Herbert Leuninger

ARCHIV KIRCHE
1976-1979

1976 - 1979
Buchbesprechungen
kath. Theologie und Kirche

HESSISCHER RUNDFUNK
Frankfurt/Main
2. Hörfunkprogramm (HR2)
Redaktion: Norbert Kutschki

INHALT


Buchbesprechung 10. März 1976

Rudolf Ruppert
LEBENDIGE LITURGIE
EIN LERNPROZESS DER GANZEN GEMEINDE
Frankfurt, 1975, 144 Seiten

Ein Jahrhundertwerk ist getan. Zufrieden lassen Roms Liturgiereformer die Hände in den Schoß sinken. Schon zählt die liturgische Erneuerung nach dem II. Vatikanischen Konzil zu den gelungensten Reformen der Kirchengeschichte.

Dennoch glaubt Rudolf Ruppert in seinem Buch "Lebendige Liturgie - ein Lernprozeß der ganzen Gemeinde" bei Pfarrern und Gemeinden mehr Resignation als Begeisterung über das Neue feststellen zu können. Die bisher treuen Kirchenbesucher finden vielfach in der Kirche keine Heimat mehr, während die kritischen und seltenen Kirchgänger noch keine Heimat gefunden haben. Die größte Enttäuschung verursacht aber die Tatsache, daß es auch eine modernisierte Gottesdienstgestaltung nicht vermocht hat, das stetige Absinken der Zahl der Gottesdienstbesucher aufzuhalten.

Einen entscheidenden Grund für die fehlende Begeisterung sieht Ruppert darin, daß Pfarrer und Gemeinden zu wenig am Prozeß der Liturgiereform beteiligt waren. Man habe sie nur als Ausführungsorgane fertiger Lösungen beansprucht. In den Pfarreien habe ein lebendiger Erfahrungsaustausch gefehlt und er fehle auch heute noch Dabei ist für den Autor Liturgie ein Lebensprozeß, mit dem ein ständiger Lernprozeß einhergehen muß. Dieser Prozeß, an dem das ganze Gottesvolk beteiligt ist, braucht viel Zeit. Weil man damit aber bis auf Ansätze noch nicht weit gekommen ist, kann Ruppert entgegen dem offiziellen Tenor sagen: "Wir stehen eher am Anfang als am Endpunkt einer Entwicklung. Jetzt beginnt die Arbeit erst richtig."

Hierfür muß man die Erfahrungen und Erwartungen der Teilnehmer an den Gottesdiensten kennen; und die sind höchst unterschiedlich. Ruppert belegt dies nicht nur mit den Ergebnissen verschiedenster Repräsentativ-Umfragen, sondern vor allem mit dem Material

von 80 mehrstündigen Explorationsgesprächen mit einzelnen Gottesdienstbesuchern. Ähnliche Erkenntnisse können und müssen in jeder Pfarrei gewonnen werden. Die Hälfte des Buches nehmen praktische Vorschläge ein, wie es in einer Gemeinde zum offenen Erfahrungsaustausch und einem gegenseitigen Lernen kommen kann. Als hierfür dienlich werden Einzel- und Gruppengespräche, Abstimmungsprozeduren und Fragebogenaktionen empfohlen.

Was die einzelnen Gemeindemitglieder von einem Gottesdienst, der ihren Vorstellungen entspricht, erwarten, läßt sich auf keinen gemeinsamen Nenner bringen. Das sieht Ruppert ganz deutlich und zieht daraus den Schluß: "Eine Liturgie für jeden kann kaum noch verantwortet werden, auch wenn man noch so sehr betont, daß alle Getauften zusammen das eine Volk Gottes bilden."

Hier fängt das entscheidende Problem der Gottesdienstgestaltung erst an, daß nicht durch ein differenziertes Angebot liturgischer Feiern lösbar ist. Ruppert scheint sich der Tragweite seiner Aussage nicht bewußt zu sein. Es geht nämlich darum, daß gerade die gottesdienstliche Versammlung ein Zeichen der Einheit sehr verschiedenartiger Menschen setzen soll, die natürlicherweise nicht zusammenpassen. Wenn es aber den Gottesdienst für jeden im Grunde nicht mehr geben sollte, wäre die Einheit nicht mehr vorhanden. Anders ausgedrückt: Der Lernprozeß einer christlichen Gemeinde hat seine wichtigste Phase nicht dann erreicht, wenn die große Verschiedenartigkeit unter den Mitgliedern festgestellt ist und nach Bedürfnissen orientierte Feiern konzipiert werden; der Lernprozeß ist erst dann auf seiner Höhe, wenn die Verschiedenheit zur Basis der Einheit genommen wird.


