Herbert Leuninger , PRO ASYL

 

 
Anforderungen
an eine
europäische
Asylpolitik
 

mit Folien

INHALT

Einleitung ***
Amsterdam ***
Schengen ***
Budapest ***
Dublin ***
Genf ***
Barcelona ***
Zukunftsperspektive ***
Publikation ***

Kurz:
Die Europäische Union betrachtet sich als Weltregion, die auf unabsehbare Zeit Ziel grosser Wanderungsbewegungen ist. Das verstärkt in Europa die Sorge, die Zahl der Menschen, die in Europa Sicherheit und Auskommen suchen, könnte übermäßig anwachsen. Seit Jahren ist es das besondere politische Anliegen der Europäischen Union in gemeinsamer Abstimmung diese Zuwanderung zu steuern. Der Vertrag von Amsterdam bietet Gestaltungsmöglichkeiten für eine EU-Politik in den Bereichen von Migration, Asyl und Anti-Diskriminierung, die über das bisherige restriktive Konzept der Steuerung von Migration hinausgehen könnten und sollten.

Einleitung

Die Europäische Union betrachtet sich als prosperierende Weltregion, die auf unabsehbare Zeit Ziel grosser Wanderungsbewegungen ist. Sie sieht sich von Konfliktherden in Nordafrika, im Vorderer Orient und in Osteuropa umgeben (Folie) . Aber auch weltweit entstehen durch politische und wirtschaftliche Krisen immer wieder neue Flucht- und Wanderungsbewegungen. Sie sind die Folge von Unterdrückung, Vertreibung und Menschenrechtsverletzungen, aber aber von Unterentwicklung und wirtschaftlicher Not. Das verstärkt in Europa Sorge und Angst, die Zahl der Menschen, die in Europa Sicherheit und Auskommen suchen, könnte übermäßig anwachsen. Der Kosovo-Konflikt und die Kurdenkrise in der Türkei und im Irak werden als Menetekel verstanden (Folie).

Seit Jahren ist es das besondere politische Anliegen der Europäischen Union in gemeinsamer Abstimmung diese Zuwanderung zu steuern (Folie). Dabei wurde der Begriff "Steuerung" in Umfang und Bedeutung so sehr eingeengt, daß er mittlerweile gleichbedeutend mit einer Verhinderung der Immigration ist. Die meisten Maßnahmen, die in der EU diesbezüglich beschlossen werden, stellen nur noch darauf ab, die Zahl der Zuwanderer und Flüchtlinge zu begrenzen, die Rückkehr abgelehnter Asylbewerber und der Migranten, die ohne gültige Papiere oder illegal eingereist sind, zu erleichtern, Kontrollmechanismen zu verschärfen und Nachbarstaaten beim Aufbau ähnlicher Kontrollen zu helfen. Wurde in den 70er Jahren der Zustrom von Arbeitsmigranten weitestgehend unterbunden und in den 80er und 90er Jahren der Zustrom von Asylbewerbern auf ähnliche Weise eingeschränkt, so steht nunmehr der Zustrom illegaler Migranten im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit der ersten Jahre des neuen Jahrtausends.

Werden hierbei außenpolitische Aspekte der (erzwungenen) Migration einbezogen, konzentrieren sich diese meist ausschließlich auf Prävention. Prävention hat zunehmend die Bedeutung "Migranten und Flüchtlinge nicht ins Land zu lassen" statt "die Fluchtursachen und die Ursachen wirtschaftlicher Fehlentwicklungen zu bekämpfen". So gesehen werden die Handlungsmöglichkeiten der Außenpolitik meist eher zur Unterstützung einer restriktiven Politik eingesetzt, als sie für eine auf Vorbeugung zielende Diplomatie und Friedenserhaltung, auf sozioökonomische Zusammenarbeit und Entwicklung sowie zur Durchsetzung internationaler Menschenrechtsverpflichtungen zu nutzen.

