Herbert Leuninger ARCHIV ASYL
1992

PRO ASYL
und das Loch im Netz

veröffentlicht in : Klaus Henning Rosen (Hrsg.) Jahrbuch der Deutschen Stiftung für UNO-Flüchtlingshilfe 1992, Baden-Baden 1992, S. 83-97

INHALT

Es gibt noch keine wissenschaftliche Untersuchung darüber, unter welchen Voraussetzungen sich Asylinitiativen bilden und wer sich in ihnen zusammenfindet und wie ihre Vernetzung zustande kommt.

Netze entstanden auf spontane und unterschiedliche Weise. Eine irgendwie geartete Animation hierzu, öffentliche Aufrufe oder Kampagnen, die verstärkte Zusammenschlüsse zugunsten von Flüchtlingen, propagierten, gab es anfangs wohl nicht.

Gründung und Akzeptanz

Die 15 Gründungsmitglieder von PRO ASYL, die sich am 8.September 1986 in Frankfurt als Geburtshelfer einer neuartigen Arbeitsgemeinschaft zusammenfinden, sind eine Schnittmenge aus zwei gesellschaftlichen Bereichen. Man kennt sich entweder aus der Flüchtlingsarbeit der Verbände mit dem Vertreter des Hohen Flüchtlingskommissars oder vom Ökumenischen Vorbereitungsausschuß für die Woche der ausländischen Mitbürger her. Gerade in der Ausländer- und Flüchtlingsarbeit sind vielleicht wie auf keinem anderen Sektor gute Erfahrungen in der Zusammenarbeit in sich verschiedenartiger Organisationen gemacht worden. Man könnte sagen, es haben sich Experten zusammengefunden, die nicht nur etwas von der Sache verstehen, um derentwillen PRO ASYL gegründet werden soll, sondern auch von Kooperation.

Soll nun eine neue Superorganisation entstehen? Daran ist natürlich nicht gedacht. Dafür hätten die einzelnen Konferenzteilnehmer auch kein Mandat. Es ist ein Forum geplant, das die einzelnen Organisationen in ihrer Aufgabenstellung und Arbeit nicht tangiert, ihre fachliche Kompetenz aber für eine aktuelle Verständigung und Vernetzung zu nutzen versucht. Jeder in der Runde weiß, wie schwierig und langwierig Meinungsbildung bereits in der eigenen Organisation ist. Erst recht gilt dies, wenn mehrere Organisationen sich auf eine gemeinsame Linie verständigen wollen. Hier müssen in mühsamen Prozessen Ziele formuliert, Aktionen abgestimmt, Stellungnahmen mit Rückendeckung der Vorstände erarbeitet werden. Kompromisse, bisweilen bis an die Grenze des Erträglichen sind notwendig, Rücksichtnahmen auf die unterschiedlichen gesellschaftlichen Profile verlangen eine besondere Einfühlung, Interessen müssen sorgsam austariert werden. Das alles braucht Zeit, viel Zeit, normalerweise Monate, im günstigen Fall Wochen. Eine solche Kooperation, so unverzichtbar sie für viele gesellschaftlichen Aufgaben inklusive der Flüchtlingsarbeit auch ist , wäre für die angestrebten Ziele von PRO ASYL viel zu schwerfällig gewesen.

Ursprünglich war eine derartige Zusammenarbeit angestrebt. Vorgespräche und eine Konsultation in der Evangelischen Akademie Tutzing zusammen mit dem Vertreter des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen hatten aber ergeben, daß sich wichtige Organisationen zu der geplanten Form der Zusammenarbeit nicht verstehen konnten.

Dennoch soll PRO ASYL gegründet werden und zwar in einer unkonventionellen Organisationsform. Jeder der in Frankfurt Anwesenden bringt sich nur als Person in die Neugründung ein. Das mußte naturgemäß Nachteile für das politische Gewicht von PRO ASYL haben. Wenn sie in Kauf genommen wurden, dann aus der Überzeugung, daß bestimmte und wie die spätere Entwicklung zeigen sollte, spezifische Vorteile für eine solche Form einer Arbeitsgemeinschaft sprachen. Dabei ergab sich auf eine informelle, aber ziemlich effektive Weise der notwendige Kontakt zu den Organisationen und Verbänden, insofern die Mitglieder von PRO ASYL, wenn sie aus Organisationen und Verbänden kamen, ihrer Funktion nach in deren Kommunikations- und Entscheidungsstrukturen eingebunden blieben. Dieser Umstand sollte möglichst genutzt werden, wenn es darum ging, auf bereits vorhandene Erfahrungen und Informationen zurückzugreifen. So gesehen wollte PRO ASYL von Anfang an ein Medium sein, in dem der in Sachen Asyl durch Großorganisationen erhobene Informationsstand ausgetauscht werden konnte. Darüberhinaus ergab sich unter Umständen auch die Chance, den gesellschaftspolitischen Interventionsradius dadurch zu erweitern, daß von PRO ASYL aus Anregungen für Aktionen oder Stellungnahmen der Verbände ausgingen.

Für einen wesentlichen Bereich von PRO ASYL, nämlich für die aktuelle Medienarbeit erwies sich die auf interpersonaler Basis beruhende Zusammenarbeit bald als besonders fruchtbar. Ein großes gegenseitiges Vertrauen machte es möglich, daß PRO ASYL, ohne die an sich normalen, aber komplizierten und langwierigen Abstimmungsprozesse in der Öffentlichkeit aktuell und mit beachtlicher Resonanz reagieren konnte. Mittlerweile wird gerade dieser Aspekt als so gelungen eingeschätzt, daß eine ähnliche organisatorische Konstruktion wie bei PRO ASYL etwa für den Ausländersektor oder für die Zusammenarbeit der Verbände und Initiativen in der entwicklungspolitischen Arbeit vorgeschlagen wurde.