Buchbesprechung 7. Juni 1976

Gerd Domann / Peter Lippert
VERSÖHNUNG - ENDE DER KONFLIKTE ?
Limburg, 1975,115 Seiten

Hermann Mayer
AUF DER SUCHE NACH SINN UND HOFFNUNG
Limburg, 1975,103 Seiten

Wenn es einem Rezensenten zustünde, Pflichtlektüre zu verordnen - man entschuldige den autoritären Tonfall -,würde ich Bischöfen, Ordinariats- und Oberkirchenräten das Buch "Versöhnung Ende der Konflikte?" von Gerd Domann und Peter Lippert zwischen die Aktenberge legen; obendrein ließe ich es, damit es gelesen würde, mit dem Stempel "streng vertraulich" versehen. Die Kirchenführer müßten nicht einmal alle 115 Seiten studieren; die ersten 45 Seiten genügten. Dort versucht Domann die sozialen Konflikte, wie sie in jeder Gemeinschaft naturnotwendig auftreten zu "rehabilitieren", d.h. sie in ihrer aufbauenden Funktion herauszustellen.

Normalerweise werden Konflikte in einer Gruppe, Gemeinschaft oder Organisation als Störung empfunden. Das ist in der Kirche nicht anders. Wer so denkt, kann sich nach Domann sogar auf eine ganz Gruppe von Sozialwissenschaftlern berufen. In ihrer Sicht ist jeder Konflikt als eine Krankheit anzusehen, die es zu bekämpfen gilt. Wer Konflikte heraufbeschwört, ist ein Störenfried und Abweichler. Besonders ausgeprägt ist diese Auffassung in paternalistischen und autoritären Sozialsystemen, die Sozialkonflikte kaum anders denn als Störungen interpretieren können.

Ganz anders urteilt eine andere Gruppe von Konflikttheoretikern, denen sich der Autor anschließt. Sie werten den Konflikt als einheitsstiftende und stärkende Kraft der Gemeinschaft, als Chance der Veränderung, als "Motor des Lebens". Daher kommt es nicht in Frage, Kritiker und Opponenten aus der Gruppe zu entfernen oder sie gar zu liquidieren. Sie dürfen auch nicht moralisch abqualifiziert und mit Gewalt unterdrückt werden. Fraktionsbildungen, die Minderheiten isolieren, scheiden genauso aus wie faule Kompromisse. Die Gemeinschaft muß vielmehr versuchen, einen entstandenen Konflikt als Anruf zur Reflexion ihrer Situation zu verstehen. Diese Reflexion fordert einen partnerschaftlichen Dialog, in dem nicht die konfliktärmste sondern die bestmögliche Lösung gesucht wird.

Die Grenzen einer Konfliktlösung sieht Domann dort erreicht, wo die Mitglieder einer Gruppe sich nicht mehr auf die gleichen Ziele verpflichtet fühlen. Für diesen Fall ist eine Trennung der Konfliktparteien nicht auszuschließen. Aber, wann geht es schon um einen Zielkonflikt oder die Aufgabe der gemeinsamen Basis? Weitaus vorherrschend sind Auseinandersetzungen um die besten Wege, Mittel und Methoden, um das allgemein akzeptierte Ziel zu erreichen. Das bedeutet aber keine Gefahr für den Bestand der Gemeinschaft.

Ungeübte Konfliktstrategen übersehen aber nicht nur den Unterschied zwischen Ziel- und Methodenkonflikten, sondern auch den zwischen zwei anderen Typen: so sind sorgsam auseinanderzuhalten der sachlich bedingte, soziale Konflikt und der Konflikt, der innerseelisch begründet ist. Ersterer läßt sich auch auf sachliche Weise lösen, bei letzterem bedarf es zur Überwindung fachkundiger Therapie. Er stellt sich zwar als Sachkonflikt dar, verbirgt aber "unter einen dünnen Schicht von Argumenten den latenten Konflikt mit dem eigenen Vater". Der scheinbare Kampf um die Wahrheit entpuppt sich für den, der es durchschaut, als Kampf mit den Autoritäten, die als Vaterfigur herhalten müssen. Aber die "Väter" besonders die hierarchisch abgeleiteten, merken es nicht, sie sind genauso hilflos wie ihre unausgereiften "Söhne".