Asyl und Migration werden in der EU zwar immer in getrennten Kapiteln und mit je eigenen Rechtssetzungen behandelt, aber gleichzeitig auch in einem engen Zusammenhang gesehen. Das ist sachlich gerechtfertigt, führt aber vor allem dann zu einer verzerrten Optik, wenn Flüchtlinge nur noch als illegale Einwanderer wahrgenommen werden. Die Asylpolitik in Europa verbindet sich mit Städtenamen: Amsterdam, Barcelona, Budapest, Dublin, Genf und Schengen. Diese Städte stehen für wichtige Abkommen und Verträge, die entweder Regelungen zur Asylpolitik enthalten, ganz auf Flüchtlingsfragen konzentriert, oder indirekt dem Fluchtthema gewidmet sind.

Die unterschiedlichen Städtenamen signalisieren verschiedene zeitliche und inhaltliche Ansätze zu dem, was man heute "Harmonisierung" der Asylpolitik nennt. Die Idee einer gemeinsamen Abstimmung auch dieses Politikbereiches kann nicht kritisiert werden, zu hinterfragen aber die Tendenzen, die die Einigung bestimmen. Allein von den Städtenamen her wird schon deutlich, dass es sich bei der "Harmonisierung" um eine komplexe und mittlerweile schwer zu durchschauende Materie handelt. In der EU sind die verschiedensten Gremien, Regierungsstäbe und Ausschüsse mit der Formulierung, Ausgestaltung, Beobachtung und der Fortschreibung der Asylpolitik befaßt (Folie). Vieles wird entschieden, was ohne Kontrolle der Öffentlichkeit herangereift ist. Ein erhebliches Demokratiedefizit, das auch die weitgehend fehlende gerichtliche Überprüfung einschließt, ist gerade auch in diesem, von überzogenen Sicherheitsvorstellungen geprägten Bereich immer wieder beklagt worden.

Im Hintergrund geht es um die menschenrechtlichen Traditionen Europas, ihren Verpflichtungsgrad und eine zeit- und situationsgemäße Umsetzung. Trotz gemeinsamer Wurzeln gibt es in Europa unterschiedliche nationale Rechtskulturen, die zu harmonisieren sind. Bedauerlicherweise wird dabei die Richtung verfolgt, sich auf dem untersten gemeinsamen Nenner zu einigen. Dieser Trend ist ungebrochen. Es bedarf einer Wende und Neubesinnung. Es würde bedeuten, die bisher geltenden internationalen Standards für den Flüchtlings- und menschenrechtlichen Schutz voll und ganz zu beachten, sie nicht abzuschwächen oder auszuhöhlen und sie in positiver und situationsgemäßer Weise weiterzuentwickeln.

Neben dem UN-Hochkommissariat für Flüchtlinge und Zusammenschlüssen der europäischen Zivilgesellschaft ist es bisher vor allem das Europäische Parlament gewesen, daß sich dem Trend in der EU widersetzt hat, vornehmlich in Kategorien der Abschottung und Abschreckung gegenüber Flüchtlingen zu denken und zu entscheiden (Folie). Es wollte in den vergangenen Jahren einen Unterschied gemacht sehen zwischen der Asylpolitik und den Regelungen für eine weitere Zuwanderung von Menschen, die Arbeit suchen. Das Recht auf Asyl wurde dabei als allgemeines Menschenrecht gewertet, das auf den besten europäischen Traditionen beruhe.

Alle diesbezüglichen Regelungen müßten weiterhin dem Schutz der Flüchtlinge dienen, gleichzeitig aber in stärkerer Weise die Ursachen für die Fluchtbewegungen anzugehen. Das Parlament fordert von der Politik, die Diskussionen zu Thema Asyl und Zuwanderung sachlich und mit Bedacht zu führen. Rassismus und Antisemitismus hätten in Europa sichtlich zugenommen. Vor diesem Hintergrund würden rassistische und rechtsextreme Parteien bei den Wahlen immer größere Erfolge verzeichnen. Das stelle eine Gefährdung der demokratischen Werte dar, auf denen die Gemeinschaft beruhe.