Als Antwort auf die damalige Asyldiskussion, welche immer stärker unter Abschreckungs- und Abwehrvorstellungen stattfand, und die weitere Aufnahme von Flüchtlingen und ihre menschenwürdige Behandlung in Frage stellte, ist PRO ASYL gegründet worden. Rechtliche Grundlage der Arbeit sollte Artikel 16 Grundgesetz und die Genfer Flüchtlingskonvention sein. Durch eine gezielte Informations- und Öffentlichkeitsarbeit vor allem will PRO ASYL beitragen, daß die Rechte für Flüchtlinge nicht abgebaut, sondern den heutigen Bedingungen entsprechend durchgesetzt werden. Ein weiteres Ziel war die Einführung des Tages des Flüchtlings. Der erste konnte bereits im Rahmen der Woche der ausländischen Mitbürger am 3.Oktober 1986 und zwar mit einer beachtlichen Beteiligung stattfinden.

Für den Dezember des gleichen Jahres wurde eine bundesweite Flüchtlingstagung mit den regionalen Flüchtlingsinitiativen in der Evangelischen Akademie Tutzing durchgeführt. Nicht zuletzt war PRO ASYL gegründet worden, weil es wohl schon einige Flüchtlingsräte auf Landesebene, aber noch keinen bundesweiten Flüchtlingsrat als nationalen Vernetzungsknoten gab. Hier wollte PRO ASYL provisorisch einspringen, bis von unten herauf über die Landesebene und zwar auf demokratische Weise, eine Bundesvertretung der Flüchtlingsinitiativen entstehen würde. Genau dies war vom Ansatz her ein mindestens ebenso heikles Unternehmen wie das einer informellen Zusammenführung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus den einschlägigen Organisationen. Denn es war durchaus die Frage zu stellen, und sie wurde anfangs auch deutlich gestellt, mit welcher Legitimation PRO ASYL eigentlich angetreten ist. Die Frage war deswegen so delikat, weil das Selbstverständnis in der Flüchtlingssolidarität mindestens ebenso demokratisch und autonom geprägt war wie in anderen Bereichen der Neuen Sozialen Bewegungen. Daher war es anfangs noch keineswegs ausgemacht, daß die Solidaritätsgruppen PRO ASYL überhaupt akzeptieren würden. Über die Frage hinaus, ob die Verbände und Organisationen, die sich thematisch der Asylarbeit stellten, PRO ASYL nicht als eigentlich überflüssig ablehnen würden, war der Legitimationsdruck für PRO ASYL gegenüber der Solidaritätsszene noch stärker. Die bisherigen Jahrestagungen von PRO ASYL, wo diese Frage mit den Flüchtlingsinitiativen durchaus besprochen wurde, haben diesen Druck zwar nicht beseitigt, aber in den Hintergrund treten lassen. Die Resonanz auf die Einladungen war immer beachtlich. Sie zeigte, wie sehr sich die Solidaritätsbewegung für Flüchtlinge in der Bundesrepublik ausweitete, und wie notwendig es war, daß PRO ASYL mit einigen evangelischen Akademien zusammen das erweiterte Forum des Informationsaustausches und der Selbstvergewisserung bot. Da PRO ASYL einerseits seine prinzipielle Vorläufigkeit herausstellte und die weiteren Entwicklungen die Notwendigkeit einer solchen oder ähnlichen Arbeitsgemeinschaft bestätigten, verloren sich die anfänglich vorhandenen und auch durchaus verständlichen Vorbehalte gegenüber PRO ASYL immer mehr.

Entscheidend dazu beigetragen haben dürften drei Entwicklungen. Zum einen machte die Vernetzung der lokalen Ebene mit der Länderebene erhebliche Fortschritte. In diesem Prozeß nahmen die dabei entstandenen landesweiten Flüchtlingsräte bzw. Arbeitskreise PRO ASYL dadurch an, daß sie dort mitarbeiteten und immer mehr den Inhalt der Arbeit von PRO ASYL mitbestimmten. Damit wuchs PRO ASYL nachträglich von unten her eine Legitimation zu, die auf Dauer unverzichtbar war. Eine weitere Entwicklung hat PRO ASYL gegenüber den lokalen und landesweiten Gruppierungen Akzeptanz verliehen, insofern die Materialien, die PRO ASYL zum Tag des Flüchtlings herausgab, und auch die Faltblätter zu aktuellen asylpolitischen Anlässen, die in großen Auflagen verbreitet wurden, als hilfreich empfunden wurden. Nicht zuletzt dürfte für die Anerkennung von PRO ASYL eine Rolle gespielt haben, daß sich die Gruppen und viele engagierte Menschen weitgehend in den kritischen Stellungnahmen wiedergefunden haben, die PRO ASYL über die Medien verbreitete und die dort und in der Öffentlichkeit als Stimme der Flüchtlingsbewegung verstanden wurden.

Die Vernetzung

Es gibt noch keine wissenschaftliche Untersuchung darüber, unter welchen Voraussetzungen sich Asylinitiativen bilden und wer sich in ihnen zusammenfindet. Vorhanden sind vielfältige Erfahrungen vor allem durch die Zusammenschlüsse solcher Initiativen auf Landesebene, nennen sie sich nun Flüchtlingsräte oder Arbeitskreise.