Soweit Band 24 der Reihe Offene Gemeinde aus dem Lahn-Verlag Limburg. Zum Schluß nur noch ein kurzer Hinweis auf Band 26. Hier holt Hermann Mayer "Auf der Suche nach Sinn und Hoffnung" - so sein Titel - wie ein guter Hausvater Neues und Altes aus der Schatztruhe und zwar für Glaubensgespräche im kleinen Kreis. Als Anregung für den Dialog behandelt er in knapper Form Themen, wie sie wohl in kirchlichen Gruppierungen der 70er Jahre gewünscht wurden und werden.


Buchbesprechung 7. November 1976

Franz Beffart (Herausgeber)
GESCHLECHTSERZIEHUNG INTERDISZIPLINÄR
Grundlegende Informationen für Lehrer
Düsseldorf, 1976 , 170 Seiten

Weder offiziell noch offiziös ist die Veröffentlichung "Geschlechts-erziehung interdisziplinär - grundlegende Informationen für Lehrer. Dabei geht die Zusammenarbeit der acht Autoren auf einen Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz an das inzwischen aufgelöste Katholische Zentralinstitut für Ehe- und Familienfragen in Köln zurück. Das Institut sollte sich mit anderen Stellen darum bemühen, daß die Sexualerziehung in den Schulen in einer Weise geschieht, die einer christlichen Ethik angemessen ist. So machte sich eine Gruppe von Pädagogen, Psychologen, Theologen, Mediziner und Biologen unter der Federführung des damaligen Institutsdirektors Franz Beffart an die Arbeit, die sich über mehrere Jahre hinzog. Die Ergebnisse für Programme zur Lehrerfortbildung gedacht wurden kirchenamtlich nicht übernommen. Dafür hat sie der Düsseldorfer Patmos-Verlag in der Verantwortung der einzelnen Wissenschaftler herausgegeben: zum Selbststudium für Lehrer, aber auch für Erwachsenenbildner, Mitarbeiter in der Jugendarbeit und Sozialpädagogen.

Als Themen werden abgehandelt: Die moderne und traditionelle Sexualethik und -pädagogik, verhaltensbiologische und humangenetische Grundlagen menschlicher Sexualität. Weiter geht es um den Beitrag, den die Psychologie, Tiefenpsychologie und die Sozialwissenschaften zur geschlechtlichen Erziehung leisten. Schließlich wird auch der Versuch unternommen, zur Geschlechtserziehung eine zeitgerechte Moraltheologie zu entwerfen.

Die Autoren haben im Rahmen ihrer Zusammenarbeit einen breiten Konsens erreicht und dabei die Geschlechtserziehung aus christlichem Geist vor eine Fülle von Aufgaben der Analyse, Umorientierung, Normenfindung- und Begründung, der Motivation und Sinngebung gestellt. Der Pädagoge, für den wenigstens hundert verschiedene Lernziele formuliert werden, muß sich nach der Lektüre des Buches völlig überfordert fühlen.

