Herbert Leuninger

ARCHIV KIRCHE
1968-1970

1968 - 1970
Buchbesprechungen
kath. Theologie und Kirche

HESSISCHER RUNDFUNK
Frankfurt/Main
2. Hörfunkprogramm (HR2)
Redaktion: Norbert Kutschki

INHALT

 

Buchbesprechung1968

Olivier A. Rabut
Redlichkeit im Glauben
auf der Suche nach einer Spiritualität für die Zeit der Ungewißheit
Freiburg, 1968, 94 Seiten

Man darf dem Geiste Gottes in der Kirche ruhig ein wenig mehr vertrauen, wenn man schon den Mut aufbringt, die unkonventionellen Gedanken des Franzosen Olivier A. Rabut "auf der Suche nach einer Spiritualität für die Zeit der Ungewißheit" zu veröffentlichen. Indes sieht sich der Herder-Verlag genötigt, für das soeben erschienene Buch "Redlichkeit im Glauben" eine Vorbemerkung zu verfassen, die in ihrer Mahnung, den Inhalt dosiert zu gebrauchen, an kirchenamtliche Vorsicht erinnert, dafür aber auch unterschwellig zur Lektüre reizt.

Das Buch ist für Menschen, die auf Grund ehrlicher Überzeugung nicht zu allen Glaubensaussagen der Kirche Ja sagen können, Menschen, die das Christentum ehrlich anerkennen, sich aber wegen ihrer Zweifel an bestimmten dogmatischen Lehräußerungen fragen, ob sie schon noch als Glieder der Kirche betrachten dürfen. Die Auseinandersetzung mit diesem Problem ist insofern überfällig, als spätestens seit dem Konzil die Zahl derer, die sich damit abquälen - Geistliche und Theologen eingeschlossen - , erheblich angewachsen ist.

Strikt weist Rabut die seines Erachtens nach oberflächliche Alternative entweder eine gläubige Zustimmung zur gesamten kirchlich definierten Lehre oder aber überhaupt keine Zustimmung’ zurück. Wer vom Geist des Christlichen angesprochen, vielleicht sogar fasziniert, den Kern bejaht, darf sich der Gemeinschaft der Kirche zugehörig fühlen, auch wenn er aus Redlichkeit noch nicht in allen Punkten mit ihrer Lehre übereinstimmen. Kann.

Ohne die Bedeutung der Dogmen, die der Autor allerdings noch sehr statisch auffaßt, herabmindern zu wollen, schlägt das Buch einen Weg ein, den nicht nur einzelnen, die in dogmatische Nöte geraten sind, sondern einer Kirche, die eine heilsame Krisis durchmacht, von großem Nutzen sein kann.


Buchbesprechung 28. Oktober 1968

Eduard Schick
Offenbarung und Geschichte
Mainz 1968, 94 Seiten

Wilhelm Breuning
Jesus Christus der Erlöser
Mainz 1968, 194 Seiten

Leo Scheffczyk
Der Eine und Dreifaltige Gott
Mainz 1968, 140 Seiten

Wie sehr die katholische Theologie im Konservativen beheimatet ist, zeigen drei Veröffentlichungen aus dem Matthias-Grünewald-Verlag. Diese Feststellung schließt nicht ohne weiteres eine Kritik ein, zumal nicht im Augenblick, wo ein echtes konservatives Gegengewicht zur progressiven Entwicklung so selten zu finden ist.

Zu diesem echten Gegengewicht kann man die Schrift von Eduard Schick: "Offenbarung und Geschichte" zählen. Sorgfältig wird in fünf Vorträgen der heutige Stand der Schriftauslegung dargestellt, die sich überwiegend dem Zustandekommen und dem geschichtlichen Hintergrund der Bibel widmet.

Demzufolge geht es um den historischen Jesus, um die Möglichkeiten und Grenzen der Entmythologisierung, die Wirklichkeit der Auferstehung Christi u.ä.. Die geistige Ruhe, in der die Themen behandelt werden, kann auf Leser, die in diesen Fragen beunruhigt sind, sehr wohltuend wirken. Überdies zeigen diese Vorträge, wie die traditionelle Lehre mit modernen exegetischen Erkenntnissen verknüpft zu werden vermag, ohne daß es sich gequält ausnimmt.

Jenseits der historischen Fragestellung entwirft Wilhelm Breuning in seinem Buch "Jesus Christus, der Erlöser" eine Christologie, die gemäß der Schrift kein Bild von Christus zeichnet, sondern den Weg beschreibt, den Christus bis zur Vollendung beim Vater gegangen ist. Auf diesem Weg, den man mitsehen muß, wenn man Christus als den Lebendigen erkennen will, hat er das Entscheidende getan. Im Grunde ist der Weg, wie er im Philipperbrief geschildert ist, wo es heißt, daß Christus sich entäußerte, gehorsam war bis zum Tod und darum so hoch erhoben wurde und der Herr ist. Bezeichnend ist an dem Weg, daß er vom Sohn gegangen wird, der vom Vater her und zum Vater hin lebt, und in seine personale Beziehung zum Vater ein ungeschmälertes Menschsein aufnehmen kann. Daß nun dieser Sohn gerade als Mensch bis zur Selbstentäußerung im Tod sein Sohnsein durchhält, bedeutet unsere Erlösung.

Breuning bringt in seiner Lehre von Christus viele neue Gesichtspunkte, gerade auch deswegen, weil er sich an der biblischen Grundkonzeption orientiert. Daß er aber die historische Frage nach Jesus und auch die Gottesfrage, mit der wir uns heute so abquälen, einfach überspringt, mag von der Systematik her gerechtfertigt sein, bedeutet jedoch einen Mangel. Insofern löst der Autor sein Versprechen, das er in der Einleitung gibt, nicht ganz ein, wo er sagt, er wolle sich von neuen Fragestellungen inspirieren lassen und intuitiv aus dem Mitleben mit der heutigen Kirche erfassen, was das Schriftwort für die heutige Christusverkündigung bedeutet.

Leo Scheffczyk stellt sich in seiner Arbeit "Der Eine und Dreifaltige Gott" der Gottesfrage. Dabei ist er sich der Schwierigkeit bewußt, heute über Gott zu schreiben. Zwei Gefahren möchte er dabei entgehen, einmal der, durch die Funktionalisierung Gottes auf die menschlichen Bedürfnisse hin die Personalität Gottes aufzuheben, dann der anderen, durch metaphysische Spekulationen ein Wesen Gottes zu formulieren, dem jeder Bezug zum Menschen fehlt. Gott soll also weder zu einem bloßen Objekt, noch zu einer reinen Funktion des menschlichen Lebens werden. Scheffczyk möchte den Gott der Bibel zeigen, der auf den Menschen bezogen ist, aber nicht in dieser Bezogenheit auf den Menschen aufgeht und vor allem nicht seine Personalität verliert.

Dieser Verlust der Personalität Gottes zeichnet sich aber nach dem Autor bei vielen modernen Theologen ab, die Gott nur noch als das Innerste im Menschen gelten lassen wollen. Diese Gotteslehre braucht ebenso wenig wie eine rein metaphysische die in Christus erfolgte Gottesoffenbarung. Gerade aber von hier aus möchte Scheffczyk seine Theologie aufbauen. Er stellt sich damit eine sehr schwere Aufgabe, die als solche klar erkannt und formuliert wird. Aber ist die Aufgabe im Augenblick nicht zu schwer? Die Passagen, in denen es um Gotteserkenntnis, Gottesbeweise und Atheismus geht, lassen es vermuten. Es ist hier wie an anderen Stellen zu sehen, daß der Autor sich zwar in den modernen Problemen auskennt, sie aber in der Bedeutung, die sie für unsere Zeit haben, unterschätzt.

Gerade die Auseinandersetzung mit Robinson (1) - müßte sie eigentlich nicht mit dessen Gewährsmännern geführt werden? - zeigt, daß die theoretischen Mängel, aber nicht die existentielle Not, aus der Robinson schreibt, gesehen werden. Deswegen trifft zwar der Vorwurf des Agnostizismus die Situation, nur wird übersehen, daß hier ein persönliches Erleben Robinsons und vieler anderer dahintersteht. Gott wird tatsächlich nicht mehr erfahren, bestimmt nicht mehr in der üblichen Weise. Deswegen ist die agnostizistische Theorie nur der Reflex unserer agnostizistischen Existenz. Solange Scheffczyk das übergeht, wird er der Theologie unserer Zeit nicht helfen können.


(1) Der anglikanische Bischof John A.T. Robinson hatte in seinem Buch „Honest to God", das 1963 in einer deutschen Ausgabe „Gott ist anders" „Honest to God" erschien, Gedanken von Paul Tillichs, Rudolf Bultmanns (Entmythologisierung) und Dietrich Bonhoeffers (Religionsloses Christentum) aufgegriffen und einen eigenen theologischen Ansatz entwickelt, der sich von der Vorstellung eines. jenseitig agierenden Gottes verabschiedet und Gott vielmehr als in der Tiefe der Existenz anwesend und erfahrbar ansieht.