Im Hinblick auf den Amsterdamer Vertrag hat das Parlament Wert darauf gelegt, daß dieser Politikbereich stärker in die Zuständigkeit der Gemeinschaft übergeht. Damit bekämen die Europäische Kommission und das Parlament einen größeren Einfluß auf die politischen Entscheidungen. Die bisherigen "Empfehlungen" und ,"Entschließungen" des Rates würden nämlich eine gerichtliche oder auch parlamentarische Kontrolle ausschließen. Für die Abgeordneten wäre es unannehmbar, daß die "Harmonisierung" der Zuwanderungs- und Asylpolitik ohne gerichtliche Überprüfung erfolgt. So haben sie darauf gedrängt, daß diesbezüglich der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaft größere Zuständigkeit erlangt. Diese Forderungen haben sich inzwischen deutlich im Amsterdamer Vertrag niedergeschlagen.

Amsterdam

Bedeutsamer Rahmen für die künftige Behandlung von Asylfragen ist der am 1. Mai 1999 in Kraft getretene Amsterdamer Vertrag (Folie). Am 2. Oktober 1997 geschlossen, soll er die Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit einer sich erweiternden und demokratisch legitimierten Europäischen Union sicherstellen. Der Vertrag enthält Übertragungen von Hoheitsrechten auf die Gemeinschaft, indem für einige Bereiche der justiz- und innenpolitischen Zusammenarbeit, in der es bisher nur zwischenstaatliche Abstimmungen gab, die Gemeinschaft zuständig wird. Der Vertrag enthält einen Titel über "Visa, Asyl, Einwanderung und andere Politiken betreffend den freien Personenverkehr", mit dem dieser Bereich künftig durch die Gemeinschaft als solche entschieden wird.

Mit dem 1. Mai beginnt ein Übergangszeitraum von fünf Jahren. In dieser Zeit hat der Rat wichtige Massnahmen zu Asyl und Migration zu treffen (Folie). Es geht insbesondere um die Aufhebung der Kontrollen an den Binnengrenzen, die Durchführung der Grenzkontrollen an den Aussengrenzen der EU, um gemeinsame Vorschriften über Visa für Aufenthalte von höchstens drei Monaten, um die Liste der visapflichtigen und visafreien Drittländer und um Verfahren und Voraussetzungen für die Visumserteilung

Beim Asylrecht ist zu klären, welcher Staat für ein Asylverfahren zuständig ist, welche Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern und die Asylverfahren gelten sollen, wie es zu einer gerechteren Verteilung der Flüchtlinge kommen kann und wie – man denke and den Kosovo-Konflikt – die zeitweilige Aufnahme größerer Gruppen von Flüchtlingen in der EU zu regeln ist.

Für die Migration sind Richtlinien für die Visaerteilung bei langfristigem Aufenthalt, einschließlich Familienzusammenführung, für die illegale Einwanderung und illegalen Aufenthalt, einschließlich Rückführung und für die Freizügigkeit für Drittstaatsangehörige mit rechtmässigem Aufenthalt in der EU zu schaffen.


Rat und Kommission haben sich für die nächsten Jahre einen Aktionsplan "zur bestmöglichen Umsetzung der Bestimmungen des Amsterdamer Vertrags über den Aufbau eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts" gegeben. Der Europäische Flüchtlingsrat hat zusammen mit Europäisches Netz gegen Rassismus (ENAR) und Gruppe Migrationspolitik (MPG) mit Sitz in Brüssel eine Analyse dieses Aktionsplanes und einen eigenen Alternativplan vorgelegt (Guarding Standards - Shaping the Agenda, Analysis of the Treaty of Amsterdam and Present EU Policy on Migration, Asylum and Anti-Discrimination, Brüssel, 1999). Der Aktionsplan des Rates wird dabei als ein anspruchsvolles Arbeitsprogramm bezeichnet, das die Gelegenheit für ein kreatives und grundsätzliches Vorgehen bietet. Amsterdam verpflichtet die Mitgliedstaaten dazu, in kürzester Zeit eine Reihe von Gemeinschaftsvorschriften zu erlassen, die das Leben vieler Millionen von Migranten, Asylbewerbern, Flüchtlingen und anderer Drittstaat-Angehörigen innerhalb und außerhalb der Union regeln. Hierbei geht es nicht nur darum, Migranten und ethnischen Minderheiten zu einem besserem Leben zu verhelfen und Flüchtlinge zu schützen, sondern auch darum, für die Zukunft Freiheit und Sicherheit (sowie Wohlstand) für alle in der Union lebenden Menschen zu schaffen. Der im Oktober 1999 in Tampere (Finnland) stattfindende Gipfel der Staats- und Regierungschefs könnte hierfür den Grundstein legen (Folie).