Die wichtigste Forderung an ihn: "Der Lehrer muß seine Geschlechtlichkeit bejahen und integrieren, um sozial- und verantwortungsfähig zu werden." Wie weiß er, ob diese Integration bei ihm gelungen ist? Und wenn sie mißlungen ist, wer kann ihm noch helfen, Prägungen der frühen Kindheit und Pubertät zu verändern? Überdies befindet er sich in keiner besseren Situation wie seine Schüler, die, wie es an anderer Stelle heißt, "was die überzeugende Begründung ethischer Normen betrifft, von der Gesamtgesellschaft im Stich und von der kirchlichen Gemeinschaft weithin ohne Verständnis und glaubwürdige Hilfe gelassen werden." Deutlich wird in dem Buch die mangelnde Übereinstimmung der Wertsysteme der pluralistischen Gesellschaft mit dem des kirchlichen herausgestellt. Die Spannungen, die hierdurch in einem kirchlich orientierten Lehrer heraufbeschworen werden, verstärken sich noch einmal, wenn es darum geht, den Normierungsdruck des allgemeinen Verhaltens in sexuellen Fragen mit Normierungen in Einklang zu bringen, die aus lehramtlichen Äußerungen und der Geschichte der Kirche abgeleitet werden. Wo liegen die Möglichkeiten, diese Spannungen zu überwinden bzw. auszuhalten? Wird kirchlicherseits akzeptiert, wenn der Moraltheologe sagt, es müsse die Tatsache, "daß für die Mehrheit der verantwortlich denkenden und handelnden Christen eine Norm nicht mehr sinnvoll und ihrem Ziel dienlich erscheint, Anlaß sein, die Norm zu überprüfen und gegebenenfalls weiterzuschreiben"? Sicher nicht oder noch nicht, wenngleich die Veränderung auf diese Weise vorangetrieben wird. Hierfür haben Beffart und seine Kollegen ein Beispiel geliefert. Damit ist ihr Buch ein Stück Veränderungsstrategie, auch wenn die darin enthaltenen und vorgesehenen Bildungsprogramme für Lehrkräfte von den Bischöfen nicht abgerufen wurden.


Buchbesprechung 23. Oktober 1977

Norbert Greinacher
GELASSENE LEIDENSCHAFT
Eine notwendige christliche Tugend
Zürich, Einsiedeln, Köln, 1977 (?), 93 Seiten

Hoffentlich sei durch die vorhergehenden Ausführungen deutlich geworden, um was es sich handelt, fragt etwas unsicher Norbert Greinacher in den Schlußbemerkungen seines Büchleins "Gelassene Leidenschaft - Eine heute notwendige christliche Tugend". Dabei läßt sich der Inhalt sehr leicht verstehen, vor allem für einen Leser, der mit der gängigen theologischen Literatur der letzten Jahre einigermaßen vertraut ist. Zwei Zitate, die dies belegen und gleichzeitig eine Zusammenfassung bieten: "Für den Christen dürfte es nicht den geringsten Zweifel daran geben, daß er sich mit ganzer Leidenschaft in dieser Gesellschaft engagieren muß für mehr Gerechtigkeit, für mehr Freiheit, für mehr Frieden." Und einige Zeilen weiter: "Auf der anderen Seite darf der Christ die tröstliche Hoffnung haben, daß eine Vollendung dieser Welt geschehen wird, die nicht von ihm abhängt. Das gibt ihm seine Gelassenheit."

Seinen Reiz bekommt die Veröffentlichung des Benziger-Verlags durch die zahlreich angeführten Schlüsseltexte marxistischer Denker von Marx bis Marcuse. Aber selbst da, wo Greinacher von den Grenzfällen spricht, in denen ein Christ sich gezwungen sehen könnte, zu revolutionärer Gewalt zu greifen, wird er nicht zum Revolutionär, geschweige denn zu einem Sympathisanten des Terrors. Fanatismus ist für ihn das Gegenbild gelassener Leidenschaft.


Buchbesprechung 30. Juli 1978

Gerhard Adler
WIEDERGEBOREN NACH DEM TODE?
Die Idee der Reinkarnation
Frankfurt 1977, 192 Seiten

Eine Variante bisweilen buntscheckiger Jenseitsvorstellungen hat in den christlichen Glauben keinen Eingang gefunden. Bis auf den heutigen Tag ist sie weder für die Predigt noch für die Theologie salonfähig, die Vorstellung von einer Wiedergeburt nach dem Tode, einem wiederholten Erdenleben. Damit ist sie aber nicht erledigt, zumal sie in viele Kreise des Abendlandes eingesickert ist. Ein Beweis: die vielfältigen Publikationen, die die Idee der Re-Inkarnation propagieren.

Von diesen Veröffentlichungen unterscheidet sich die des Rundfunkjournalisten Gerhard Adler beträchtlich. Sie will eine Einführung in das einschlägige Ideengut geben und eine Materialsammlung anbieten, mit den wichtigsten geschichtlichen Zusammenhängen, mit den Argumenten für und wider den Glauben an eine Wiedergeburt oder an eine vorgeburtliche Existenz bekannt machen und schließlich die heutige Bedeutung dieser Lehre verdeutlichen.