Buchbesprechung 1969

CONCILIUM
Um die Zukunft der Liturgie
Heft 2, 1969

Tat man gut daran, die römische Liturgie zu verändern, oder wäre es von vorneherein nicht aussichtsreicher gewesen, den Weg ganz neuer Formen für den Gottesdienst zu beschreiten? Diese Fragen stellen sich immer unausweichlicher, nachdem man Erfahrungen mit der einheitlich verordneten Reform gemacht hat. Es ist einigermaßen deutlich geworden, daß weder die Übersetzung der liturgischen Texte in die Muttersprache, noch die Veränderung einiger Zeremonien den Anspruch eines zeitgemäßen Gottesdienstes erfüllen können. Die Taktik der kleinen Schritte führt nicht zum Ziel. Es muß sehr viel unbefangener darauf eingegangen werden, wie das "aggiornamento" des Gottesdienstes auszusehen hat.

Diese Unbefangenheit läßt sich in hohem Maße in der Februarnummer der theologischen Zeitschrift "Concilium" finden, in der es "Um die Zukunft der Liturgie" geht. In den verschiedenen Beiträgen mit Themen wie etwa "Liturgiekrise und Religionskritik", „Wandel und Verbindlichkeit liturgischer Formen", "Liturgietexte für den Menschen von heute", "Bedarf die Liturgie noch der Musik" zeichnet sich eine Richtung ab, die für die Reform viel mehr verlangt, als bisher zugestanden wurde. Diese Richtung gewinnt noch an Eindeutigkeit durch die Entwicklungen in der nichtkatholischen Christenheit.

Wenn auch als absolut unwandelbar die Notwendigkeit herausgestellt wird, daß die Kirche ihr Leben in den gottesdienstlichen Grundfunktionen von Verkündigung und Sakrament vollzieht, bleibt ihr doch ein großer Spielraum für die Realisierung. Dieser Spielraum ist nicht abgesteckt durch die römische Liturgie. Wenn man das über lange Zeiträume in der lateinischen Kirche geglaubt hat, so ist man schuld daran, daß die Gottesdienste so unlebendig geworden sind, und ganze Generationen an der Liturgie vorbeilebten. Die Wahrung der Tradition ist aber nicht gleichzusetzen mit der Konservierung eines bestimmten Stiles, oder auch einer bestimmten Mentalität. So fordert ein italienischer Theologe, Direktor des päpstlichen liturgischen Institutes, daß man um der Bewahrung der wirklichen Tradition willen, die lateinische Komponente unseres Gottesdienstes mit der Geistigkeit, die dahintersteckt, fallenlassen soll. Nach ihm geht es mehr darum, "der Zukunft die Türe zu öffnen, als ein Erbe der Vergangenheit zu wahren."

In dem Artikel "Bedarf die Liturgie noch der Musik" ist es dann ein Musikwissenschaftler, ebenfalls italienischer Herkunft, der für eine Liturgiefeier von morgen fordert, daß sie sich ohne Ironie und Widersprüche in das Programm unserer Wochenende einfügen lassen müßte. Das bedeutet u.a. weniger strenge Feierlichkeit als ungezwungene Festlichkeit. Damit ist keiner billigen Anpassung an die heutige Zeit das Wort geredet, sondern einer notwendigen Verbindung mit der Wirklichkeit, ohne die die kirchliche Gemeinschaft auf die Dauer den Boden unter den Füßen verliert. Unter diesem Aspekt ist die Liturgiekrise eine Existenzkrise der Kirche.


Buchbesprechungen 30. September 1969

Étienne Menard
Kirche gestern und morgen
Frankfurt a. M. 1968, 164 S.

Franz Xaver Arnold u.a. (Hrsg.)
Handbuch der Pastoraltheologie, Bd. II
Freiburg/Basel/Wien 1966

Franz Xaver Arnold u.a. (Hrsg.)
Handbuch der Pastoraltheologie, Bd. III
Freiburg/Basel/Wien 1967

Die integrierte Gemeinde Christliche
Existenz in einer säkularen Welt Heft 1
München 1968 (?)

Karl Johannes Heyer
Briefe an eine Gemeinde
Frankfurt a.M. 1968, 135 Seiten

Nur wenige werden wissen, mit welch klassischem Thema die Theologen befaßt sind, wenn sie sich heute mit betonter Aufmerksamkeit der christlichen Gemeinde zuwenden. Damit geben sie nämlich einer Auffassung von der Kirche den Abschied, die sich im 11. Jahrhundert unter Papst Gregor VII etablieren konnte. Damals, so wert Étienne Menard in seinem Buch aus dem Knecht-Verlag „Kirche gestern und morgen" nach, errang das Papsttum seine zentralistische Stellung, die es trotz aller Rückschläge bis zum Ersten Vatikanischen Konzil immer stärker ausbauen konnte, und die die Weltkirche zu einer einzigen Diözese werden ließ. Diese Entwicklung ging zu Lasten der Bischöfe und der Ortskirchen, die sich immer mehr als Befehlsempfänger denn als Initiativträger verstanden. Bis hinunter zur Pfarrei verlor sich das Gespür dafür, daß die Kirche ein organischer Verband der vielen verschiedenen Ortsgemeinden ist, in denen personale Beziehungen den christlichen Geist lebendig erhalten. Wenn sich jetzt die Aufmerksamkeit von der Institution weg auf die Gemeinschaft verlagert, so kommt nach Menard wieder ursprüngliches christliches Gedankengut auf, das der Kirche mehr Vitalität zu schenken verspricht als die Ekklesiologie eines Gregor.

Diese Vitalität ist aber mehr Verheißung als Wirklichkeit. Daher ist es nicht verwunderlich, wenn sich in der einschlägigen Literatur nur Spuren von ihr vorfinden. Auch der Band III des Handbuches der Pastoraltheologie und Band. II "Kirche in der Stadt", die beide aus dem Herder-Verlag kommend sich mit der Gemeinde befassen, bilden darin keine Ausnahme. Verschiedene qualifizierte Autoren bemühen sich darum, die zeitgemäße Struktur einer Gemeinde aufzuzeigen, die zwischen ihren traditionellen Formen und neuartigen Experimenten hin- und herschwankt; wobei letztere nur mit zaghaften Strichen angedeutet werden. Die Gründe für diese Zurückhaltung sind darin zu suchen, daß der Mut fehlt, die alte Konzeption der Volkskirche aufzugeben, und daß andererseits wirklich neue Experimente mit der Gemeinde zu wenig gemacht werden, bzw. zu wenig bekannt sind, Daher werden ganze Partien der beiden Bände eher die Pastoralgeschichte als die Pastoral interessieren.

Umso gespannter blättert man in der ersten Nummer der Zeitschrift "Die integrierte Gemeinde", erschienen im Verlag Urfeld. Als Autor zeichnet eine ganze Gemeinde, der es um "die Wiederbelebung der aussterbenden Gemeinschaft der Glaubenden" geht. Diese Gemeinde, die betont, daß sie sich selbst trägt ohne Kirchensteuer und staatliche Hilfe, will ein Integrationspunkt sein, wo Glaubenserfahrungen gemacht werden. Dies geschieht mit Hilfe der kritischen Bibelwissenschaft, der man den Einblick in das Leben der frühen Christengemeinden verdankt. Wenn eine Gemeinde die ursprüngliche Gemeindesituation wiederherstellt, erlebt sie, daß die alten Zeugnisse erneut zutreffen. So erfährt sie in den eigenen Reihen, was die Gemeinde des Markus mit der Passion sagen wollte, wie nämlich die Gemeinschaft der Christen Anstoß erregt, den Heiden ausgeliefert in Kongruenz mit dem Leiden Christi steht, den Herrn verratend und selbst auch wieder verraten. Gott ist der einzige, der nicht verrät, und aus dem Verrat aller die Gemeinde am Leben hält.

Wem diese Gedanken fremd sind, darf sich wiederholt sagen lassen, daß man das Phänomen "Gemeinde" nicht studieren kann, sondern selbst erleben muß. Die Lektüre der geschmackvoll aufgemachten Zeitschrift hinterläßt den zwiespältigen Eindruck einer gleichwohl faszinierenden Mischung von Tradition und Fortschritt, von Erweckungschristentum und wissenschaftlicher Haltung, von Provokation und Bescheidung.

Eine Welt trennt diese Zeitschrift von den Briefen, die Karl Johannes Heyer als Pfarrer an seine Gemeinde gerichtet hat, und die der Knecht-Verlag als "Briefe an eine Gemeinde" herausgibt. Einfallsreich verfaßt, offenbaren sie einen sympathischen und aufgeschlossenen Pfarrer. Dennoch erweist er sich als einer konservativen Pastoral verpflichtet, wenn er z.B. schreibt: "Es ist für mich als Pfarrer ein Trost, daß ich durch das Instrument des Pfarrbriefes auch mit denen verbunden bin, die ich in der Kirche nicht erreiche". Diese Schafhirtenmentalität überschattet leider den menschlich und christlich wertvollen Gehalt der Briefe.