Die genannten nichtstaatlichen Organisationen sehen drei Politikbereiche unter dem Gesichtspunkt des Flüchtlingsschutzes miteinander verzahnt:

  • Die Steuerung der Migrations - und Flüchtlingsbewegungen. Dies beinhaltet einerseits die Schaffung eines wirksamen und rechtlich einwandfreien Schutzsystems für Flüchtlinge und andererseits Regelungen der Zulassung, des Aufenthalts und der Niederlassung von vorübergehend oder auf Dauer aufgenommenen Migranten und ihrer Familienmitgliedern.
  • Die Integrationspolitik. Hier ginge es um die Schaffung und Durchführung von Maßnahmen zur Gleichbehandlung von Migranten und Flüchtlingen und zum Schutz gegen Diskriminierung aufgrund der Zugehörigkeit zu einer Rasse oder ethnischen Gruppe.
  • Die Außenpolitischen Aspekte internationaler Migrations- und Flüchtlingsbewegungen. Betont wird, daß die Ursachen erzwungener Migration durch Schutz der Menschenrechte und Förderung der sozioökonomischen Entwicklung in den Herkunftsländern bekämpft werden müssen.

Der Vertrag von Amsterdam bietet Gestaltungsmöglichkeiten für eine EU-Politik in diesen drei Bereichen, die über das restriktive Konzept der Steuerung von Migration hinausgehen könnten und sollten.

Schengen

Deutschland, Frankreich und die drei Benelux-Staaten haben 1985 das "Schengener Abkommen" über den schrittweisen Abbau der Personenkontrollen an den gemeinsamen Grenzen unterzeichnet (benannt nach dem luxemburgischen Ort Schengen) (Folie).

Genauere Regelungen hierzu sind im "Schengener Durchführungsübereinkommen" festgelegt, das 1990 von den fünf genannten Staaten unterzeichnet wurde.

Mit dem Amsterdamer Vertrag ist "Schengen" für die Europäische Union übernommen worden. Das in "Schengen" enthaltene Asylkapitel ist durch ein besonderes Übereinkommen die "Dubliner Konvention" ersetzt worden.

"Schengen" soll mehr Sicherheit für die Bürger in Europa und zugleich die Voraussetzungen für die vollständige Personenfreizügigkeit schaffen. Es sieht den Wegfall der Ausweiskontrollen an allen Binnengrenzen der Schengen-Staaten vor. Prinzipiell gilt dies für alle Personen und zwar unabhängig von ihrer Nationalität. Als Ausgleichsmassnahmen für die innere Freizügigkeit sind die Stärkung und Harmonisierung des Kontrollstandards an der gemeinsamen Aussengrenze. eine gemeinsame Visumpolitik, die polizeiliche und justitielle Zusammenarbeit und der Informationsaustausch vorgesehen.

Die damit verbundene Abschottungsvorstellung wird an einer Stellungnahme der früheren Bundesregierung besonders deutlich: Kurz vor der Bundestagswahl am 16. September 1998 tagte unter deutschem Vorsitz in Königswinter der Exekutivausschuss der Schengener Vertragsstaaten. Dazu erklärte der damalige Bundesinnenminister Manfred Kanther (CDU) (Folie):

"Ein beachtlicher Fortschritt gelang dem deutschen Vorsitz mit der Annahme der Leitlinien für einen Aktionsplan zur Bekämpfung der Zuwanderung, u.a. aus dem Kosovo und dem Maghreb. Wie bereits bei der Bekämpfung der illegalen Einreise von Kurden aus dem Irak und der Türkei in den Schengen-Raum in der ersten Hälfte dieses Jahres geht es erneut darum zu verhindern, dass Mittel- und Westeuropa zum Zielgebiet eines Zustroms illegaler Migration und damit einhergehender Kriminalität wird".

In dem Text ist der Begriff "Flüchtling" faktisch eliminiert und unter "illegale Einwanderung" eingeordnet. Nicht minder bedeutsam für den Abbau des internationalen Flüchtlingsschutzes dürfte die Verbindung sein, die zwischen "illegaler Einwanderung" und "Kriminalität" hergestellt wird.