Wem dennoch die Beschäftigung mit diesem Komplex kurios erscheinen mag, gibt der Autor zur besseren Motivierung eine moralische Spritze. Die Reinkarnationsidee gehöre zu den großen Themen der Religionsgeschichte und sei eine der bedeutenden Erklärungsmuster für das menschliche Einzelschicksal und das größere Geschehen im All. Schließlich habe das Zweite Vatikanische Konzil die kirchliche Einstellung zu den nichtchristlichen Religionen neu bestimmt und eine größere Gesprächsbereitschaft und Aufgeschlossenheit ihnen gegenüber verlangt. Wem das als Anreiz zur Lektüre immer noch nicht genügt, nehme gemäß Adler zur Kenntnis, daß offenbar das große Bedürfnis nach Deutung unserer Existenz jenseits des Todes in der Kirche nicht hinreichend befriedigt wird.

Dies alles sind sicher keine unwichtigen Hinweise, die einen moderner Theologie zugewandten Leser u.U. die Mühe auf sich nehmen lassen, die geschichtliche Entwicklung und Verbreitung des Gedankens der Wiedergeburt in der indischen Geisteswelt, der europäischen Antike, in anderen Kulturkreisen und schließlich heute zu studieren. Dabei kommt er nicht umhin, sich auch mit Spiritismus, Spiritualismus, Theosophie, Anthroposophie u.ä. zu befassen.

Schnell-Leser können vielleicht auch bald bis auf Seite 169 durchblättern, wo der Autor des Buches "Wiedergeboren nach dem Tode?" (Fragezeichen) die weltanschaulichen Grundprobleme erörtert, wie sie sich, vornehmlich aus katholischer Perspektive ergeben. Adler versucht hier zu erklären, warum die Vorstellung von einen erneuten Erdenleben ihre Faszination auf die unterschiedlichsten Menschen und weltanschaulichen Gruppen unseres Kulturraumes ausübe. Sein wichtigster Grund für Katholiken: Die moderne Seelsorge (Seelsorge hier als kirchliche Arbeit überhaupt verstanden), die moderne Seelsorge, die sich an der aktuellen Theologie orientiert hat, vermag bestimmte Bedürfnisse bei vornehmlich nicht-intellektuellen Gläubigen nicht mehr zu befriedigen; Bedürfnisse, die sich etwa in der bangen Frage äußern, was denn das Schicksal der ungetauft gestorbenen Kinder sei, oder wie es um die Seelen der nicht voll ausgetragenen Embryonen stehe usw. Die klassische katholische Theologie habe auf diese und ähnliche Fragen noch eine Antwort geben können. Sie sei nämlich davon ausgegangen, daß eine menschliche Seele auch ohne den Leib aktionsfähig bleibe. Mittlerweile habe sich aber durch die moderne Bibelauslegung ein Auffassungswandel ergeben, der sich von der bisherigen Vorstellung einer vom Körper trennbaren Seele entfernt habe, Die in der Re-Inkarnations-Literatur angeführten Fakten ließen aber erkennen, daß das anima-separata Modell, also die Vorstellung einer vom Leibe lösbaren Seele, vom empirischen Befund gestützt würde.

Adler, der sich nirgends als Anhänger der Re-Inkarnation zu erkennen gibt, befürwortet eine stärkere Hinwendung zu den überraschenden Fakten spiritistischer Natur, für die weder Naturwissenschaft noch Theologie plausible Erklärungen haben. Vielleicht hat aber gerade die Theologie derzeit noch wichtigere ungelöste Fragen.