Buchbesprechungen 27. Oktober 1969

Josef Thomé
Der mündige Christ
Katholische Kirche auf dem Wege der Reifung
Frankfurt 1968, 192 Seiten

Sartory
Strukturkrise einer Kirche
Katholische Kirche auf dem Wege der Reifung
München 1969, 171 Seiten

Roy/Ingram
Ein Modell von Kirche?
Dokumentation zu den Vorgängen in der Amsterdamer Studentenpfarrei 27.Oktober 1968 bis 6.Februar 1969
Düsseldorf 1969, 274 Seiten

Report über den Holländischen Katechismus
Dokumente Berichte Kritik
Freiburg - Basel - Wien 1969, 230 Seiten

Bless, W. / Leeuwen, H. van
Bildungsarbeit mit dem Holländischen Katechismus
Erfahrungen mit der Glaubensverkündigung für Erwachsene
Freiburg - Basel - Wien 1969, 216 Seiten

Edward Schillebeeckx (Hrsg.)
Christentum im Spannungsfeld
von Konfessionen, Gesellschaft und Staaten
Freiburg - Basel - Wien 1968, 154 Seiten

Das Schicksal des Buches "Der mündige Christ" von Josef Thomé spiegelt auf exemplarische Weise ein Stück Kirchengeschichte wieder. Im Kriegsjahr 1940 verfaßt, bekam es erst im Jahre 1949 die kirchliche Druckerlaubnis. Nachdem dann die erste Auflage vergriffen war, wurde es 1955 indiziert. Wenn es jetzt im Knecht-Verlag herauskommt, kann ihm nur noch die "Bauchbinde" den Ruch des vormals Verbotenen verleihen. Als das Buch verfaßt wurde, entsprach es noch nicht dem allgemeinen kirchlichen Problembewußtsein; als seine Gedanken dringend benötigt wurden, blieb es unzugänglich. Jetzt ist seine Zeit fast vorbei; dennoch bleibt es lesenswert.

Thomé geht von dem Gedanken aus, daß in der Kirche endlich die Nachreifung zum Individualismus erfolgen müßte, die die Gesellschaft schon längst vollzogen hat. Wenn auch die Kirche bislang eine Meisterin der Menschenführung gewesen ist, so hat sie ihre größten Erfolge doch nur mit Menschen einer ursprünglichen Naivität, die in einer vorindividuellen Urgemeinschaft lebten, gehabt. Das Ziel darf aber nur der mündige Christ sein, der die positiven Elemente des Individualismus übernimmt und zu einer zukunftsträchtigen "Wirhaftigkeit" findet. Sie ist eine Absage ebenso an einen Individualismus, der alle Bindungen auflöst, wie an einen Kollektivismus, der das Individuum wieder einzuschmelzen droht.

Testfälle der Mündigkeit ‚sind die Auseinandersetzungen um die Enzyklika "Humanae vitae", den priesterlichen Zölibat und nicht zuletzt auch um den „Holländischen Katechismus".

Mit der Enzyklika über die Geburtenregelung befassen sich in ehelicher Eintracht Thomas und Gertrude Sartory. Der Titel ihres für den Deutschen Taschenbuchverlag geschriebenen Beitrages "Strukturkrise einer Kirche" ist weniger treffend als der Untertitel "Vor und nach der Enzyklika 'Humanae vitae'"; denn es wird in geschichtlicher Abfolge der komplizierte Weg aufgezeigt, der zu diesem bejubelten und abgelehnten Rundschreiben führte, angefangen bei der von Augustinus verteufelten Sinneslust bis hin zu der personalen Schau der Sexualität durch das II. Vatikanische Konzil. Im letzten Kapitel des Buches wird schließlich die kirchliche Strukturkrise besprochen, die dadurch ausgelöst wurde, daß es in der Kirche immer noch ein Denksystem gibt, "das" - so wörtlich, " dem Papst erlaubt, ja das ihn geradezu veranlassen kann, im Alleingang und weithin 'gegen die Kirche' sein eigenes moraltheologisches Urteil als ein göttlich legitimiertes der gesamten Kirche als bindend auferlegen zu wollen".

Einen weiteren Testfall der Mündigkeit stellt der Versuch des Amsterdamer Studentenpfarrers Jos Vrijburg dar, trotz angezeigter Verlobung seine priesterlichen Funktionen auszuüben. Die Auseinandersetzung, die sich aus diesem Versuch entwickelte, erwies sich als bedeutungsvoll nicht für die holländische Kirche allein, sondern auch für die Weltkirche. Die Predigten, die in diesem Zusammenhang gehalten wurden, die Stellungnahmen und Interviews von Bischöfen, Theologen und Laien verdienten es daher, in einer Dokumentation zusammengefaßt zu werden. Die deutsche Ausgabe ist unter dem Titel "Ein Modell von Kirche?" im Patmos-Verlag erschienen und enthält neben den gesammelten Verlautbarungen eine umfangreiche Einführung von Roy und Ingram. Man kann über Anlaß und Ergebnis dieser Auseinandersetzung geteilter Meinung sein, aber der Art und Weise, wie sie vom Episkopat und den Studentenpfarrern geführt wurde, kann man schwerlich seinen großen Respekt versagen. Wie trotz erheblicher Gegensätze der Dialog geführt wurde, offenbart besten Konzilsgeist. Von diesem Gesprächsstil allein her wird verständlich, warum der holländischen Kirche im Augenblick eine führende Rolle in der Kirche zufällt.

Ein "Report über den Holländischen Katechismus", der im Herder-Verlag erscheint, erinnert uns daran, daß dieses wichtige Buch nur nach beachtlichen Schwierigkeiten den deutschen Leser erreichte; natürlich enthält dieser Report, der in Zusammenarbeit mit dem Katechetischen Institut Nijmegen entstanden ist, nicht nur diese an sich überflüssige Episode, sondern alle wichtigen Berichte über die inner- und außerkirchliche Aufnahme des Buches. Wie aktuell dem Herder-Verlag der Holländische Katechismus heute noch vorkommt, zeigt er überdies damit, daß er einen Erfahrungsbericht über die Arbeit mit dem Katechismus veröffentlicht, den die beiden Jesuiten Bless und van Leewen zusammengestellt haben, und der den Tittel trägt: "Bildungsarbeit mit dem Holländischen Katechismus." Das Buch enthält neben den Erfahrungen auch auf den Katechismus abgestimmte Predigten und einen Leseplan, der sich dem Kirchenjahr anpaßt.

Da wir uns so ausführlich mit der holländischen Mentalität befassen, kann hier auch noch das Buch des Herder-Verlages erwähnt werden: "Christentum im Spannungsfeld von Konfessionen, Gesellschaft und Staaten." In ihm sind Beiträge führender ökumenischer Theologen gesammelt. Zwei Zitate mögen für den Inhalt aller Beiträge stehen: Das eine von Schillebeeckx: "Als Sakrament hat die Kirche demnach den Auftrag, sichtbar in der Geschichte vorzuleben, was in der gesamten Menschheit innerlich bereits wirksam ist, aber noch nach einer konkreten äußeren Form sucht." Das zweite Zitat stammt von dem langjährigen Generalsekretär des Ökumenischen Weltkirchenrates Vissert Hooft: "Dank unserer Erfahrungen der letzten Jahre erscheint uns die Möglichkeit eines gemeinsamen Auftretens der Kirchen in der Welt nicht mehr allzu fern."


Buchbesprechungen 13. November 1969

Ludwig Bertsch
Buße und Beichte
theologische und seelsorgerliche Überlegungen
Frankfurt 1967, 120 Seiten

Alois Winklhofer
Kirche in den Sakramenten
Frankfurt 1968, 325 Seiten

Hans Bernhard Meyer
Zeitprobleme - christlich gesehen
Stuttgart 1970, 192 Seiten

Paulus Gerhard Wacker
Hat unser Glaube noch Chancen?
Paderborn 1969, 191 Seiten

Josef Blank u.a.
Weltpriester nach dem Konzil
München 1969, 175 Seiten

Thomas und Gertrude Sartory
In der Hölle brennt kein Feuer
München 1968, 214 Seiten

Wenn die Katholiken jetzt seltener beichten, haben sie auf ihre Weise Konsequenzen gezogen, die die Theologie - wie könnte sie es auch - nicht vorausgeplant hatte. Jetzt obliegt es ihr, nach den Gründen für dieses veränderte Verhalten zu suchen, wie es Ludwig Bertsch in seinem Beitrag für das Buch "Buße und Beichte" aus dem Knecht-Verlag unternimmt. Danach ist "Sünde" bislang zu formalistisch und unpersönlich aufgefaßt worden, weiterhin ist das Verständnis der Sünde als Beleidigung Gottes im Schwinden begriffen, schließlich wird eine von der Kirche geübte Sündenvergebung als problematisch empfunden.

Der Aufsatz von Bertsch ist flankiert von Beiträgen Otto Semmelroths und Bruno Schüllers. Für Schüller, der sich auf den Sündenbegriff einläßt, geht es dabei speziell um ein angemesseneres Verständnis der sogenannten Todsünde wie auch der läßlichen Sünde. Erstere ist die totale Weigerung des Menschen, seine Existenz als Geschenk von Gott anzunehmen, letztere ist eine periphere Entscheidung, die zurückzunehmen der Mensch sich vorbehält, Daß der Mensch zu einer radikalen Entscheidung gegen Gott und damit gegen sein Heil fähig ist, ergibt sich für Schüller unbezweifelbar aus der biblischen Offenbarung. Diese wird aber unzulänglich ausgerichtet, wenn ihr eigentlicher Gehalt, nämlich die umfassende Vergebungsmöglichkeit, nicht als das Primäre verkündigt wird. Ergänzend dazu stellt Semmelroth heraus, daß Vergebung nicht nur eine Komponente auf Gott hin hat, sondern auch auf die kirchliche Gemeinschaft. Die Versöhnung mit ihr ist das sakramentale Unterpfand der Versöhnung mit Gott.