Die gesamte Entwicklung verlief in spontaner und unterschiedlicher Weise. Eine irgendwie geartete Animation hierzu, öffentliche Aufrufe oder Kampagnen, die verstärkte Zusammenschlüsse zugunsten von Flüchtlingen, propagierten, gab es anfangs wohl nicht. Sie sollte es erst im Zuge der wachsenden Fremdenfeindlichkeit im 2.Halbjahr 1991 durch die Gewerkschaften geben, in denen diese vor allem zu Patenschaften für Flüchtlingswohnheime aufriefen. Im Folgenden sollen einige Entwicklungen nachgezeichnet werden.

Die lokale Ebene

Nach einer Besprechung von Bundeskanzler Schmidt mit den Regierungschefs der Länder im Juni 1980 entschied sich die Hessische Landesregierung für den Bau einer Gemeinschaftsunterkunft für ausländische Flüchtlinge in Schwalbach bei Frankfurt mit der für die spätere Konzeption von Großlagern typischen Kapazität von 500 Plätzen. Es sollte die zentrale Anlaufstelle für alle Asylbewerber in Hessen werden, die von hier aus nach den Aufnahmeformalitäten auf die Kommunen und Kreise verteilt wurden.

Bereits in der Planungsphase des Lagers hatte sich der Arbeitskreis "Hilfe und Beratung für Asylbewerber Eschborn" gebildet. Ihm gehörten seinerzeit die katholischen und evangelischen Kirchengemeinden von Eschborn, Niederhöchstadt und Schwalbach, amnesty international, die Arbeiterwohlfahrt, der Frankfurter Rechtshilfefonds und der Initiativausschuß "Ausländische Mitbürger in Hessen" an. In einer Notiz über erste Gespräche mit hessischen Regierungsbeamten hieß es: "Das Problem Asylbewerber wird abwehrend, technisch-verwaltungsmäßig angegangen, aber nicht von den Menschen her, um die es geht." Genau diesen entscheidenden Aspekt wollte aber der Arbeitskreis einbringen. Nach und nach ist es dem Arbeitskreis gelungen, eine gewisse Humanisierung des Abschreckungskonzeptes bis hin zu einer professionellen Kinderbetreuung zu erreichen, Öffentlichkeit herzustellen und ein verstärktes Engagement der Gemeinden in der Umgebung des Lagers zu fördern. Vor allem hat er auch dazu beigetragen, daß es zu einer fruchtbaren Zusammenarbeit mit verschiedensten Organisationen und anderen Arbeitskreisen kam. Hier wäre die Ökumenische Initiative "Gottesdienste mit Flüchtlingen" zu erwähnen. Sie organisiert 14tägige Gottesdienste im Lager, aus denen sich vielfältige Kontakte und persönliche Solidarisierungen ergeben.

Nicht weit von Eschborn liegt Kelkheim, eine Stadt mit 27.000 Einwohnern. Im Mai 1983 berichtete dpa über einen Hungerstreik der dort lebenden Asylbewerber. Sie hätten aus Protest ihre Essensportionen auf die Straße gekippt. Hintergrund war die Entscheidung des Kreises, die Versorgung der Asylbewerber von Gutscheinen auf Gemeinschaftsverpflegung umzustellen. Der Landrat des Main-Taunus-Kreises sah nun die Grenzen der Gastfreundschaft erreicht, die Bevölkerung müsse diese Aktion als eine Beleidigung des Gastlandes empfinden. Hier schaltete sich unter der Leitung des evangelischen Pfarrers der Paulus-Gemeinde ein neugebildeter "Arbeitskreis zur Betreuung der Asylbewerber in Kelkheim" ein, der mit Eingaben und öffentlichen Erklärungen die Ausgabe wenigsten von Gutscheinen zu erreichen. Der Landrat mußte seine Entscheidung zurücknehmen. Von jetzt an sah der Arbeitskreis seine Aufgabe darin, die Begegnung zwischen Asylbewerbern und der Bevölkerung zu fördern.

In der Kreisstadt Hofheim hatte sich zu dieser Zeit bereits ein "Arbeitskreis Asylbewerber" konstituiert, in dem engagierter Bürgerinnen und Bürger neben Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Arbeiterwohlfahrt, des Caritasverbandes, des Roten Kreuzes, des Diakonischen Werkes und einer der evangelischen Gemeinden zusammengefunden hatten. Hier ging es um einen unmittelbaren, helfenden Einsatz in einzelnen Fällen, aber auch um eine bessere Information der Öffentlichkeit.

Nach der rigorosen Abschiebung einer jungen indischen Mutter mit zwei kleinen Kindern im Alter von 3 Jahren und 3 Monaten und einer erbitterten Leserbrief-Kampagne in der Tageszeitung verlegte eine in Hofheim bestehende Pax-Christi-Friedensgruppe ihren Schwerpunkt auf die Pflege nachbarschaftlicher Kontakte mit Flüchtlingen. Diese Gruppe ging nach ersten Erfahrungen auch zu politischen Initiativen über. So gelang es ihr nach einer spektakulären Aktion, daß in Hessen die bis dahin noch bestehende Gutscheinregelung zugunsten der unmittelbaren Auszahlung der Sozialhilfe abgeschafft wurde. Die Gruppe betrachtet die vier Ferienfreizeiten, die sie mit Flüchtlingen und ihren Familien in Feriendörfern verbracht hat, als Höhepunkte der gegenseitigen Kontakte.

In Kronberg im Taunus wandte sich ein dort schon seit langem bestehender deutsch-ausländischer Freundeskreis mit einem dringenden Appell an die Kirchen, sich für eine bessere Unterbringung der Flüchtlinge einzusetzen. In dem Schreiben heißt es, man brauche nicht übersensibel zu sein, um die Zustände in einem bestimmen "Hotel" als himmelschreiend anzusehen.