Das Europäische Parlament hat in den vergangenen Jahren eine Reihe von Entschliessungen verabschiedet, in denen es seine Auffassung und Kritik zu einzelnen Fragen, die Schengen betreffen, dargelegt hat. Wiederholt hat es sein Bedauern darüber geäussert, dass Schengen neue Formen der Diskriminierung zwischen Unionsbürgern aufgrund ihrer Nationalität auf der einen und gegenüber Angehörigen aus Drittstaaten, die rechtmässig in der Union leben, auf der anderen Seite geschaffen hat. Es vertritt ebenfalls die Auffassung, dass der Wegfall der Kontrollen an den Binnengrenzen nicht als Entschuldigung für die systematischen Kontrollen im Binnengrenzraum oder die "hermetische Abschottung" an den Aussengrenzen herhalten darf.

Budapest

Zum Abschottungssyndrom gehört auch seine fast uferlose Ausweitung über den Raum der Europäischen Union hinaus. 1993 wurde der sogenannte "Budapester Prozess" mit einer grossen internationalen Konferenz, die den Raum der EU in kontinentalen Ausmaßen überschreitet, in der ungarischen Hauptstadt eingeleitet (Folie). Er steht mit einer Reihe von Konferenzen ganz im Zeichen der Abwehr und Abschottung. So wurde im Rahmen dieses Prozesses auf Betreiben Bonns im Juni 1998 eine Sonderkonferenz in die osteuropäische Kapitale einberufen. Sie widmete sich der "Bekämpfung illegaler Zuwanderung auf Routen durch Südosteuropa". Im Konferenzbeschluss heisst es in dem typischen Stil früherer deutscher Regierungssprache:

"Die Staaten Südosteuropas sowie die Staaten auf den Routen der Wanderungsströme über Südosteuropa gehen von dem bewährten Grundsatz aus, dass Gefahren und Risiken besonders erfolgversprechend beim Versuch des ersten Eindringens in die Region mit massierten Kräften und im weiteren Verlauf durch nacheinander gestaffelte Sicherungslinien im Rahmen eines abgestimmten Vorgehens abgewehrt werden können" (Anlage "Sonderkonferenz im Rahmen des Budapester Kongresses über illegale Wanderung durch Südosteuropa, Budapest, 29./30.Juni 1998" zur Pressemitteilung des Bundesministeriums des Innern vom 30. Juni 1998, Bonn/Budapest, S.3).

Dublin

Die "Konvention über die Bestimmung des zuständigen Staates für die Prüfung eines Asylbegehrens" (Dubliner Konvention) ist zum 1. September 1997 in Kraft getreten (Folie). Sie gilt für die Länder der Europäischen Union. Diese Konvention ersetzt das Asylkapitel des Schengener Abkommens (also nicht das Abkommen selbst). Mit der Konvention soll sichergestellt werden, dass Asylbewerber weder gleichzeitig noch nacheinander mehrere Asylanträge in den verschiedenen Vertragsstaaten stellen können. Es gilt also das "One-Chance-Only-Prinzip", nach dem nur ein Asylverfahren möglich ist. Ausserdem ist dem Asylbewerber die Möglichkeit genommen, selbst zu entscheiden, in welchem Staat er um Asyl nachsuchen will. Der als zuständig festgestellte Staat ist verpflichtet im Rahmen seines nationalen Rechts ein Asylverfahren durchzuführen.

Problematische Regelungen, die einer Revision unterzogen werden sollten, haben den Europäischen Flüchtlingsrat (ECRE) (Folie) u.a. zu folgenden Forderungen veranlaßt (Folie) (Folie):

