Herbert Leuninger

ARCHIV ASYL

BÜRGERINNEN UND BÜRGER GEGEN AUSLÄNDERHASS

Demonstration in der Hofheimer Innenstadt am 22. Oktober 1991

INHALT

 

Bericht
Frankfurter Rundschau (Main-Taunus) vom 23.10.1991

HOFHEIM a. TAUNUS „...Bürgerin oder Bürger der Stadt Hofheim und des Landes nenne ich nur noch, wer bereit ist, mit dem Einsatz seiner eigenen Person Flüchtlinge zu schützen und diese Republik vor dem endgültigen Absturz zu bewahren." Der katholische Pfarrer Herbert Leuninger, Sprecher der Arbeitsgemeinschaft „Pro Asyl", forderte gestern Abend vor etwa 500 Demonstranten vor dem alten Hofheimer Rathaus einen „Rütli-Schwur" gegen Rechtsradikale und Neonazis. Leuninger kritisierte scharf die CDU; sie sei durch ihre Stimmungsmache gegen vermeintlichen .Asylmißbrauch" für die Anschläge gegen Ausländer von Hoyerswerda bis Hofheim mitverantwortlich. Zu der Veranstaltung „Bürgerinnen und Bürger gegen Ausländerhaß" hatten 20 Organisationen, Kirchengemeinden und alle Hofheimer Parteien außer der CDU aufgerufen; die Kundgebung fand unter verschärftem Polizeischutz statt.

Pfarrer Rudolf Heine von der evangelischen Thomasgemeinde in Marxheim verglich die Anschläge gegen Ausländer mit dem Terrorismus der 70er Jahre. „Erst 50 Jahre sind vergangen seit dem letzten großen Pogrom, und schon wieder haben Deutsche Angst vor Überfremdung", beklagte Wolfgang Zink von der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit die beispiellose Ausländerhetze. Klaus Hipper vom DGB Main-Taunus forderte, daß in allen Schulen das Thema Ausländer und Asyl behandelt wird. md

Rede
"Die Flüchtlinge schützen und die Republik retten"

Sollte das Kulturamt einen neuen Prospekt von Hofheim herausgeben, könnte es mit einer neuen Attraktion aufwarten: dem Hofheimer Nachtleben. Da pirschen sich zur Geisterstunde Hofheimer Bürger, wie sie sich selbst bezeichnen - maskiert - an ein Wohnheim für Flüchtlinge heran, um mit Pflastersteinen Furcht und Schrecken zu verbreiten. Etwa 40 kleinere Kinder und Jugendliche schlafen dort mit ihren Müttern und Vätern. Diese haben sie aus Verfolgung, Unterdrückung und Kriegswirren in dieses Land gerettet. Ein Teil von ihnen sind mittlerweile bereits als politische Flüchtlinge anerkannt. Jetzt zittern sie nachts vor einer erneuten Bedrohung. Tagsüber wagen sie sich kaum noch das Haus zu verlassen.

Hofheimer Bürger, die offensichtlich die Plakate umzusetzen gedenken, die vor Wochen an allen Straßenecken in großen Lettern die Passanten ansprangen und vom vermeintlichen Asylmißbrauch kündeten. Terrorschwadronen glauben sich berufen, daraus und aus der hochgepeitschten Asyldiskussion, die nur Abwehr, Abschiebung und Internierung kennt, großdeutsche Konsequenzen ziehen zu müssen.

Wer nach Hoyerswerda die Zeichen der Zeit immer noch nicht erkannt hat, wer nach Hoyerswerda, Saarlouis und Hünxen die Abwehrdiskussion gegen Flüchtlinge so weitergeführt hat wie bisher, wer sich auf Schnellverfahren und Internierungslager für Asylbewerber einigen konnte, ist mitschuldig an der Pogromstimmung in Deutschland.

