Herbert Leuninger ARCHIV ASYL
1991

4. Dezember 1991
SÜDDEUTSCHE ZEITUNG

Auszeichnung für Herbert Leuninger
Mit franziskanischem Eifer
Bei "Pro Asyl" schließt der Pfarrer keine Kompromisse

Von Heribert Prantl

In seiner Dankesrede erzählte er von den Bewohnern seines Wohnheims: von der Familie aus Kurdistan, der man in der Nacht zum Büß- und Bettag eine mit schwarzer Farbe gefüllte Flasche durchs Fenster geworfen hatte. Und von der Familie aus Afghanistan, deren Asylantrag 1987 abgelehnt und die 1991 endlich als verfolgt nach der Genfer Flüchtlingskonvention anerkannt wurde; er erzählte vom Familienvater, der den zermürbenden Zustand der Ungewißheit nicht verkraftet hatte und erst gestern nach einer Herzoperation wieder ins Wohnheim kam; und auch die Familie mit den drei kleinen Kindern aus Eritrea vergaß er nicht, die seit drei Jahren um eine eigene kleine Wohnung kämpft. Sie alle, „die ich in herzlicher Freundschaft liebe", so sagte Herbert Leuninger bei der Verleihung der Wilhelm-Leuschner Medaille im Schloß Biebrich, betrachte er als zusammen mit ihm Geehrte.

Die Wilhelm-Leuschner Medaille - im Gedächtnis an den gleichnamigen sozialdemokratischen Widerstandskämpfer - ist die höchste Auszeichnung, die das Land Hessen zu vergeben hat. Ministerpräsident Hans Eichel verlieh sie am Wochenende dem Asylpfarrer Leuninger. Der 59jährige katholische Geistliche ist seit fast zehn Jahren Ausländerreferent im Bistum Limburg, vor fünf Jahren hat er die Flüchtlingsorganisation "Pro Asyl" mitgegründet und ist seitdem deren Sprecher. Er gehört zu den Deutschen, so sagte es der hessische Ministerpräsident in seiner Laudatio, „die gerade in den letzten Wochen und Monaten Zivilcourage gezeigt, die sich schützend vor Ausländer und Flüchtlinge in unserem Land gestellt haben". Er organisierte Wachen vor den Flüchtlingsheimen, stand selbst Posten vor dem Wohnheim in Hofheim; daraufhin wurde sein eigenes Haus mit Pflastersteinen beworfen. Leuningers Kommentar: „Man muß das Schicksal der Menschen teilen, für die man sich einsetzt." Er tut es. mit Leib und Seele, er macht keine Kompromisse.

Dem Liberalen Burkhard Hirsch, einem aufgeschlossenen Mann, der sich im politischen Streit um das Flüchtlingsrecht durchaus Verdienste erworben hat, ist diese Unnachgiebigkeit Leuningers unheimlich. Einen „Fanatiker" hat er ihn einmal genannt, als Leuninger die rigorose Haltung der Bundesregierung gegen Kinderflüchtlinge geißelte, als der Pfarrer, in alttestamentarischer Sprachschärfe, die Unmenschlichkeit einer Politik anprangerte, die sich nicht einmal davon rühren lasse, daß 12- und 14jährige Kinder im Nahen Osten als Minenhunde in den Tod geschickt werden.

Burkhard Hirsch hat wohl das falsche Wort gewählt. Leuninger ist kein Fanatiker – als solcher mag er einem Politiker erscheinen, dessen Alltag aus Kompromissen besteht, bestehen muß. Leuninger ist kein Politiker — aber auch so wenig Fanatiker, wie ein Prophet einer ist. Sein Eifer macht ihn nicht blind, er redet und handelt aus klarer Erkenntnis. Schon lange hat Leuninger vor einer Politik gewarnt, die Öl ins Feuer der Emotionen gießt. Seit Jahren versucht er, den deutschen Politikern die Augen für die Dimensionen des Weltflüchtlingsproblems zu öffnen. Es ist kein fanatischer, sondern ein franziskanischer Eifer, der den Pfarrer aus dem hessischen Hofheim trägt.

So war es zum Beispiel 1986: Damals, am 7. September, begann er in der hessischen Gemeinschaftsunterkunft für ausländische Flüchtlinge in Schwalbach einen Hungerstreik, um gegen die Unterbringung von Asylbewerbern in Zelten zu protestieren. In einem offenen Brief an den Sozialminister kündigte er an, solange zu fasten, bis die Zelte abgebaut und die Menschen in festen Häusern untergebracht würden. Die Lagerleitung servierte Hähnchen mit Reis, aber die Asylbewerber verweigerten das Essen: ,,Wenn der Father fastet", so sagten sie, „dann fasten wir auch." Der Sozialminister gab schließlich widerwillig nach, der Kirchenmann brach nach fünf Tagen sein Fasten ab. Die 200 Flüchtlinge wurden in feste Unterkünfte verlegt.

Unbequem war Herbert Leuninger, der aus einer alteingesessenen, in der Gewerkschaftsarbeit verwurzelten hessischen Familie stammt, schon als Jugendpfarrer. Anfang der siebziger Jahre suchte er, sich am Geist des Zweiten Vatikanischen Konzils orientierend, neue Formen der Meßfeier. Sein „Meß-Festival" im Jahr 1971, mit gemeinsamem Mahl und Tanz in der Kirche, sorgte, wie er selbst formuliert, für ein "mittleres kirchliches Erdbeben". Die Spannungen mit der Kirche haben kaum nachgelassen, seitdem Leuninger sich für Flüchtlinge einsetzt. Kirchenobere agieren gern wie Politiker, wollen Kompromisse schließen, lavieren, es sich nicht verderben mit denen, die politisch den Ton angeben. Leuninger und seine Flüchtlingsorganisation "Pro Asyl" akzeptieren das nicht. Und so nützte der Asylpfarrer die Preisverleihung zu einer Attacke gegen die Bundesregierung, die vor einigen Tagen "noch einmal einen abschreckenden Akt" für ihre Abschreckungspolitik gesetzt habe: "Welches Menschen- und Rechtsverständnis steht dahinter", fragte Leuninger, „wenn in einer Situation, in der große gesellschaftliche Anstrengungen gemacht werden, Flüchtlinge vor Terror-Schwadronen zu schützen, 300.000 bedrohte Menschen aus dem Schutzauftrag der Ausländerbeauftragten ausgesondert werden?" Leuninger kann nicht verstehen, warum die Bundesregierung es Cornelia Schmalz-Jacobsen ausdrücklich untersagt, sich auch um die Asylbewerber zu kümmern.