Einen Erfolg gegen den Hochtaunuskreis errang auch eine spontan gebildete Gruppe Königsteiner Bürgerinnen und Bürger, die die Verlegung von 30 afghanischen Asylbewerbern aus einer Unterkunft in Königstein in eine andere, im Hintertaunus gelegene, zu verhindern suchte. In diesem Konflikt erklärten sich einige Menschen bereit, eidesstattliche Erklärungen abzugeben, in denen sie auf die engen Beziehungen hinweisen wollten, die zwischen ihnen und den Asylbewerbern in den beiden letzten Jahren entstanden seien. 537 Unterschriften trug eine Petition, die zugunsten dieser Aktion bei einem großen Königsteiner Volksfest ausgelegt worden war.

Die hier geschilderte Entwicklung der Solidarität mit Flüchtlingen, die fast zehn Jahre zurückliegt, darf auch aufgrund sonstiger Erfahrungen als exemplarisch dafür angesehen werden, wie sich Menschen in der Bundesrepublik auf lokaler Ebene in Solidarität mit Flüchtlingen zusammen finden. Hervorzuheben ist in diesem Fall die Tatsache, daß die Gruppenbildung in einem geografisch eng begrenzten Raum vor sich gegangen ist, dessen Durchmesser kaum mehr als 10 km ausmacht. Die Bevölkerung der genannten Taunusstädte beläuft sich auf etwa 100.000 Einwohner. Gibt man der Versuchung nach, hochzurechnen, wie sich eine entsprechend verlaufene Entwicklung in der (alten und neuen) Bundesrepublik ausnehmen könnte, käme man vielleicht auf 2000 oder gar auf 3000 ähnliche Gruppen. Dabei darf man sicher in Rechnung zu stellen, daß sich die Gruppenbildung zwischenzeitlich in dem Maße fortgesetzt hat, wie mehr Asylbewerber auch in kleinere Kommunen verteilt wurden und die abwehrende Asyldiskussion nicht nur Abkehr sondern gerade auch eine verstärkte Hinwendung zu den geflüchteten Menschen hervorgerufen hat. Der "heiße Herbst" 1991 mit den ungezählten Angriffen auf Flüchtlinge und ihre Unterkünfte hat dieser Bewegung einen weiteren Auftrieb gegeben und den Kreis der Solidarität noch einmal deutlich ausgeweitet.

Wenn bisher nur von Gruppen die Rede war, darf nicht übersehen werden, daß es eine kaum angebbare, aber sicher sehr große Zahl von Menschen gibt, die sich in persönlicher Form und ohne sich einer Gruppe anzuschließen oder eine solche zu gründen, für Flüchtlinge einsetzen. Ausgelöst werden diese Bindungen an das Schicksal von Asylbewerbern durch individuelle Erlebnisse bei häufig zufälligen Kontakten. Oft steht am Anfang ein Erschrecken über die Unterbringung von Flüchtlingen oder über ihre Behandlung durch die Behörden. Kommt es danach zu einem Gespräch oder zu einer Begegnung, erhalten die vorher meist vagen Vorstellungen über Asyl eine persönliche Dimension. Daraus entsteht eine unmittelbare Betroffenheit, die zu einer bis ins Emotionale reichenden Identifizierung mit fremden Menschen und ihren Schicksalen führen kann.

Aufgrund der Verteilung von Flüchtlingen auf die Kommunen, ihre Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften und die nur auf Abwehr und Ablehnung abgestellte Asyldebatte, entsteht für viele Menschen die Herausforderung, sich dem eigenen Anspruch auf Humanität zu stellen. Dieser Teil der Bevölkerung ist von seiner politischen und sozialen Einstellung, von seiner Motivation und gesellschaftlichen Position her als emanzipiert und insgesamt als eher kritisch einzustufen. Dabei reicht es nicht aus, bei dem Versuch einer Analyse das Schema konservativ-progressiv zu verwenden. Sicher handelt es sich um Menschen, die eher dem linken politischen Spektrum zuzuordnen sind, die aber auch, wenngleich wesentlich seltener, dem konservativen Spektrum entstammen. Bei letzteren dürfte aber auch die Fähigkeit gegeben sein, sich nicht völlig mit dem eigenen politischen Lager zu identifizieren. Von der gesellschaftlichen Stellung her dürfte die solidarische Szene - die sehr engagierte "autonome Szene" müßte eigens behandelt werden - als sozial abgesichert anzusehen sein. Menschen aus diesem Milieu sind von ihrer Ausbildung her zumeist in der Lage, analytisch und kritisch auf ihre Umwelt und dabei insbesondere auf die öffentliche Meinung zu reagieren. Sie verfügen über zeitliche, physische und psychische Reserven, um sich ggfs. auf ein konfliktträchtiges Engagement einzulassen. Auch verstehen sie es in der Mehrzahl, ihre Vorstellungen in Diskussionen, bei Gruppengesprächen oder sogar in der Öffentlichkeit einzubringen. Weltanschaulich gesehen ist es offensichtlich notwendig, universalistischen, also keinesfalls ethnischen oder nationalen Optionen zuzuneigen. Die Bedeutung des Personenkreises kann, besonders wenn es sich um Angehörige sozialer, pädagogischer oder kommunikativer Berufe handelt, für eine Vermittlung und Verbreitung entsprechender Gedanken und Argumente nicht hoch genug veranschlagt werden.