Die hier vorgenommene Betonung der kirchlichen Komponente bei einem Sakrament überträgt Alois Winklhofer auf alle Sakramente. In seinem bei Knecht verlegten Buch "Kirche in den Sakramenten" sagt er, daß die Sakramente zum Leben der Kirche gehören wie der Schlag des Herzens zum menschlichen Leben. Daher möchte er sie davor bewahren, daß sie zu seltsamen Riten verkümmern oder als automatische Gnadenvermittler angesehen werden. Dieser Gefahr ist dann zu begegnen, wenn man den Blick nicht nur auf das zu setzende Symbol und sein Deutewort richtet, sondern auch die entscheidende persönliche Funktion von Spender und Empfänger mit berücksichtigt. Sie treten bei jedem Sakrament in ein besonderes Verhältnis zueinander, das Winklhofer folgendermaßen beschreibt: "Spender und Empfänger eines Sakramentes tun sich zu einem in der Ehe unauflöslichen, in den anderen Sakramenten zu einem vorübergehenden Bund zusammen, mit ihrem jeweiligen Beitrag... In diesem Bund stellen der Spender Christus, der Empfänger die Kirche dar, und in diesem Bund ist Kirche gegenwärtig in der Kraft des sakramentalen Zeichens."

Das Buch setzt im Grunde ein ungebrochenes Verhältnis des heutigen Menschen zu Kirche, Kult und Sakramenten voraus. Da dies aber wohl nicht mehr vorhanden ist, darf man sich nicht wundern, wenn man die im Vorwort verheißenen kühnen, ja sogar gewagten Gedankengänge schwerlich entdeckt.

Noch weniger kühn wirken die Antworten von Hans Bernhard Meyer auf Fragen, die Leser der österreichischen Wochenzeitung "Der Volksbote" an die Redaktion gerichtet hatten. Es wird biedere Hausmannskost geboten, die vom Charakter der überholten oder sogar abwegigen Fragen bedingt zu sein scheint. Welchen Horizont kann ein Theologe Lesern gegenüber aufreißen, die fragen: "Gibt es Stimmen aus dem Jenseits?" "Reform der Ordenstrachten - ja oder nein?"; "Soll ich in der Fronleichnamsprozession mitgehen?" oder: "Darf ich mir ein Horoskop stellen lassen?" Immerhin hat sich der Schwabenverlag einen hinlänglich großen Leserkreis versprochen, wenn er die Sammlung der Fragen und Antworten als "Zeitprobleme - kritisch gesehen" herausgibt.

Mögen dieser Art Fragen auch noch einen Großteil von Gläubigen beschäftigen, so geht es doch mittlerweile um nichts weniger, als was ein Buchtitel des Schöningh-Verlages ausdrückt: "Hat unser Glaube noch Chancen?" Das Buch umfaßt Referate von Paulus Wacker mit den Themen: "Ändern sich die Dogmen?" "Kirche und Lehramt - Hindernis oder Hilfe meines Glaubens?" "Muß die Kirche konservativ sein?" Dabei spricht er von einem "dynamischen, ja schöpferischen Bewahren", von einem Traditionsbewußtsein, das immer schon Mut zum Fortschritt und kritische Auseinandersetzung mit dem Hergebrachten einschließt. Das Buch schließt bezeichnenderweise mit dem Abdruck der Eingabe, die namhaft Theologen an den Papst gerichtet hatten, um für die Freiheit der Theologen und der Theologie zu plädieren.

Diese Freiheit nehmen sich die Autoren der beiden folgenden Bücher, die ohne kirchliche Druckerlaubnis erschienen sind. Zunächst ein Tagungsbericht, den der Kösel-Verlag unter dem Titel "Weltpriester nach dem Konzil" verlegt. Der erste und wohl auch wichtigste Beitrag dieses Buches stammt von dem Exegeten Josef Blank. Er geht auf die Frage ein, ob der Begriff "Priester" für den damit bezeichneten kirchlichen Leitungsdienst angemessen ist. Nach ihm ist es von der Bibel her nicht gerechtfertigt, diesen kultisch-ritual belasteten Begriff zu verwenden. Dem heutigen Verständnis der kirchlichen Leitungsfunktion ist er ebenso wenig angemessen. So kann Blank sagen: "Dieser Heilsdienst an der heutiger Welt ist aber wirkungsvoll vom traditionellen Verständnis des Ordo her nicht mehr zu leisten, und zwar weil dieser noch immer vorherrschend an der Kultgemeinde orientiert ist, dagegen nicht am Modell der Kirche in der Welt und für die Welt."

Diese Ausführungen finden eine vorzügliche Ergänzung aus der soziologischen Perspektive durch Osmund Schreuder. Wenn die Kirche beweglicher werden will, muß sie von der einseitig traditionell und juridisch aufgefaßten Autorität abgehen, ebenso von einer Machtkonzentration an der Spitze. Nicht weniger wichtig ist es außerdem, die durch hierarchische Einflüsse verstopften Kommunikationskanäle von unten nach oben und von oben nach. unten zu reinigen und zu öffnen.

Weitere Beiträge stammen von Rahner, Klostermann und dem Psychologen Görres, der mit quengeligen Ausfällen gegen die moderne Theologie aufwartet.

Die also angegriffene moderne Theologie wird nun von Thomas und Gertrude Sartory voll und ganz aufgenommen und verarbeitet in ihrem Buch aus dem Kindler-Verlag „In der Hölle brennt kein Feuer". Man lasse sich nicht durch den schlecht gewählten Titel irritieren. Zwar wird das Höllenthema ausgiebig behandelt, es ist aber mehr der Anlaß, um einen Überblick über den Stand einer Theologie zu geben, die auch in der katholischen Kirche immer mehr en Boden gewinnt.

So beginnen die Autoren damit, das Fortleben einer unsterblichen Seele und die leibliche Auferstehung als Inbegriff dessen, was für den Christen nach dem Tode kommt, in Frage zu stellen. Nach ihnen gehören die Auferstehung des Leibes und die Unsterblichkeit der Seele nicht zu den Vorstellungen, mit denen der Glaube steht und fällt. "Die Größe des Christentums", so heißt es auf Seite 56, "ist nicht, daß es jeden Menschen für unsterblich erklärt, sondern jeden Menschen für fähig hält, ein ewigkeitsträchtiges Leben zu leben." Ergänzend steht auf Seite 208: "Ewiges Leben ist nicht etwas Futurisches, ein Jenseitszustand, der erst nach dem Tode beginnt, sondern qualifiziert das Leben eines Menschen als von göttlichen Antrieben (zu der 'Liebe') bestimmt." Damit bedarf es für die Auferstehung Christi und erst recht für die Hölle einer entsprechenden Interpretation: d.h. für den Höllenglauben gibt es nur eine Möglichkeit, sich nämlich von ihm zu distanzieren, zumal Jesus am Thema "Hölle an sich" nicht interessiert gewesen zu sein scheint.

Thomas und Gertrude Sartory wagen sich weit vor, für viele sicher zu weit. Ihr Vorgehen kann kaum besser charakterisiert werden als durch ein Zitat des Theologen Gregory Baum, das gegen Ende des Buches, wo es um das Lehramt und die Einheit des Glaubens geht, angeführt wird: "Der katholische Theologe von heute ist entschlossen, sich auf bestimmte theologische Forschungen versuchsweise einzulassen, wenn auch einige seiner Ergebnisse und Schlußfolgerungen möglicherweise nicht mit der offenkundigen Meinung des letzten Konzils oder auch päpstlicher Enzykliken in Einklang stehen"


Buchbesprechung 1969

Gottfried Hierzenberger
Der magische Rest
Ein Beitrag zur Entmagisierung des Christentums
Düsseldorf 1969, 367 Seiten

So wie der Mensch im körperlichen Bereich ein Museum fossiler Elemente ist, die auf seine Verwandtschaft mit Fischen, Reptilien und Vögeln hinweisen, erweist er sich auch auf der geistig-religiösen Ebene als ein wandelnder Antiquitätenladen. Im Gegensatz aber zu den verkümmerten Organen und Muskulaturen, die keine erkennbare Funktion mehr haben, spielen die religiösen Erinnerungsstücke immer noch eine beachtliche Rolle, gerade im Leben der Kirche. Das ist umso erstaunlicher, als diese Elemente einer Kulturstufe und damit einer Weltanschauung und Religiosität entstammen, die schlechterdings überholt sind; handelt es sich doch hier um die magische Mentalität. Sie geht von der Vorstellung aus, daß die Welt, der Mensch und die Gottheit eine große Einheit bilden mit wechselseitigen, genau festgelegten Abhängigkeiten und Einflüssen. Kennt man diese Zusammenhänge, so ist man auch in der Lage durch Riten, Sprüche und Zeremonien das an sich Unfaßbare in den Griff zu bekommen und seinen Zwecken dienstbar zu machen.