Buchbesprechung 8. Januar 1979

Otto Hermann Pesch,(Herausgeber)
EINHEIT DER KIRCHE - EINHEIT DER MENSCHHEIT
Perspektiven aus Theologie, Ethik und Völkerrecht
Freiburg, Basel, Wien 1978, 176 Seiten

Es muß einem schlichten Rezensenten eine diebische Freude bereiten, wenn er unter den Aufsatz eines theologischen Primus "unvollständig" schreiben kann. Diese zugestanden schulmeisterliche Zensur trifft keinen Geringeren als den Jesuiten Karl Rahner. Die Katholische Akademie Hamburg, eine Minderheiteneinrichtung mit ökumenischem Profil, hatte den Dogmatiker Rahner um seinen Beitrag zum Thema "Einheit der Kirche - Einheit der Menschheit" gebeten. Mit der Aufgabe, beides miteinander in Beziehung zu setzen, war dieser in seiner schöpferischen Ausgiebigkeit nicht ganz zu Rande gekommen. Genau damit unterstreicht der berühmte Theologe aber indirekt, daß es im kirchlichen Systemdenken eine Leerstelle gibt. Sie zu schließen hatte die Hamburger Akademie in Verbindung mit dem Fachbereich Evangelische Theologie der Universität mit Weitsicht angesetzt. Herausgekommen ist, wie sich das gehört, ein Buch, das den Titel "Einheit der Kirche - Einheit der Menschheit" trägt und für das Otto Hermann Pesch, kath. Mitglied des Evangelischen Fachbereichs (eine ökumenische Struktur!) als Herausgeber fungiert. Herausgekommen ist aber auch eine Fülle von Anregungen, die das müde Gespräch um die Einheit der Christen aufgrund ihrer Verantwortung der Welt gegenüber beleben könnte.

Neben Rahner und Pesch kommen in dem Band Franz Böckle und Ulrich Scheuner zu Wort. Scheuner stellt die Möglichkeiten und Grenzen der Kirchen im internationalen Geschäft dar, die aber von diesen bei weitem noch nicht ausreichend genutzt werden. Themen, bei denen die Kirchen ein gewichtiges Wort mitzureden haben, sind die weltweite Gerechtigkeit, der Einsatz für den Frieden und die Verwirklichung der Menschenrechte. Nach Scheuner ist die Erwartung, die die Welt, gerade auch die nicht christlich geprägte, immer wieder den Kirchen entgegenbringt, nicht gering. Eine zentrale Aussage des Moraltheologen Böckle geht dahin, daß es eine weitgehende Übereinstimmung von christlicher und humanitärer Ethik gäbe. Daher dürfe die Botschaft des Christentums an die Welt nicht sektiererisch verengt werden. Das Christentum erhebe vielmehr den Anspruch, universale Botschaft für alle Menschen zu sein. Dies könne dann etwa wie im Falle der Abtreibungsdiskussion dahin führen, daß das christliche Ethos eine Platzhalterschaft für wahre, jetzt aber noch nicht erreichbare Humanität übernehmen müsse.

Verantwortung der Kirche gegenüber einer Menschheit, die sich nicht nur nach Einheit sehnt, sondern wie Pesch sagt, durch eine gemeinsame Bedrohung zusammengezwungen wird. Eine "Einheit unter Druck", eine "Einheit der Einförmigkeit", das kann aber nicht die angestrebte Einheit sein. Daraus folgt für Pesch: "Wenn die Einheit der Menschheit Gefahr läuft, nur eine zivilisatorische Einheit zu bleiben, in der die Vielfalt der Kulturen untergeht oder zur Folklore denaturiert, dann muß die Kirche darin Anwalt des Menschen sein, daß sie die Einheit der Menschen vorlebt, die die Vielfalt schützt wie ein altes Kleinod.." Pesch sieht ein Modell kirchlicher Einheit allerdings weniger in einer zentralistisch und uniform zusammengehaltenen Gemeinschaft römischen Stils als im Ökumenischen Rat der Kirchen in Genf, der immerhin als institutionelle und organisatorische Einheit von Kirchen funktioniert, die sich - vorläufig noch - zum Teil gegenseitig ausschließen. Für Rahner ist mit dem Weltrat der Kirchen .zwar noch nicht die Einheit der Kirche gegeben. Für ihn ist er aber ein Beweis dafür, daß zwischen den getrennten Kirchen "eine vorgegebene Einheit geblieben und wirksam ist." Er zieht daraus den zumindest für katholische Ohren ungewöhnlichen Schluß, daß die schon vorhandene Einheit der Kirchen nicht so weit von der noch nicht verwirklichten Einheit entfernt sei. Solche Ansichten sind für das Gespräch zwischen den Kirchen so anregend, daß eine "unvollständige" Rede damit den Rang einer "Unvollendeten" bekommt.