Die Großstadt- und Länderebene

80 Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf einer asylpolitischen Tagung der Evangelischen Akademie Bad Boll im September 1991 spiegeln im gewissen Sinn das Spektrum in der Flüchtlingsarbeit. Miteingeladen hatte der "Arbeitskreis Asyl Baden-Württemberg". Über 50 Städte und Gemeinden sind in der Tagungsliste aufgeführt. 23 Personen geben als Beruf Sozialpädagogik, Sozialarbeit oder Asylbetreuung an. Hier handelt es sich um den professionellen Teil der Flüchtlingsarbeit mit vielseitigen Verbindungen zu Ehrenamtlichen. Diese umfassen viele Berufsgruppen. Unterrepräsentiert auf dieser Tagung und sicher auch auf ähnlichen der anderen Akademien sind Menschen aus dem Industrie-, Gewerbe-, Handwerks- und Dienstleistungsbereich. Dies läßt aber keinen Schluß darauf zu, daß es hier nicht auch eine beachtliche, vor allem individuell agierende Solidarität gäbe.

Die Tagung in Bad Boll ist bereits das Ergebnis einer landesweiten Vernetzung. Bei dieser Vernetzung der verschiedenen Initiativen, die sich in ähnlicher Weise vollzieht wie bei den anderen neuen sozialen Bewegungen, gibt es verschiedene Ebenen. Die lokale Ebene kennt vielfach bereits eine erste Stufe der Vernetzung, insofern dort agierende Gruppen und vor allem auch Kirchengemeinden und Wohlfahrtsorganisationen informell oder formell zusammenfinden. Als weitere Ebene der Kooperation und Koordination bietet sich die Stadt, vor allem die Großstadt mit ihrem Umfeld an.

Ein gutes Beispiel hierfür ist der Flüchtlingsrat Köln. Er bündelt die Basisinitiativen, die es in den verschiedenen Stadtteilen wie Köln-Mitte, Agnesviertel, Ehrenfeld, Dellbrück, Deutz, Dünnwald, Kalk, Höhenhaus, Mülheim und Weidenpesch gibt. Ihm sind aber auch die bereits lokal vernetzten Flüchtlingsräte aus dem Kölner Raum wie die von Bonn, Düren und Leverkusen angeschlossen. Hinzu kommen auch Initiativen aus Forsbach-Rösrath, dem Rhein-Sieg- und dem Erftkreis. Der Flüchtlingsrat Köln fördert u.a. den Informationsaustausch über die in der Region auftretenden Fragen und Probleme. Er koordiniert öffentliche und politischen Initiativen; außerdem beteiligt er sich an Appellen und Aktionen, die seinen Einzugsbereich überschreiten.

Die nächsthöhere Ebene ist dann auf der Ebene eines Bundeslandes der Flüchtlingsrat Nordrhein-Westfalen. Hier sind (Stand 1992) über 150 Flüchtlingsinitiativen zusammengefaßt, und zwar nicht nur Flüchtlingsräte und Asylarbeitskreise sondern auch Kirchengemeinden, Wohlfahrtsverbände, deren spezielle Dienste für Flüchtlinge, aber auch ai-Gruppen und 3.Welt-Initiativen. Wir haben es mit einer flächendeckenden, wenn sicher auch nicht vollständigen Vernetzung zu tun. Das wird nicht nur deutlich an der Mitgliedschaft der Flüchtlingsräte von Bielefeld, Bottrop, Dortmund, Essen, Köln, Mülheim, Oberhausen und Solingen, der Kreise Coesfeld, Düren, Herford, Siegen-Wittgenstein Unna und des Märkischen Kreises, sondern auch der vieler einzelner Asylarbeitskreise in weiteren Städten und Gemeinden.

Der Flüchtlingsrat Nordrhein-Westfalen faßt - sicher in einer für die Bundesrepublik typischen Weise - Initiativen und Organisationen zusammen, die organisationssoziologisch, d.h. in ihrer Struktur und Zusammensetzung, aber auch in ihren Aktionsmustern sehr divergieren. Das reicht von basisdemokratischen Gruppen über Kirchengemeinden bis hin zu lokalen Agenturen der Wohlfahrtsorganisationen. Eine damit gegebene Besonderheit ist sicher auch der unterschiedliche weltanschauliche und politische Hintergrund.

Von der Mitgliederliste des Flüchtlingsrates Nordrhein-Westfalen her gibt es einen deutlichen Schwerpunkt bei kirchlichen Einrichtungen und hierbei wiederum bei solchen der evangelischen Kirche. Dies bezieht sich auf Kirchengemeinden und auch auf Einrichtungen der Wohlfahrtspflege. So bestätigt sich aus der Sicht von PRO ASYL die Erfahrung, daß die Evangelische Kirche wesentlich stärker als die Katholische das personelle, finanzielle und organisatorische Rückgrat der Asylarbeit bildet und damit wesentliche Voraussetzungen für die Vernetzung geschaffen hat. Die gesellschaftliche Breite der Solidarisierung mit Flüchtlingen wird damit nicht beeinträchtigt, sondern nachhaltig unterstützt. Sie bleibt eines der herausragenden und wohl auch für die weitere Entwicklung einer Bürgergesellschaft wichtigen Merkmale dieses Teil der Neuen Sozialen Bewegungen.