Schon auf der nächsten Stufe der Religiosität, wo sich der Mensch bewußt wird, daß die Gottheit unverfügbar und frei ist, muß das Vertrauen auf Magie grundsätzlich zusammenbrechen. In geradezu diametralem Gegensatz aber zu jeder Magie steht die personale Öffnung, die Jesus Christus auf das Kommen Gottes in die Welt hin gebracht hat. Wenn es dennoch magische Elemente in Christentum und Kirche gibt, dann kann es sich, wie Gottfried Hierzenberger in seinem bei Patmos erschienenen Buch "Der magische Rest" darlegt, nur um eine Art "Überhangsmagie" handeln, d.h. um Magie sekundärer Form, die unzulässigerweise neben den berechtigten religiösen Formen besteht.

Auf diesen magischen Rest in der Kirche - in der katholischen Kirche- hat es Hierzenberger abgesehen, da hier das Christentum unnötig und bedenklich depraviert werde. Die Wurzeln dafür kann er nicht erst aus dem 4.Jahrhundert nachweisen, als die Massen in die Kirche einströmten und ihre heidnischen Vorstellungen als Mitbringsel einschmuggelten, sondern bereits aus der frühen Zeit, als Judaismus, Gnosis und Hellenismus ihre unverkennbaren Spuren hinterließen.

Wenn Magie, auch als Überhangsmagie, Abfall vom Christlichen ist, muß sie aufgespürt, beim Namen genannt und neutralisiert werden. Wer allerdings glaubt, daß sich magisches Denken und Verhalten nur in den Randbezirken des kirchlichen Lebens zeigt, wird von Hierzenberger eines Besseren belehrt. Bis in den innersten Bereich von Theologie und Sakramentenfrömmigkeit läßt sich Magisches feststellen. Es ist überall da, wo das Religiöse zu sehr institutionalisiert, wo Vorläufiges verabsolutiert, wo Personales versachlicht, wo Geistiges verdinglicht, wo freie Initiative ritualisiert, wo Ethisches verrechtlicht, wo Gott im Letzten manipuliert wird. Die Kritik, die Jesus seinerzeit an diesen Verfestigungen geübt hat, ist heute immer noch aktuell.

Diese Aktualität zeigt sich in aller Deutlichkeit, wenn man die einzelnen Kapitel des Buches "Der magische Rest" durchgeht. Sieht man die Bibel als den für alle Zeiten und in jedem Wort gleich gültigen Ausdruck des unveränderlichen Willens eines absoluten Gottes an, so liegt hier der Ansatz für eine Wortmagie vor. Wird der Amtsträger in der Kirche im Gegensatz zum Neuen Testament zum Mittler zwischen Gott und Mensch, der mit besonderen Gnadenkräften ausgestattet ist, so ist das Amtsmagie. Werden die Sakramente als Gnadenmittel verstanden, die übernatürliche Kräfte zuführen, so muß das als Sakramentsmagie bezeichnet werden. Spricht man von einem unabänderlichen Naturrecht (siehe Geburtenkontrolle), und wird ethisches Verhalten, mit dem Einhalten von Normen und Gesetzen identifiziert, so betritt man den Bannkreis der Moralmagie. Konserviert man schließlich Terminologien und Vorstellungen früherer Zeiten als unüberholbar, so ist man der Gefahr der Theologie-Magie erlegen.

Dieser kurze Überblick zeigt, wie brisant das Thema ist, das Hierzenberger ohne falsche Rücksichten aufrollt. Auf weite Strecken hat er die ursprünglich protestantische Kritik an der katholischen Kirche aufgenommen und damit zu einer innerkirchlichen gemacht. Letztlich fordert er den emanzipierten, mündigen Christen, der sich nicht durch das geheimnisvoll Magische, das Sakrale, das Heteronome und Autoritäre in unwürdiger Abhängigkeit halten läßt. Diese Forderung korrespondiert nicht nur mit dem modernen, sondern ebenso mit dem biblischen Menschenbild. Wo dieses magisch verzerrt ist, bedarf es der Korrektur, die auch beim heutigen Entwicklungsstand der Kirche noch äußerst schmerzlich sein wird.


Buchbesprechungen 1969

Gerhard Schmidtchen
Gibt es eine protestantische Persönlichkeit?
Zürich 1969, 49 Seiten

Albert Brandenburg
Martin Luther gegenwärtig
katholische Lutherstudien
München 1969, 159 Seiten

Karl Gerhard (Hrsg.)
Luther für Katholiken
München 1969, 409 Seiten

Theodor Schneider
Gewandeltes Eucharistieverständnis?
Einsiedeln 1969, 62 Seiten

Bertsch/König/Kalteyer
Eucharistie und Buße der Kinder in der Gemeinde
Frankfurt/Main 1969, 282 Seiten

Günter Stachel
Die neue Hermeneutik
Ein Überblick
München 1968, 155 Seiten

Günther Schiwy
Weg ins Neue Testament
Paulusbriefe. Kommentar und Material
Würzburg 1968, 418 Seiten

Katholiken unterscheiden sich nicht unerheblich von Protestanten, so daß von einem katholischen respektive einem protestantischen Lebensstil gesprochen werden kann. Zu diesem Ergebnis kommt Gerhard Schmidtchen in einem Vortrag mit dem Thema "Gibt es eine protestantische Persönlichkeit?"

Dieser Vortrag erscheint in der Reihe Arche Nova des Verlages Die Arche Zürich. Danach sind Protestanten neugieriger als Katholiken, neigen eher zu Ordnungstätigkeiten, werden leichter von Fernweh gepackt und fühlen sich stärker von sozialen Utopien angesprochen. Diese und ähnliche Feststellungen belegt Schmidtchen nicht nur mit soziologischen Untersuchungsergebnissen, sondern erklärt sie auch mit weltanschaulichen Gegebenheiten. Der Protestant sei viel mehr auf sich selbst verwiesen und müsse von Fall zu Fall entscheiden, während sich der Katholik eher von der kirchlichen Gemeinschaft und ihrer Autorität getragen wisse.

Einmal mehr zeigen sich in diesen Unterschieden die verborgenen Nachwirkungen der Reformationstat Martin Luthers. Gleichwohl kann, wie der katholische Theologe Albert Brandenburg in seinem bei Schöningh verlegten Buch, "Martin Luther gegenwärtig" hervorhebt, von einer Eindeutigkeit der Interpretation Luthers und seines Werkes weder bei Protestanten noch bei Katholiken die Rede sein. Der Band enthält mehrere Studien zur Theologie Luthers und einen längeren Forschungsbericht über die zahlreichen Luther-Interpretationen. Dabei spricht Brandenburg von einer wahren Entdeckerfreude der katholischen Forscher in bezug auf Luther. Das wird umso verständlicher, als das II. Vatikanische Konzil Grundanliegen Martin Luthers integriert hat. Hierfür zitiert Brandenburg den bekannten Kirchengeschichtler Joseph Lortz: "Diese katholische Kirchenversammlung hat unter denkbar liberaler, so bisher nirgends realisierter Mitarbeit evangelischer Theologen, Luther, ohne ihn zu nennen, in vielen seiner Anliegen zum Siege kommen lassen. Das ist eine schlechthin epochemachende Wende."

In diese Phase der Aneignung paßt eine Sammlung von Schriften Martin Luthers, die der protestantische Theologe Karl Gerhard Steck im Kösel-Verlag unter dem Titel "Luther für Katholiken" herausgibt. Steck begründet den gewählten Titel damit, daß Luther eigentlich immer nur für Katholiken geschrieben habe, und zwar gerade der Luther von und seit 1517. Der Leser soll anhand der polemischen Schriften, denen der Herausgeber einen besonders hohen Erkenntniswert beimißt, den letzten großen Versuch erleben, "die alte Wahrheit der Christenheit", wie es in der Einleitung heißt, "auf eine neue, seiner Gegenwart angemessenen und verständlichen Weise zu sagen, während die Christenheit seither dieser Aufgabe nicht mehr gewachsen war."

Den meisten Raum in diesem Buch nehmen Luthers Äußerungen zu Messe und Abendmahl ein. Dazu schreibt Steck: "Am Aufbruch des neuen Konzilskatholizismus, für den der eucharistisch-sakramentale Bereich ja sehr wesentlich ist, müßte sich ergeben, ob zwischen Luthers ursprünglichen Einsichten und Anliegen in der Sakramentsfrage und dem, was der ganzen Christenheit hier neu aufgegeben ist, eine fruchtbare Verbindung herzustellen ist."

Wer Luthers diesbezügliche Texte und entsprechende katholische Literatur liest, kann beachtliche Verbindungslinien feststellen. Als Beispiel eine Veröffentlichung des Benziger-Verlages "Gewandeltes Eucharistieverständnis" von Theodor Schneider: Er kommt auf die Kritik Luthers an der Messe zu sprechen, ordnet sie als die entscheidende Bemühung ein, die ursprüngliche Reinheit der Einsetzung des Herrn gegen alle späteren Wucherungen zurückzuerobern. Nach einem überstarken Anbetungskult komme die katholische Kirche wieder zu dem schlichten Verständnis des Herrenmahles zurück, bei dem die brüderliche Gemeinschaft in Christus ihren tiefsten Ausdruck findet.