  • Keinen Asylbewerber in einen "Drittstaat" zurückzuschicken, ohne ihm/ihr das Recht auf Widerspruch mit aufschiebender Wirkung zu gewähren, ohne sicherzustellen, dass der Asylbewerber vor einem "Refoulement" geschützt ist und ohne dass ihm/ihr im Drittstaat ein einwandfreies und zügiges Asylverfahren garantiert ist.
  • Familienmitglieder, die in verschiedenen Mitgliedsstaaten leben, ohne Rücksicht auf ihren rechtlichen Status zusammenzuführen.
  • Allen Asylbewerbern ein Widerspruchsrecht mit aufschiebender Wirkung gegen eine Entscheidung über die Zuständigkeit eines anderen Mitgliedsstaates einzuräumen.
  • Sicherzustellen, dass der Austausch persönlicher Daten unter der Aufsicht eines Kontrollgremiums erfolgt, und dass persönliche Daten unter keinen Umständen an das Herkunftsland des Asylbewerbers weitergegeben werden.
  • Sicherzustellen, dass die Verlegung von Asylbewerbern in einer Weise erfolgt, die deren Würde und körperliche Unversehrtheit achtet.

Genf

Wichtigste Grundlage für den Asylschutz in der EU ist die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 (Folie). Sie enthält neben einer Definition des politischen Flüchtlings genaue Bestimmungen über den Rechtsstatus der Flüchtlings in den Aufnahmeländern, also über die Ausgestaltung eines bereits gewährten Asyls, sagt aber nichts darüber aus, ob die Staaten verpflichtet sind, Asyl zu gewähren bzw. ob der einzelne politisch Verfolgte ein Recht auf Asylgewährung hat. Wichtigste Festlegung für die Signatar-Staaten ist das sogenannte Non-Refoulement-Gebot, d.h. das Verbot einen Flüchtling in sein mögliches Verfolgerland zurückzuschicken. Daß hiermit – trotz des Mangels der Kodifizierung eines Menschenrechts auf Asyl - ein wirksamer Flüchtlingsschutz verbunden ist, belegt mehrhundertausendfach das Schicksal von Flüchtlingen, die nach der Genfer Flüchtlingskonvention den Status politischer Flüchtlinge erhalten haben.

Nun hat Österreich im Rahmen seiner EU-Präsidentschaft im Juli 1998 ein Konzept vorgelegt, wie Flüchtlingen trotz der Genfer Flüchtlingskonvention Verfahrens- und Rechtsgarantien verweigert und eine "Nulltoleranz" der illegalen Einwanderung erreicht werden können (Folie). Glücklicherweise hatte das österreichische Strategiepapier keinen großen Einfluß auf den Aktionsplan des Rates. Dennoch zeigt sich hier die gefährliche Neigung das Asylrecht durch staatliche Gnadenakte zu ersetzen.

Der Alternativplan der gennannten regierungsunabhängigen Organisationen verlangt von der EU, die geltenden Standards der Genfer Flüchtlingskonvention einzuhalten, und statt diese einzuschränken weiterentwickeln zu helfen. Die Rechtsauslegung einiger EU-Mitgliedstaaten - wie etwa auch der Bundesrepublik – steht nicht im Einklang mit der Genfer Flüchtlingskonvention. Das bezieht sich vor allem darauf, daß die Flüchtlingseigenschaft abgelehnt wird, wenn die Verfolgung nicht von staatlicher Seite erfolgt, oder im Herkunftsstaat keine staatliche Ordnungsmacht besteht. Im Unterschied zu dieser Auslegung erhielten Zehntausende von Bosniern, die in bestimmten europäischen Ländern Schutz suchten, den Flüchtlingsstatus gemäß Genfer Flüchtlingskonvention.

Als Dringlich wird eine Aktualisierung der Konvention

  • bei Kriegsdienstverweigerung und Desertion,
  • bei Verfolgung wegen einer sexuellen Ausrichtung und
  • bei frauenpezifischer Verfolgung

angesehen.

Barcelona

Einen anderen Ansatz als der "Budapester Prozess" hat der "Barcelona-Prozess", der 1995 die EU und die Anrainerstaaten des Mittelmeers in der Hauptstadt Kataloniens zusammenführte (Folie). Es geht um eine Zusammenarbeit, die sich zum einen auf die nordafrikanischen Maghreb-Länder (Marokko, Algerien, Tunesien und Libyen) sowie den Raum des arabischen Mashrek (Ägypten, Jordanien, Libanon und Syrien), zum anderen auf Israel, die Türkei, Malta und Zypern bezieht. Diese Länder sollen langfristig (bis zum Jahr 2010) mit der erweiterten EU und den Ländern Mittelosteuropas (soweit sie bis dahin nicht bereits selbst Mitglieder der EU sind) zur "größten Freihandelszone der Welt" zusammenwachsen. Es wäre ein Binnenmarkt mit 600-800 Millionen Einwohnern in 30-40 Ländern.