Die Aktivitäten

Will man Art und Inhalt der Arbeit der "Pro Asyl"-Bewegung beschreiben, so muß man wie bei den Organisationsformen ebenfalls von einer großen Bandbreite ausgehen. Sie umschließt an erster Stelle unmittelbare Interventionen zugunsten einzelner Flüchtlinge und ihrer Familien. Hier werden alle Formen nichtprofessioneller und professioneller Beratung und Assistenz praktiziert. Dazu kommen aus einer inneren Logik heraus meistens sehr bald erste Schritte einer Öffentlichkeitsarbeit und einhergehend damit die politischen Aktivitäten. Dies könnte man als das gängige Grundmuster der Flüchtlingssolidarität bezeichnen, ein Grundmuster, das auf seine Weise typisch für die neue Bürgerbewegung ist. Dabei steht diese Arbeit unter einer schweren Belastung. Sie ergibt sich daraus, daß wir es mit einem Widerstreit rechtsstaatlicher und humanitärer Forderungen auf der einen und einer konzertierten Abwehr- und Abschreckungspolitik auf der anderen Seite zu tun haben.

Als Beispiel für die inhaltliche Arbeit mögen Einblicke in die Protokolle des Berliner Flüchtlingsrates dienen. Seine Vernetzung, die jetzt auch in den Ostteil der Stadt und in das Land Brandenburg hineinreicht, ist gleichzeitig die einer Großstadt und eines Stadtstaates. Der Koordinierungsausschuß hat mittlerweile seine 250. Sitzung abgehalten!

  • Es sind Gespräche mit der Senatsverwaltung geführt worden, wie "Rückkehrflüchtlinge", also Asylbewerber, die auf eines der neuen Bundesländer verteilt wurden, aber wieder nach Berlin zurückgekehrt sind, sozialhilferechtlich und aufenthaltsrechtlich abgesichert werden können, bis ihnen in dem zugewiesenen Land eine akzeptable Unterkunft in Aussicht gestellt werden kann. Der Flüchtlingsrat (FR) hat in diesem Zusammenhang einen Forderungs- und Kriterienkatalog zur Unterbringung von Flüchtlingen aufgestellt, der in West und Ost Anwendung finden soll.

  • Der Flughafensozialdienst berichtet über zahlreiche, täglich stattfindende Abschiebungen vor allem nach Rumänien, Bulgarien, in den Libanon und nach Syrien. Sie würden von Beamten der jeweiligen Ausländerbehörde begleitet und bis zum Abflug in einem separaten Raum untergebracht. Der Sozialdienst habe keine Möglichkeit, mit diesen Menschen Kontakt aufzunehmen.

  • Das Landeseinwohneramt hat von einem Nigerianer, der mit einer in Berlin lebenden Engländerin verheiratet ist, verlangt, seinen Asylantrag zurückzuziehen, wenn er eine Aufenthaltserlaubnis erhalten wolle. Der Flüchtlingsrat will dies vom Innensenat überprüfen und eine parlamentarische Anfrage stellen lassen.

  • Der FR sucht genauere Informationen darüber, auf welche Weise Menschen an der polnischen und tschechoslowakischen Grenze zurückgewiesen werden. In Porschendorf soll eine Art Gefängnis für Grenzgänger existieren.

  • Die Organisation SOS-Rassismus verbreitet über den FR ein Flugblatt. Es soll in Kneipen und Restaurants ausgelegt werden. Die Wirte werden gebeten, 1,- DM auf Essen und Getränke aufzuschlagen. Damit sollen Flüchtlinge unterstützt werden, die in Abschiebehaft genommen wurden oder in die Illegalität gegangen sind, um so einer Abschiebung zu entkommen.

  • Der Arbeitskreis "alleinstehende minderjährige Flüchtlinge" beim Flüchtlingsrat setzt sich dem Senat gegenüber dafür ein, daß in der pädagogischen Arbeit zwischen unter und über 16jährigen Flüchtlingen kein Unterschied gemacht wird, wie es die Asylgesetzgebung nahelegt.

  • Es wird über zwei türkische Frauen gesprochen, die abschiebegefährdet sind, obwohl sie bereits als Jugendliche nach Berlin gekommen sind. Hier wäre nach Auffassung des Flüchtlingsrates wieder die Arbeit der Härtefallkommission notwendig, die es früher einmal beim Senat gegeben hat.

  • Äthiopische Flüchtlinge berichten, sie befürchteten in Kürze abgeschoben zu werden, obwohl die Übergangsregierung in ihrer Heimat keinerlei Sicherheit gewähren könne.

An diesen, verschiedenen Protokollen des Flüchtlingsrates entnommenen Beispielen wird deutlich, daß der Schwerpunkt der Arbeit eine ständige Auseinandersetzung mit den Behörden und dem Senat selbst um Bleibe-, ja um Lebensrechte von Menschen, die in der Bundesrepublik Zuflucht gesucht haben, ist. Dabei - und das gilt für die ganze Republik - gewinnt der Schutz vor Abschiebungen eine herausragende Bedeutung. Immer öfter werden nach Ausschöpfung aller rechtlichen Möglichkeiten Formen des sogenannten Kirchenasyls gewährt. Die dabei gesuchte und normalerweise auch erreichte Öffentlichkeit führt in der Mehrheit der Fälle zu einer Bleiberegelung. Ein Kirchenasyl fordert aber von allen Beteiligten das Letzte an persönlichem, zeitlichem und finanziellem Einsatz. Vielleicht wird an dieser Stelle in besonderer Weise die Befindlichkeit von Menschen in der Flüchtlingssolidarität deutlich. Sie binden sich in einer ungewöhnlichen Weise an das Schicksal anderer, ursprünglich fremder Menschen. Sie lernen sie schätzen, gewinnen sie lieb und können kaum mehr anders, als diese neuen Freundinnen und Freunde in einem schweren, von vielen Leiden bestimmten Kampf um Leben und Menschenwürde zu unterstützen.