Aus dieser Sicht ist das Werkbuch von Bertsch-König-Kalteyer "Eucharistie und Buße der Kinder in der Gemeinde" geschrieben. Es erscheint im Verlag Josef Knecht und bietet neben einem theoretischen Teil, in dem die Rolle der Eltern als Erzieher zum Glauben stark hervorgekehrt wird, konkrete Hinweise für den Unterricht, für Wortgottesdienste und Elternabende. Als Ergänzung dazu sind Werkblätter für die Kinder und für die Eltern Briefe und Werkbogen beigefügt. Die konsequente Ausrichtung der Unterweisung auf die christliche Gemeinschaft verschafft dem Werkbuch einen beachtlichen Vorsprung vor anderen Arbeitshilfen, die sich nur ungenügend von einer individualistischen Sicht von Buße und Eucharistie befreit haben.

Was das Verhältnis der katholischen Theologie zur Reformation betrifft, so verdankt sie ihr besondere Impulse für die Auslegung der Schrift. Auf diesem Gebiet besteht noch ein großes Gefälle. Wenn daher Günter Stachel "Die neue Hermeneutik" beschreibt - so lautet auch ein Buchtitel aus dem Kösel-Verlag -, so muß er im wesentlichen über nichtkatholische Entwürfe einer Lehre von der Auslegung der Schrift informieren. Wo es schließlich um die katholische biblische Hermeneutik geht, besteht deren Aufgabe darin, "den Problemstand der evangelischen Hermeneutik ins Katholische zu übersetzen." Den besonderen katholischen Beitrag für die Hermeneutik sieht Stachel in der Betonung der Funktion, die die Kirche für die Schriftauslegung hat.

Zum Schluß noch ein Hinweis auf eine katholische Auslegung der Paulusbriefe. Im Rahmen des Kommentarwerkes aus dem Echter-Verlag "Weg ins Neue Testament" hat Günther Schiwy für den dritten Band die Paulusbriefe übernommen. Es handelt sich um einen auf den neuesten Erkenntnissen aufbauenden Kommentar, der den biblischen Text fortlaufend paraphrasiert und zum besseren Verständnis ergänzt. Besonders wichtig sind häufig Einschübe, die Originaltexte aus der christlichen, jüdischen und hellenistischen Welt der damaligen Zeit bringen. Schneller und gründlicher als durch langatmige Erklärungen findet man sich durch sie in die geistige Umgebung von Paulus versetzt. Diese Texte sind für den aufmerksamen Leser, gerade, wenn er kein Experte ist, ein nützlicher Ersatz für eine umfangreiche Literatur.


Buchbesprechung 8. November 1970

CONCILIUM
Strukturen der Präsenz der Kirche in der Welt von heute
Heft 10, Oktober 1970

Die internationale Zeitschrift für Theologie CONCILIUM, bekannt für ihre ökumenische Weite, läßt in ihrem neuen Heft nur katholische Theologen zu Wort kommen. Fast sieht es so aus, als könnten Theologen anderer Konfession nicht mehr helfen, wenn es wie in diesem Heft um die Struktur und die Verfassung der katholischen Kirche geht. Sie haben sich im Laufe der Jahrhunderte erheblich gewandelt. Daher gibt es auch keinen plausiblen Grund, warum sie sich nicht weiter wandeln sollten. Das ist umso notwendiger, als ihr heutiger organisatorischer Aufbau höchst unangemessen ist. Dieser Umstand ist nicht zuletzt verantwortlich für die große Unruhe, von der die katholische Kirche geschüttelt wird.

So wenigstens sieht es der amerikanische Soziologe Andrew Greely in seinem Beitrag. Für das, was auch in der Kirche notwendig ist, zitiert er die berühmte Formel des modernen Managements: "Jedermann, dessen Mitarbeit für die erforderliche Durchführung einer Entscheidung notwendig ist, sollte beim Zustandekommen dieser Entscheidung konsultiert werden." Dafür gibt es zwei schlichte Gründe: Die einfachen Mitglieder einer großen Gruppe stehen den Problemen am nächsten und verfügen über deren konkretes Verständnis. Weiterhin darf angenommen werden, daß dieselben einer Entscheidung viel eher zustimmen, bei deren Zustandekommen sie beteiligt waren. Diese Beteiligung zu ermöglichen, ist demnach eine Frage der Vernunft.

Außerdem muß zur Kenntnis genommen werden, daß sich die Rolle der Führerschaft seit dem Mittelalter sehr gewandelt hat. Damals konnte ein Einzelner ohne weiteres über die Voraussetzungen verfügen, um für alle Probleme der Gemeinschaft eine Lösung zu finden. Für die Untergebenen genügte es vollauf, der besseren Information und höheren Klugheit des Führenden zu vertrauen. Heute kann keine einzelne Person mit ihren beschränkten Informationen und Fähigkeiten für eine Großgruppe eine sachgerechte Entscheidung fällen. Die Zeit einsamer Beschlüsse ist vorbei. Jeder verantwortlichen Entscheidung muß ein differenzierter kollegialer Prozeß vorausgehen. Bei dieser kollektiven Meinungsbildung fällt dem Führenden der Vorsitz zu.

Dieses Modell läßt sich umso leichter auf die Kirche übertragen, als Karl August Fink in einem geschichtlichen Beitrag feststellen kann, daß eine Hinwendung zu einer kollegialen Verfassung nur die Rückkehr zu alten kirchlichen Strukturen ist. Darüber hinaus war dem Mittelalter der Satz geläufig: "Was alle angeht, muß von allen gebilligt sein." Wie weit hat sich die römische Kirche von diesem Prinzip entfernt, und wie nahe kommt dieser Grundsatz der Formel für ein zeitgerechtes Management!

Buchbesprechungen 1970

Jean Daniélou
Rebellion und Kontemplation
Zürich 1969, 45 S.

Franz König
Das Abenteuer des Dialogs
Zürich 1969, 47 S.

Richard Hauser
Was des Kaisers ist
Frankfurt a.M. 1968, 268 S.

"Was die heutige Jugend erwartet, sind Denker - Geistliche und Laien -, die mit der Macht des Glaubens die Abgründe ausleuchten, vor denen der moderne Mensch steht. Dies ist eine Aufgabe des Dialogs." So schreibt Jean Danielou, seit 1969 Kardinal und als solcher wichtiger Berater des Papstes. Sein kurzer Beitrag, der von dem Verlag der Arche unter dem Titel "Rebellion und Kontemplation" herausgegeben wird, ist aber alles andere als ein Beitrag zu dem geforderten Dialog. Bei mehr als einem Pamphletisten zuzustehendem Eifer rechnet er mit den progressivem Strömungen in der Kirche ab. Seine Vorbehalte gegen viele moderne Aussagen in Ehren, aber muß die Auseinandersetzung in der Kirche wieder auf den Sand vor dem Konzil zurücksinken? Danielou schreibt: "Es ist dringend nötig, solange es noch Zeit ist, und solange die. Verheerungen erst in den Anfängen sind, jene Geistesströmung zu verurteilen, die sich areligiöses Christentum nennt..." Oder: "Es wird Zeit, daß das Volk Gottes seine Wut herausschreit…" Oder: "Die riesige Masse des christlichen Volkes, die überwältigende Mehrzahl der Priester haben genug von den paar Klerikern, die die Mörder des Glaubens sind." Danielou ist sich wohl der Ironie nicht bewußt, die darin liegt, daß er anerkennend auf Teilhard de Chardin zu sprechen kommt, einen Theologen, der seinerzeit die bittersten Erfahrungen mit dem vorschnellen Ungeist kirchlicher Verurteilung machen mußte.

Danielou sollte mehr Maß nehmen an seinem Kollegen, dem Kardinal Franz König, der eher das zu erfüllen scheint, was Danielou bezüglich des Dialoges fordert. Ohne sich mit allen Zeitströmungen zu identifizieren, bleibt König ein Mann des Dialoges. Einige grundsätzliche Auslassungen über diese Haltung sind als "Das Abenteuer des Dialogs" ebenfalls im Verlag der Arche erschienen. "Um das gegenseitige Mißtrauen zu zerstreuen", schreibt König, "um die Herzen der Menschen einander näher zu bringen, brauchen wir den Dialog..." Auf ihn kann er sich umso gelassener einstellen, als er von der Überzeugung getragen ist, "daß die Wahrheit siegt."

Aus diesem Geist scheint auch Richard Hauser sein Buch aus dem Knecht-Verlag "Was des Kaisers ist" geschrieben zu haben, in dem er in zehn Kapiteln die christliche Ethik des Politischen abhandelt. Es ist ein konservatives Buch, das mit jugendlichen Lesern kaum rechnen kann, zumal es sich der gängigen Soziologensprache enthält. Bereits die vielen Zitate eines Thomas von Aquin und eines Augustinus zeugen von der tiefen Verwurzelung des Verfassers in der Tradition. Mit der Voraussetzung, daß Wahrheit nicht deshalb an Aussagekraft verliert, weil sie schon vor Jahrhunderten artikuliert wurde, untersucht Hauser die verschiedenen Bereiche des Politischen wie Staat, Macht, Autorität und politischen Gehorsam auf ihre ethische Relevanz hin. Dabei gibt es für ihn keine politische Sondermoral, wohl aber die Anwendung christlicher Prinzipien auf den besonderen Sachbereich. Hierzu gehört die These, daß der einzelne Mensch immer auch mehr ist als Angehöriger irgendeiner Gemeinschaft inklusive des Staates, und daß über dieses Mehr die betreffende Gemeinschaft nie verfügen darf. Hauser belegt diese Auffassung mit einem Zitat von Thomas: "Der Mensch ist auf die politische Gemeinschaft nicht seinem ganzen Wesen und all dem Seinigen hingeordnet." Daher hat der Staat niemals das Recht, den Menschen total für sich in Anspruch zu nehmen. Wer um die Tendenzen einer völligen Politisierung aller Lebensbereiche weiß, findet in diesen und ähnlichen Zitaten der alten Theologen ein erstaunliches Maß an moderner Ideologiekritik.


