" ständen. Die Fürbitten, die man an Gott richtete, wären gleichzeitig Resolutionen an die Öffentlichkeit und Aufrufe an die Christenheit selbst. Diese Fronleichnamsprozession hätte den unbestreitbaren Vorteil, daß Außenstehende besser verstünden, um was es geht, und daß auch Nichtkatholiken an ihr teilnehmen könnten. Damit verlöre die Prozession ihren für die Ökumene befremdlichen Charakter. Den Teilnehmern aber würde jedes Mal neu bewußt, daß sie selbst Verantwortung für die geforderten Veränderungen tragen.

Während sich aber eine solche Entwicklung der Fronleichnamsprozession noch nicht abzeichnet, sind viele Gemeinden dazu übergegangen, den Tag mit einer besonderen Eucharistiefeier auf einem großen freien Platz zu begehen. Damit ahmt man das Vorbild des Eucharistischen Weltkongresses in München aus dem Jahre 1960 nach. Dieser Weltkongreß hatte im Unterschied zu seinen Vorgängern als Höhepunkt nicht die große eucharistische Prozession, die im Stil einer Fronleichnamsprozession gehalten wurde, sondern eine Eucharistiefeier auf der Theresienwiese. Damit war ein entscheidender Wandel eingetreten, der sich bereits in einem gemeinsamen Schreiben der deutschen Bischöfe aus dem Jahre 1959 kundtat. Der Episkopat schrieb damals: "Dieser Eucharistische Weltkongreß soll eine `statio orbis` sein, das heißt ein Zusammenkommen der katholischen Welt um Eucharistie zu feiern.... Was in den Jahrzenten der liturgischen Erneuerung gewachsen ist an gewissenhaft durchdachtem und durchformten Vollzug der Heiligen Eucharistie, das wollen wir vollziehen. " Ein Mitarbeiter von Kardinal Wendel, der diesem Kongreß seine Note gab, schrieb noch präziser: "Die hl. Messe selbst soll Mitte und Scheitel des Eucharistischen Kongresses sein.... Auf das Mahl kommt es an! Alle anderen Akte der Verehrung müssen dahinter zurückstehen, so berechtigt und notwendig sie auch sein mögen." So erlebten Hunderttausende aus allen Erdteilen die eucharistische Feier als die höchste Form des eucharistischen Kultes. Sie nahmen tätigen Anteil und unterstrichen ihre brüderliche Verbundenheit durch einen gegenseitigen Händedruck. Das Thema des Kongresses "Pro mundi vita", „Für das Leben der Welt" stellte die Verantwortung der Kirche für die Welt heraus. Als wichtigster Ertrag dieses Kongresses wurde das Wachsen der Bruderliebe angesehen. Das soziale Verhalten der Christen sollte von dem Brudermahl ständig gespeist werden. So konnten die Teilnehmer zu einem Kreuzzug gegen die Not und das Elend in der Welt aufgerufen werden.

Unter ähnlichen Aspekten könnte jede Gemeinde an Fronleichnam ihre `statio` halten. Um die Einheit und Verbundenheit der ganzen Gemeinde zu unterstreichen, wird man sich tunlichst auf einen einzigen Gottesdienst beschränken. Schließlich ist die normale Verteilung der Gemeinde auf verschiedene Gottesdienste an den Sonn- und Feiertagen eine Notlösung. Aus räumlichen und zeitlichen Gründen wird es sich auch weiterhin kaum vermeiden lassen, es sei denn, die Gemeinden werden so groß bzw. so klein konzipiert, daß eine einzige Eucharistiefeier genügt. Das würde aber andererseits die Gefahr heraufbeschwören, Gemeinden zu haben, denen der erforderliche Querschnitt an Begabungen und Charismen fehlt . Selbstverständlich ist es nicht damit getan, die Gemeinde zu einer Großveranstaltung auf einen freien Platz oder in einer Halle zusammenzuführen. Die für unsere Gottesdienste typische Beziehungslosigkeit der Anwesenden wird dadurch nur potenziert. So wie jede größere Gemeinde in Zukunft eine Substruktur braucht, so bedarf auch die Eucharistiefeier der Gemeinde einer Substruktur, etwa in der Form der Hausmessen. Es besteht die begründete Hoffnung, daß von diesen Hausmessen her wichtige Impulse für das Gemeindeleben ausgehen können. Da, wo man sich im kleinen Kreis um den Tisch setzt, um miteinander zu sprechen, auf das Wort der Schrift zu hören und in schlichter Weise das Brot zu brechen, wird das Muster sichtbar, auf das hin auch das Brotbrechen der Gemeinde angelegt sein muß. Andererseits ist es für den kleinen Kreis unabdingbar, in den größeren Rahmen integriert zu werden, um sich nicht abzukapseln und steril zu werden.

Die Verbindung von Hausmesse und Gemeindefeier läßt sich auf die Weise realisieren, daß die geistige Vorbereitung des Fronleichnamsfestes etwa bestehenden oder zu bildenden Kreisen übertragen wird. Sie kommen in den Wochen vor dem Fest zusammen, um Eucharistie zu feiern. Dabei wird ihnen ein Leitthema für Fronleichnam vorgelegt. Jeder Kreis befaßt sich ausführlich damit und erarbeitet eine Stellungnahme. Außerdem schlägt er Fürbitten vor und überlegt, welche Auswirkungen das Fest in der Gemeinde haben soll. All dies wird in geeigneter Form an Fronleichnam in die Eucharistiefeier der Gemeinde eingebracht, wobei sich die Kreise als solche innerhalb der Gemeinde manifestieren sollen.

Der skizzierte Vorschlag ist im Zusammenhang mit den eingeleiteten Reformen von Eucharistiefeiern und Gemeinde zu sehen. Das Fronleichnamsfest ist aus Reformbestrebungen erwachsen. Warum sollte es nicht Ausgangspunkt neuer Reformen sein?