Aus dieser Gemeinsamkeit erwächst eine große Kompetenz, die unversehens in der Lage ist, höchst komplexe rechtliche und behördliche Vorgänge zu durchschauen, zu analysieren und in beharrlichen Formen des direkten oder auch öffentlichen Einsatzes gegen sie anzugehen. Die dadurch erzielten Revisionen amtlicher, ja sogar gerichtlicher Entscheidungen sind erstaunlich. Allerdings sind sie als Erfolgserlebnis nicht ausreichend, um das Unmaß an Empörung über die unwürdige Behandlung von Asylbewerbern auszugleichen. Daher bedarf es bei diesem Engagement einer sehr hohen Frustrationstoleranz. Nicht nur der einzelne Fall kann ein durchaus tragisches Ende nehmen, so daß nur zähneknirschende Hilflosigkeit bleibt. Der ganze Einsatz geschieht in einem gesellschaftlichen und politischen Umfeld, in dem die Konditionen für Flüchtlinge immer bedenklicher werden.

Eine neue Dimension der Zusammenarbeit

Ein vorläufiger Tiefpunkt dieser Entwicklung war die pausenlose Asyldebatte um die Einschränkung von Zugangsmöglichkeiten und Verfahrensrechten für Flüchtlinge und die wie ein Flächenbrand sich ausbreitenden gewalttätigen Übergriffe auf Flüchtlinge im Herbst 1991. Die Straße suchte auf eine Weise Abwehrpolitik umzusetzen, die zur Lebensbedrohung für Flüchtlinge, aber auch andere "Fremde" wurde. Das Erschrecken hierüber hat dann nicht nur die Flüchtlingsinitiativen zu außerordentlichen Schutzmaßnahmen wie etwa Wachen an Wohnheimen und die Organisierung von Demonstrationen veranlaßt, sondern erstmals auch weitere Teile der Gesellschaft zu Initiativen angeregt.

Von herausragender Bedeutung hierfür wurde der 9.November 1991, das Gedenken an die Reichspogromnacht. Hunderttausende haben an diesem Termin oder in zeitlicher Nähe zu ihm in der ganzen Republik gegen Rassismus, Fremdenhaß und Gewalt demonstriert. Erstmals, so könnte man mit gewisser Vorsicht sagen, ist das Erinnern an die Barbarei gegen die jüdische Bevölkerung kein bloßes erschütterndes Gedenken, sondern ein Anlaß gewesen, sich aus einer aktuellen Betroffenheit heraus der Gegenwart zu stellen. Monate-, ja jahrelang wurde eine Asyldebatte geführt, die nur auf Abschreckung, Abschottung, Internierung, Schnellverfahren und Deportation abgestellt war. Hierbei hatten sich außer den Grünen und der PDS alle anderen Parteien in unverantwortlicher Weise beteiligt. Wenn es dann mit Hoyerswerda, Hünxe, Saarlouis und in ungezählten anderen Fällen zu massiven Übergriffen auf Flüchtlinge und alle, die es potentiell vom Aussehen auch hätten sein können, kam, so war die Mitverantwortung der maßgeblichen politischen Klasse hierfür unabweisbar. Demgemäß war auch ihre politische Reaktion völlig unzulänglich, vor allem kam es nicht zu einer konzertierten Aktion zum Schutz der Asylbewerber, geschweige denn zu einem Ende der unseligen Asyldebatte.

Was sich zeigte, war eine erweiterte Sensibilität der Bürgerrechtsbewegung, die dem begrenzten Kreis der bisherigen Flüchtlingssolidarität zugute kam. Wenn dies auch mit dem Abklingen der feindseligen Kampagne zurückging, bedeutete sie qualitativ einen Fortschritt. Die Flüchtlingssolidarität wurde Teil der größeren Bürgerrechtsbewegung. Unmittelbar zeigte es sich daran, daß PRO ASYL in die Vorhaben der Friedensbewegung, wie sie sich im Netzwerk Friedenskooperative organisiert hat, einbezogen wurde und sich die Kontakte z.B. mit dem Komitee für Grundrechte und Demokratie und medico international, aber auch mit anderen Initiativen gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit verstärkte.

Von besonderer Bedeutung war auch die größere Beachtung, die die Themen Flüchtlinge und Fremdenfeindlichkeit bei den Gewerkschaften gefunden haben. Sie haben sich mit einer bisher nicht gekannten Deutlichkeit in die Auseinandersetzung eingeschaltet. Das gilt für den Deutschen Gewerkschaftsbund als Zusammenschluß aller Einzelgewerkschaften auf Bundes- und Bezirksebene wie auch etwa für die Industriegewerkschaft Metall, die Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft und die Gewerkschaft der Polizei. Die wichtigsten Kontakte mit gesellschaftlichen Großorganisationen, die PRO ASYL seit dem "heißen Herbst" hatte, waren solche mit den Gewerkschaften. Dabei waren sich die Verantwortlichen in den Arbeitnehmerorganisationen völlig im Klaren darüber, daß Überzeugungsarbeit nicht nur nach außen sondern auch nach innen zu leisten war. Sie stellten sich aber ihrer gesellschaftlichen und verbandsinternen Aufgabe in eindrucksvoller Weise. Dabei stellten die vergleichsweise mächtigen Organisationen ihre früheren Bedenken zurück, nicht mit Bürgerbewegungen, die vom Organisationsgrad, von der Struktur und den Mitgliederzahlen mit den Gewerkschaften so vergleichbar waren wie der Elefant und die Maus, zu kooperieren. Es zeichnet sich überhaupt - und zwar nicht nur im Asylbereich - bei den Gewerkschaften ein Trend ab, sich in einer Gesellschaft, die wohl nur noch über eine verstärkte Bürgerverantwortung im Sinne der civil society zu formieren oder auch zu reformieren ist, selbst neu zu orientieren.