Buchbesprechung 1970

Peter Lengsfeld
DAS PROBLEM MISCHEHE
Einer Lösung entgegen
Freiburg, 1970 , 232 Seiten

1. Besprechung
nach dem Motu proprio "Matrimonia mixta" von Papst Paul VI. vom 31. 3. 1979 und vor Veröffentlichung der "Ausführungsbestimmungen zum Motu Proprio über die rechtliche Ordnung konfessionsverschiedener und religionsverschiedener Ehen" der Deutschen Bischofskonferenz vom 23. 9. 1970.

"Die Zeit ist überreif für eine Lösung!" schreibt der Direktor des Katholisch-Ökumenischen Institutes der Universität Münster, Peter Lengsfeld, in seiner Untersuchung "Das Problem Mischehe". Damit stellt sich Lengsfeld der Tatsache, daß die Kirchen nicht verhindern konnten, daß unter 10 Millionen Ehen ein Viertel sogenannte Mischehen sind, die aufgrund kirchlicher Vorbehalte und Sanktionen in einer großen Konfliktspannung stehen. Trotz aller theologischen Einwände, die bis auf den heutigen Tag vorgetragen werden, deckt sich nach Lengsfeld das Verhalten der Kirchen nicht mehr mit dem Anspruch der Wirklichkeit.

Sorgsam werden in dem Buch die Unterschiede geprüft, die einer menschlich und theologisch gleichermaßen vertretbaren Lösung des Mischehenproblems entgegenstehen könnten. Widerstreiter etwa Luthers Auffassung von der Ehe als einem "weltlich Ding" fundamental der katholischen Auffassung, daß die Verbindung zweier Christen ein Sakrament sei?

Nachdem der Autor die verschiedenen Ausgangspunkte dargelegt hat, urteilt er über sie: "es gibt zwar aus der Tradition beider Konfessionen herkommende Unterschiede zwischen den Eheauffassungen. Es gibt auch Differenzen, die noch aufgearbeitet werden müssen. Nach gegenwärtigem Stand aber bewegen sich alle Differenzen im Bereich unterschiedlicher Akzente, die keineswegs ein Verbot der konfessionsverschiedenen Ehe rechtfertigen. Sie liefern auch keine Rechtfertigung dafür, aus diesem Grund einer solchen Ehe aus dem Weg zu gehen.

Ein ähnliches Urteil fällt Lengsfeld über die konfessionell bedingten Ansichten bei der Ehe- und Sexualmoral, die eine gewisse Spannung nicht ausschließen. "Die Spannung", heißt es wörtlich, "beruht aber nicht auf einer Gegensätzlichkeit der Lehre oder der Mentalität, sondern wurzelt in einem gemeinsamen Erbe, das nur in typischer Weise ausgestaltet ist."

In der Frage der Ehescheidung wird auf die biblische Tradition verwiesen, die zwar die uneingeschränkte Forderung Jesu nach der Unauflöslichkeit der Ehe herausstellte, sich aber einem "detaillierten Reglement" von seiten der Kirche versage. "Die evangelische Lehre", schreibt der katholische Theologe, "ist in diesem Punkt dem biblischen Textsinn richtiger gefolgt, indem sie die Ehescheidung (zumindest als letzten Ausweg aus einer untragbar gewordenen Ehe) toleriert."

Auf diesem Hintergrund werden die Vorschläge verständlich, die Lengsfeld zum bislang unbewältigten Problem Mischehe macht. Noch vor der Veröffentlichung des letzten päpstlichen Motu proprio konzipiert, lassen sie dieses weit hinter sich zurück. Nach Lengsfeld müssen die Kirchen darin übereinkommen, "in der Ehe konfessionsverschiedener Partner nicht mehr ein zu verhinderndes Übel, sondern eine gemeinsame Aufgabe zu erblicken, die die Anstrengung aller Kräfte erfordert." In der Bekenntnisverschiedenheit wird also kein Ehehindernis mehr gesehen. Die Kirchen überlassen es der Gewissensentscheidung der Brautleute, in welcher Kirche sie sich trauen lassen und wie sie ihre Kinder erziehen wollen. Das setzt voraus, daß jede öffentliche Erklärung des Ehewillens kirchlicherseits anerkannt wird. Die religiöse Kindererziehung wird als eine Aufgabe angesehen, die beiden Ehepartnern gemeinsam zufällt. Neben der Suche nach gemeinsamen Formen der ehebegleitenden Seelsorge, muß auch ein Weg gefunden werden, um konfessionsverschiedenen Paaren das gemeinsame Abendmahl bzw. die eucharistische Kommunion zu ermöglichen.

Lengsfeld weiß, daß er kirchenrechtlich gesehen Zukunftsmusik komponiert hat. Sehr kritisch vermerkt er an einer Stelle: "Beschämend aber ist die Tatsache, daß gerade im Ursprungsland der abendländischen Kirchenspaltung weder auf der Ebene der Bischöfe und Kirchenleitungen noch auf der Ebene offizieller Konferenzen ihrer Beauftragten bisher irgendein positiver Vorschlag zur Lösung des Mischehenproblems erarbeitet werden konnte."

2. Besprechung
nach der Veröffentlichung der "Ausführungsbestimmungen zum Motu proprio "Matrimonia mixta" vom 31. 3. 1979 über die rechtliche Ordnung konfessionsverschiedener und religionsverschiedener Ehen" der Deutschen Bischofskonferenz vom 23. 9. 1970.

Mit den Ausführungsbestimmungen, die die deutschen Bischöfe zum päpstlichen Motu Proprio über die konfessionsgemischten Ehen erlassen haben, sind wesentliche Forderungen erfüllt, die Peter Lengsfeld in seiner Untersuchung "Das Problem Mischehe" erhoben hatte. Dank diesen Bestimmungen kann ein katholischer Pfarrer ein Brautpaar auch dann trauen, wenn dieses sich gegen eine katholische Kindererziehung entschieden hat. Außerdem besteht die Möglichkeit, daß die standesamtliche und nichtkatholische Trauung als gültige Eheschließungsform anerkannt wird. Lengsfeld geht in seinen Vorschlägen allerdings noch weiter. Er plädiert dafür, daß die Konfessionsverschiedenheit als Ehehindernis entfällt und die standesamtliche Trauung in allen Fällen als ehebegründend angesehen wird. Für Braut- und Eheleute, die es wünschen, müsse auch der Weg zum gemeinsamen Abendmahl bzw. zur Kommunion eröffnet werden.

Wichtiger als diese weitergehenden Wünsche sind indes die Feststellungen, die Lengsfeld hinsichtlich der immer wieder ins Feld geführten Unterschiede in der Eheauffassung trifft. So geht er der Frage nach, ob etwa Luthers Auffassung von der Ehe als einem "weltlichen Ding" fundamental der katholischen Auffassung widerstreite, die Verbindung zweier Christen sei ein Sakrament. Nachdem der Autor mit Sorgfalt die verschiedenen Positionen geprüft hat, kommt er zu dem Schluß: "es gibt zwar aus der Tradition beider Konfessionen herkommende Unterschiede zwischen den Eheauffassungen. Es gibt auch Differenzen, die noch aufgearbeitet werden müssen. Nach gegenwärtigem Stand aber bewegen sich alle Differenzen im Bereich unterschiedlicher Akzente, die keineswegs ein Verbot der konfessionsverschiedenen Ehe rechtfertigen. Sie liefern auch keine Rechtfertigung dafür, aus diesem Grunde einer solchen Ehe aus dem Wege zu gehen." Ein ähnliches Urteil fällt Lengsfeld über die konfessionell bedingten Ansichten der Ehe- und Sexualmoral, die eine gewisse Spannung ergeben. "Die Spannung", heißt es wörtlich, "beruht aber nicht auf einer Gegensätzlichkeit der Lehre oder der Mentalität, sondern wurzelt in einem gemeinsamen Erbe, das nur in typischer Weise ausgestaltet ist.

Für die Frage der Ehescheidung wird schließlich auf die biblische Tradition verwiesen, die zwar die uneingeschränkte Forderung Jesu nach der Unauflöslichkeit der Ehe herausstelle, sich aber einem "detaillierten Reglement" von seiten der Kirche versage. "Die evangelische Lehre," schreibt der katholische Theologe, "ist in diesem Punkt dem biblischen Textsinn richtiger gefolgt, indem sie die Ehescheidung zumindest als letzten Ausweg aus einer untragbar gewordenen Ehe toleriert."

