Herbert Leuninger ARCHIV ASYL
1994

FRANKFURTER RUNDSCHAU
6. August 1994

Im Hintergrund
"Wir alle gehören zu einer Menschheitsfamilie"
Herbert Leuninger und sein neues Amt bei "Pro Asyl"

Von Susanne Hoerttrich

Herbert Leuninger, Sprecher der bundesweiten Arbeitsgemeinschaft für Flüchtlinge "Pro Asyl", gab sein Amt nach achtjähriger Tätigkeit ab. Der 62jährige aus Hofheim im Main-Taunus-Kreis übernahm stattdessen die neue Stelle eines Europareferenten der in Frankfurt ansässigen, acht Jahre alten Organisation.

HOFHEIM. "Büro Leuninger?" Die blonde Frau im schmalen Raum im Obergeschoß des unscheinbaren Hauses am Hofheimer Kapellenberg lauscht einen Augenblick in die Hörermuschel. „Eine Abschiebung", sagt sie dann zu „Pro Asyl"-Sprecher Herbert Leuninger, der neben ihr steht, die schmale silbrige Brille auf der Nasenspitze, und Gesprächsnotizen sichtet. „Nur einen Tag noch, dann leiten wir solche Anrufe weiter", setzt sie hinzu. Denn zum 1. September änderte sich das Tätigkeitsfeld des couragierten Priesters. "Von morgen an reden wir nur noch englisch", verabredete er im Hinblick auf die neue Arbeit als ehrenamtlicher Europareferent mit seiner Mitarbeiterin, die ihm seit 21 Jahren zur Seite steht.

Herbert Leuninger ist einer, an dem sich die Geister scheiden. "Rufer in der Wüste", prophetischer Mahner ist der Katholik den einen. radikaler Bürgerrechtler, mit dem sich Politiker zunehmend schwer tun, den anderen. Kalt läßt der Mann mit dem asketisch wirkenden Ge- sicht, der leidenschaftlich gegen den Abbau von Menschenrechten kämpft, jedoch kaum jemanden. Die Geschichte seiner Familie hat den gebürtigen Kölner geprägt, von ihr hat er die Entschiedenheit und ein klares Bewußtsein für soziale und politische Rechte. "Mein Vater war Gewerkschafter, mein Onkel Franz wurde in Plötzensee im Zusammenhang mit dem 20. Juli 1944 hingerichtet." Einfluß hatte auch die Atmosphäre in dem 1200-Seelen-Dorf Mengerskirchen im Westerwald, wo die Leuningers herstammen. „Die Nazis kriegten dort kein Bein auf den Boden, bei den letzten Wahlen zum Reichstag erreichten sie nie mehr als drei Prozent", erinnert sich der Geistliche.

Der soziale Katholizismus, mit dem er aufwuchs, machte ihn "sehr sensibel gegen alle rechtsextremen Strömungen". Aus der Haltung heraus, auch in seiner persönlichen Gegenwart keine rechtsextremen Äußerungen zuzulassen, lehnt er es ab, mit Republikaner-Chef Schönhuber oder dem Neonazi Christian Worch im Fernsehen aufzutreten. Und er handelte. Als die Landesregierung in der Hessischen Gemeinschaftsunterkunft (HGU) in Schwalbach im Main-Taunus-Kreis Zelte aufstellen ließ, weil sie sich außerstande zeigte, Asylsuchende anders unterzubringen, setzte sich Leuninger in ein Zelt der HGU und ging in Hungerstreik. Denn mit dem Aufstellen von Zelten habe die Landesregierung signalisiert, daß die Aufnahmekapazität der Bundesrepublik erschöpft sei, was einfach nicht stimme. Auch die Aktion von Kirchengemeinden im Main-Taunus-Kreis, Flüchtlingen Lebensmittelpakete abzukaufen, damit sie sich selbst im Supermarkt holen können, was ihnen schmeckt, unterstützt Leuninger finanziell. Denn mit den Lebensmittelpaketen, den Abschiebeknästen und anderen Folgen des neuen Asylbewerberleistungsgesetzes werde signalisiert, Flüchtlinge seien Menschen zweiter Klasse. Leuninger will mit allen Kräften eine Entwicklung stoppen, die Flüchtlinge erneut zu Sündenböcken abstempele, die Gesellschaft entsolidarisiere und nur noch das Recht des Stärkeren kenne. Ein solches Engagement zog Reaktionen nach sich. Warum er denn alle Flüchtenden der Welt nach Deutschland holen wolle, fragten Journalisten provokativ. Leuninger konterte, 95 Prozent aller Flüchtenden blieben sowieso in anderen Erdteilen und Deutschland habe aus seiner Geschichte heraus eine besonders große Verpflichtung, Menschen aufzunehmen. Neonazis griffen 1991 Leuningers Haus mit Steinen an und warfen Drohbriefe in seinen Briefkasten. Der Geistliche äußerte keinerlei Sorge um sein eigenes Wohlbefinden: "Es ist nur folgerichtig, daß nicht nur die Flüchtlinge, sondern auch die Menschen angegriffen werden, die sich mit ihnen solidarisieren." Im Laufe seiner Tätigkeit, die den jungen Priester vom Gemeindepfarrer im Bistum Limburg zur Tätigkeit eines Referenten für Katholiken anderer Muttersprache und schließlich zur Flüchtlingshilfsorganisation "Pro Asyl" führten (siehe Kasten "Zur Sache"), bezog der heute 62jährige immer eindeutiger Position. Als vor drei Jahren die "Diskussion um die Veränderung des Asylrechts heißlief und sich in Bonn eine Superkoalition gegen Flüchtlinge bildete", fühlte sich Leuninger "innerlich in die Haltung einer Fundamentalopposition gedrängt". Denn im Asylbereich werde auf dem Rücken der Schwächsten durchgespielt, was generell geplant sei: "Der massive Abbau von Sozial- und Bürgerrechten."

Zutiefst überzeugt, daß sich in der Bundesrepublik die aus den Erfahrungen der Nazizeit erwachsene Verfassung und die gegenwärtige Politik immer weiter auseinanderentwickelten, predigt Leuninger "durchhalten" und "sich nicht anpassen".

In Zukunft wird Leuninger seine Tätigkeit über die Landesgrenzen hinaus ausdehnen: Als ehrenamtlicher Europareferent von "Pro Asyl".