Wenn diese Analyse zutrifft, ist sie für die Flüchtlingssolidarität von mindestens ebenso großer Bedeutung, wie die Unterstützung, die sie aus dem Raum der Kirchen erfährt und noch stärker erfahren könnte. Für PRO ASYL ist es unter diesem Aspekt wichtig gewesen, daß z.B. mit Sigfried Müller, der Leiter der Ausländerabteilung der IG Metall, als Person Mitglied von PRO ASYL geworden ist. Wenn jetzt auch der Abteilungsleiter "Ausländische Arbeitnehmer" beim Bundesvorstand des DGB, Karl Heinz Goebels ebenfalls in persönlicher Mitgliedschaft bei PRO ASYL mitarbeitet, ist dies - im Rahmen der bewährten Form persönlicher Mitgliedschaft maßgeblicher Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus den verschiedensten Organisationen und Verbänden - eine wichtige Erweiterung.

Die neue Entwicklung hat PRO ASYL mit einem mehr als bescheidenen Apparat vor Aufgaben gestellt, die auf Dauer weder ehrenamtlich noch semiprofessionell abgedeckt werden können. Es hat sich auch gezeigt, daß trotz der wichtigen persönlichen Mitarbeit aus den verschiedenen Bereichen mit einer finanziellen Abdeckung notwendiger Personalkosten durch andere Organisationen oder Verbände nicht gerechnet werden kann. Wenn nun aber die Erwartungen an PRO ASYL hinsichtlich der Zusammenarbeit, Beratung von Initiativen, Vernetzung der sich ausweitenden Solidaritätsbewegung und des Diskussions- und Informationsbedarf erheblich gestiegen sind, bedarf es neuer Formen, die notwendigen Mittel zu verschaffen.

Bisher wurde PRO ASYL in der Hauptsache durch den Vertreter des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR), und zwar im Hinblick auf den Tag des Flüchtlings, unterstützt. Dazu kamen finanzielle Beiträge von verschiedenen Verbänden und Einzelspenden. Durch die radikalen Sparmaßnahmen beim UNHCR, der auf die mangelnde Unterstützung vieler Regierungen zurückzuführen war, mußte UNHCR viele Projekte kürzen oder sogar einstellen. Davon war auch PRO ASYL betroffen.

Bereits im Herbst 1988 wurde zur Unterstützung von PRO ASYL der Förderverein PRO ASYL e.V.: gegründet. Sein Ziel ist es, sich für den Schutz von Flüchtlingen und politisch Verfolgten einzusetzen. Der Verein, dessen Mitglieder einen Mitgliedsbeitrag von derzeit DM 80,- aufbringen müssen, sammelt Spenden und leitet diese an die Arbeitsgemeinschaft PRO ASYL und an andere Flüchtlingsinitiativen weiter. Damit soll dann eine soziale, kulturelle und politische Bildungsarbeit ermöglicht werden. Derzeit geht es darum, die Mitgliedschaft erheblich auszuweiten. Dazu reichen die konventionellen Mittel der Werbung wie persönliche Kontakte oder auch Handzettel nicht mehr aus. Daher bedient sich der Förderverein einer renommierten Hamburger Werbeagentur, die im Rahmen eines social sponsoring Anzeigen in großen Publikationsorganen zu schalten versucht. PRO ASYL begibt sich damit auf eine besondere Ebene der Professsionalität, um vielleicht den Sprung in die finanzielle Absicherung und Unabhängigkeit zu machen. Die Agentur läßt sich ihre Dienste bezahlen, die Annoncen sind - und nur so ist dies auch zu verkraften - kostenlos.

Wenn es gelingt, asylpolitisch ausgerichtet Anzeigen über Spiegel, Stern, Süddeutsche oder auch andere wichtige Printmedien zu verbreiten, hat dies einen doppelten Effekt, den nämlich der Verbreitung der Forderungen von PRO ASYL und den der Werbung von Mitgliedern. Allerdings ist der letztere Effekt bei weitem nicht ausreichend, so daß weitere Werbemethoden eingesetzt werden müssen. Ein wichtiges Ziel hierbei ist nicht nur die Grundlage für eine dem Anspruch angemessene Arbeit zu schaffen sondern dabei letztlich auch die politische Unabhängigkeit zu bewahren. Ob PRO ASYL das gelingt, hängt sehr stark davon ab, wie die Arbeit auch von Menschen mitgetragen wird, die bereits auf anderen Sektoren aktiv sind. Das Eindringen in Kreise, die sich bisher in keiner Weise eingesetzt haben, dürfte insofern unwahrscheinlich sein, als der Asylbereich nicht wie bei Frieden, Umwelt und der Frauenbewegung ein direkte sondern im Ansatz eine eher indirekte Betroffenheit voraussetzt. Noch entscheidender gegen eine Aktivierung größerer Gruppen dürfte allerdings die weit verbreitete Ablehnung von Asylbewerbern und Flüchtlingen sein. Sie sind nämlich der deutlichste und nachbarschaftsnahe Hinweis darauf, daß es künftig nicht nur um Spenden sondern ums Teilen geht.


veröffentlicht in : Klaus Henning Rosen (Hrsg.) Jahrbuch der Deutschen Stiftung für UNO-Flüchtlingshilfe 1992, Baden-Baden 1992, S. 83-97