Bei dieser Sachlage sind die Schritte, die die deutschen Bischöfe zur Lösung der Mischehenfrage unternommen haben, kein fauler Kompromiß, um zu retten, was noch zu retten ist. Sie sind vielmehr eine notwendige Folge aus der neuen Sicht, die sich für das Verhältnis der Konfessionen zueinander ergeben hat. Die Entwicklung hat Lengsfeld recht gegeben, daß die Zeit für eine Lösung des Problems Mischehe "überreif" war.


Buchbesprechungen 21. Dezember 1970

Elisbeth Gerstner (Hrsg.)
Die katholische Traditionalistenbewegung
Eine Selbstdarstellung
Zürich – Einsiedeln – Köln, 1970, 111 Seiten

Karl Guido Rey
Pubertätserscheinungen in der katholischen Kirche
Zürich – Einsiedeln – Köln, 1970, 70 Seiten

Die Verfechter kirchlicher Tradition haben auf der Ebene der Publizistik keine Chancengleichheit. Sie müssen sich deshalb ihre eigenen Publikationsorgane schaffen bzw. auf solche ausweichen, denen keine sonderliche Bedeutung zukommt. Daher wirkt es geradezu als ein Akt verlegerischer Fairneß, wenn der Benziger-Verlag eine Selbstdarstellung der katholischen Traditionalistenbewegung in die Reihe kritischer Texte aufnimmt. Vermutlich ist diese Reihe als ein Forum gedacht, auf dem sich die unterschiedlichsten Auffassungen artikulieren sollen. Um aber ein solches Forum ernst nehmen zu können, bedarf es wohl qualifizierterer Stimmen als die, welche in besagter Selbstdarstellung zu Wort kommen. Handelt es sich doch dabei um Texte, die nicht nur guten Geschmack vermissen lassen, sondern auch ans Pathologische grenzen. Nachdem den Bischöfen vorgeworfen wird, sie buhlten in der Öffentlichkeit um die Sympathie der Reformer, während sie hinter vorgehaltener Hand den Traditionalisten Erfolg wünschten, heißt es wörtlich: "Der Ekel über diese weitverbreitete Feigheit der Hierarchie erklärt übrigens die häufigen Entgleisungen im Umgangston mit Papst und Bischöfen auf unserer Seite. Mit andern Worten, wir wissen, wovon wir sprechen, wenn wir sie 'Mietlinge', 'Wölfe in Schafspelzen’ oder gar 'Judasse' titulieren." Das Konzil ist schuld an der Revolution, dem Chaos, dem Wildwuchs, der Subversion und Destruktion all dessen, was von den Traditionalisten als heilig angesehen wird. Sie kommen sich vor als Widerstandskämpfer, deren frömmste sogar die Auffassung vertreten, Papst Paul VI sitze nicht rechtmäßig auf seinem Thron. Die Konzilskirche sei schismatisch, und man solle dieser Kirche ab sofort die Kirchensteuer verweigern. Der Gipfel der Geschmacklosigkeit wird in diesem Zusammenhang mit dem Rat erreicht, den Ortspfarrer in der Beichte von diesem Schritt zu unterrichten; er sei dann in besonderer Weise zum Schweigen verpflichtet!

Verstehen lassen sich diese Äußerungen nur als Verzweiflungsschreie von Menschen, die sich von der Kirche verraten fühlen, die total überfordert sind "angesichts der Agonie"- so wörtlich - "unserer gestern noch gesunden Mutter, der Kirche."

Wo die Traditionalisten von dem Todeskampf der Mutter Kirche sprechen, diagnostiziert der Psychotherapeut Karl Guido Rey die Pubertierung der "Großmutter": Und dies sei nicht die erste Pubertät, in die die Kirche in ihrer langen Geschichte geraten sei. Er sieht diese Pubertät als eine wichtige Phase der Entwicklung an, von der insbesondere die Priester betroffen seien. Ihnen widmet Rey mit dem Bändchen Nummer vier der Kritischen Texte unter dem Titel "Pubertätserscheinungen in der katholischen Kirche" seine besondere Aufmerksamkeit. Mit dem Vokabular der Tiefenpsychologie vermag er den Priestern einen Spiegel vorzuhalten, der zu wirksamerer Besinnung anleiten könnte als viele Exerzitien. Das vielfache Aufbäumen gegen die kirchliche Obrigkeit ist für ihn ein Anzeichen der unbewältigten Ödipusproblematik. Der Wunsch, den Papst zu beseitigen, gehe einher mit dem Versuch, sich selbst an seine Stelle zu setzen. "Sie kommen mir vor", schreibt er an der betreffenden Stelle, "wie kleine Buben, die sich Papas Hut anziehen!" Auch glaubt er festgestellt zu haben, daß viele Priester eine überstarke Mutterbindung besitzen. Dazu heißt es bei Rey: "Die Loslösung von der Mutter wurde von vielen Priestern - es sind vornehmlich die heute pubertierenden - nicht vollzogen. Die Übertragung der Mutterbindung auf die Kirche war nur eine vermeintliche Lösung, eine Notlösung." "Die Kirche ist keine Mutter. Und Papst und Bischöfe sind keine Väter. Diese Anschauungsweise ist ein Infantilismus. Die Kirche ist die Gemeinschaft derer, die an Christus glauben." Soweit Rey.

Rey hat die progressiven Priester auf's  Korn genommen. Selbst wohl konservativ hat er ihnen damit einen wichtigen Dienst geleistet. Allerdings scheinen die Traditionalisten seiner Analyse nicht weniger zu bedürfen!


Buchbesprechung 1970

Herbert Vorgrimler und Robert Vander Gucht (Hrsg.)
Bilanz der Theologie im 20. Jahrhundert
Freiburg/Basel/Wien, 1969, Bd. 1, 471 Seiten

Wenn in Frage steht, ob es zukünftig überhaupt noch Theologie gibt, ist es an der Zeit, sich einen Überblick zu verschaffen über den derzeitigen Stand der Theologie. Dabei wird man nicht umhin können, wenigstens die letzten Jahrzehnte der theologischen Forschung einzubeziehen. Herbert Vorgrimler und Robert Vander Gucht haben 58 Fachtheologen bemüht, die das geistige Feld abstecken sollen, in dem sich die christliche Theologie seit der Jahrhundertwende bewegt. Das Ergebnis ist ein dreibändiges Werk mit dem Titel: "Bilanz der Theologie im 20. Jahrhundert". Es erscheint im Herder-Verlag.

Im ersten Band wird der Versuch gemacht, die Welt des 20. Jahrhunderts zu Wort kommen zu lassen in ihrer Bedeutsamkeit für die Theologie. Diese sieht sich längst nicht mehr nur der Philosophie gegenüber, sondern dem breiten Spektrum der Wissenschaften, aber auch der Kunst und der Literatur, schließlich den großen nichtchristlichen Religionen. Auf diesem Hintergrund sind die Beiträge des zweiten Bandes zu lesen, die sich nicht nur mit der Entwicklung der theologischen Einzeldisziplinen befassen. Berechtigterweise wird nämlich den Gesamtdarstellungen der katholischen, evangelischen, anglikanischen und orthodoxen Theologie ein breiter Raum gewährt. Wenn man einmal von der stark auf die Patristik eingestellten orthodoxen Theologie absieht, läßt sich auf jeder Seite verfolgen, wie die heutigen Theologen auf den Schultern ihrer großen Vorgänger stehen. In seinem Beitrag über die evangelische Theologie im 20. Jahrhundert schreibt Wolfgang Trillhaas: "Zur Lebendigkeit der Geschichte gehört es immer, daß Epochen untergehen, ehe ihre letzten Fragen erledigt worden sind; aber ebenso kommen späterhin Schichten, die in früheren Phasen verdeckt waren, wieder zutage, werden manifestiert, wenn andere absterben und fallen." Für die katholische Theologie sieht Joseph Comblin eine Reihe bedeutender Männer wie Karl Rahner, Schillebeeckx, Congar und v. Balthasar in den Hintergrund treten. Er konstatiert: "Ohne sich dessen so richtig bewußt zu sein, hat das Konzil den Generationswechsel widergespiegelt, der sich damals im katholischen theologischen Denken vollzog. Wir können nämlich auf die Jahre 1963/64 den Zeitpunkt ansetzen, wo die großen Theologen, die das Konzil vorbereitet und in seiner Richtung bestimmt haben - also die Generation von 1930 -, aufgehört haben, das treibende Element des theologischen Forschens und Fragens zu sein, und von einer neuen Generation abgelöst wurden. Die Generation von 1930 publiziert zwar weiterhin, aber sie ist auf dem Rückzug und äußert vor allem ihre Besorgnis angesichts der neuen Abenteuer des christlichen Denkens." Nach Comblin ist die neue Generation in ihrer Anthropozentrik von der Frage beherrscht, was "Heil" für die Menschheit als Ganze bedeutet. Von den hier zu verhandelnden sozialethischen Themen sagt Trillhaas: "Durchweg handelt es sich dabei um Probleme, für deren Bewältigung keine Traditionen bereitstehen, weder philosophische noch theologische, weder konfessionelle noch überhaupt christliche. Das hat zur unmittelbaren Folge ein ökumenisches Zusammenrücken der Denominationen: die säkulare Ökumene der industriellen Massengesellschaft erzwingt unmittelbar auch die ihr begegnende christliche Ökumene." Das angezeigte Werk ist dafür nach Konzeption und Inhalt ein eindrücklicher Beweis.