Das wirtschaftliche Interesse, das sich in dieser Perspektive ausdrückt, ist aber im "Barcelona Prozess" in ein grösseres Konzept eingebettet. Er soll "den Mittelmeerraum zu einem Gebiet des Dialogs, des Austauschs und der Zusammenarbeit machen, in dem Frieden, Stabilität und Wohlstand gewährleistet sind". Ähnlich wie seinerzeit bei der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa wird beim Barcelona-Prozess auch von verschiedenen "Körben" gesprochen.

Sie enthalten die politische und sicherheitspolitische Partnerschaft, die Wirtschafts- und Finanzpartnerschaft sowie eine Partnerschaft im sozialen, kulturellen und menschlichen Bereich. Im politischen und sicherheitspolitischen Bereich wird ein regelmäßiger politischer Dialog geführt mit dem Ziel der schrittweisen Errichtung eines Friedens-, Stabilitäts- und Sicherheitsraums. Kern der wirtschaftlichen Zusammenarbeit ist die schrittweise Errichtung einer Freihandelszone. Im dritten Korb, der Partnerschaft im sozialen, kulturellen und menschlichen Bereich stehen im Vordergrund die Förderung eines besseren Verständnisses zwischen den Kulturen und Religionen, die Anerkennung grundlegender sozialer Rechte, die Anerkennung und Förderung der Zusammenarbeit nicht-staatlicher und autonomer gesellschaftlicher Gruppierungen ("Zivilgesellschaft"), Migrationsfragen und die Bekämpfung der organisierten Kriminalität (vgl. Presserklärung des Auswärtigen Amtes, EU-Mittelmeerpolitik/Barcelona-Prozess, .

Auch wenn mit dem Barcelona-Prozess ein alle Politikbereiche umfassendes, allgemeines Konzept verfolgt wird, spielt die Migration eine wichtige Rolle. So heißt es bei der EU-Kommission: "Unter den gegenwärtigen politischen Bedingungen gibt es in einer Reihe dieser Länder Quellen der Instabilität, die zu massenhafter Migration, zu fundamentalistischem Extremismus, zu Terror, Drogen und organisiertem Verbrechen führen können."

Der Barcelona-Prozess ist an den Interessen der Europäischen Union orientiert, den Wohlstandsgraben zwischen ihr und den Mittelmeerländern aufzufüllen, ohne aber das wirtschaftliche Übergewicht und die damit verbundenen Privilegien zu verlieren (Folie). Abgesehen davon ist es politisch nicht stimmig und damit eher kontraproduktiv, die Freizügigkeit des Kapitals und der Dienstleistungen auf der einen Seite zu fördern und die Freizügigkeit der Menschen massiv zu behindern. Voraussichtlich wird die Freizügigkeit als Menschenrecht betrachtet künftig einen höheren Stellenwert bekommen und in dem Masse, wie nationalsstaatliches Handeln zurückgeht, international auch stärker abgesichert werden. Das Asylrecht ist dabei ein zentraler Bestandteil.

Zukunftsperspektive

Die europäischen Staaten werden weiterhin Flüchtlinge aufnehmen, ja aufnehmen müssen; dies möglicherweise sogar in größerem Umfang als bisher. Ungezählte Menschen sind auch in Zukunft gezwungen zu flüchten, weil sie die Opfer von massiven Verletzungen der Menschenrechte werden. Die gemeinsame Aufgabe besteht darin eine einheitliche europäische Asylpolitik nicht auf dem untersten sondern auf dem höchsten Menschenrechts-Niveau zu erreichen und dabei ein vernünftiges System für die Übernahme von Flüchtlingen zu finden. Eine derartige Europa-Politik hätte dann, wie jetzt im negativen, eine positive Auswirkung auf den weltweiten Flüchtlingsschutz.


veröffentlicht in:

iza Zeitschrift für Migration und Soziale Arbeit,
Frankfurt/Main, Nr. 3/4 1999, S. 64-68