Unsere Parteien werden nur noch von Wahlterminen wirklich angetrieben. So sind sie unfähig, die neue Herausforderung des Rechtsextremismus anzunehmen. Sie stoßen mit ihrer barbarischen Auseinandersetzung diese Republik immer tiefer in den Sumpf des Rassismus. Geschichtsvergessen lassen sie die Bundesrepublik und eine stimmlose Minderheit in höchste Gefahr geraten

Was ist aus der Bundesrepublik geworden!?

Dieser Tage hat mich ein älterer Hitler-Junge aus Ulm in einem Telefonat aufgefordert, doch auszuwandern. Das würde ich gern, habe ich ihm geantwortet. Es fiele mir sehr schwer mit Leuten wie seinesgleichen zusammenzuleben. Was ich ihm nicht, gesagt habe, es wäre sein kleiner Triumph gewesen, daß ich auch nicht wüßte, wohin ich auswandern sollte.

Kürzlich hat der Club of Rome seine neue Studie "Die globale Revolution" veröffentlicht. Darin kritisieren die 100 Wissenschaftler aus 53 Ländern die demokratischen Parteien. Ihre Tätigkeit kreise so sehr um Wahltermine und Rivalitäten, daß sie die Demokratie, der sie dienen sollten, damit inzwischen eher schädigten. (S. 69)

Dabei rechnet der Club of Rome damit, daß Bevölkerungsdruck, fehlende Chancengleichheit sowie Tyrannei und Unterdrückung Auswanderungswellen in Richtung Norden und Westen auslösen werden, die sich nicht mehr eindämmen ließen.(S. 42) .

Er befürchtet eine deutliche Verschärfung des defensiven Rassismus in den Zielländern. Bei allgemeinen Wahlen könnte dieser rechtsgerichteten Diktatoren zur Macht verhelfen. Sein Rezept: mehr Entwicklungshilfe und ehrliche Information der Bevölkerung der reichen Länder hierüber. (S. 43)

Wollte ich also emigrieren, käme ich bestenfalls in ein Gemeinwesen, wo bereits Flüchtlinge leben, wo es Menschen gibt, die gegen Flüchtlinge eingestellt sind, wo es aber auch die anderen gibt, die sich mit ihnen solidarisieren, sogar mit ihnen zusammen Nachtwache halten, wenn ihnen Angriffe drohen. Dann spätestens würde mir klar, daß eine Auswanderung kaum einen Sinn hat und ich besser gleich in Hofheim bliebe mit Ihnen und den Flüchtlingen zusammen.

Dennoch müßte etwas Entscheidendes geschehen!

In den Stadtstaaten des alten Griechenlands war nur der ein Bürger, der imstande war, sein Gemeinwesen an einem anderen Ort neu entstehen zu lassen.

Ich halte angesichts des Versagens der Parteien nur den für eine Bürgerin und einen Bürger dieser Stadt und dieses Landes, der bereit ist die Flüchtlinge zu schützen und damit diese Republik vor ihrem endgültigen Niedergang zu bewahren. Erforderlich wäre eine Art Rütli-Schwur, alles Menschenmögliche zu tun gegen ein 4. Reich und für eine erneuerte Republik!

Brief an den Main-Taunus-Kreis

PRO ASYL
Bundesweite Arbeitsgemeinschaft für Flüchtlinge

per Telefax
Bitte sofort vorlegen!

Main-Taunus-Kreis
Erster Kreisbeigeordneter Herrn Gerd Mehler
am Kreishaus 1-5
6238 Hofheim Ts.

21. 11.1991

Sehr geehrter Herr Mehler!

In der Nacht zum Buß- und Bettag ist wieder ein Terror-Anschlag auf das Hofheimer Wohnheim für Flüchtlinge in der Ahornstraße 1 verübt worden. Dabei durchschlug eine mit Farbe gefüllte Flasche das Küchenfenster einer kurdischen Familie, eine andere Flasche wurde auf den Balkon des 2. Stockes geschleudert. Die Polizei traf erst ein, nachdem die Terroristen mit zwei Autos längst das Weite gesucht hatten.

Nun herrscht bei der betroffenen Familie, aber auch bei allen anderen Hausbewohnern, wie ich gestern feststellen konnte, wieder Angst und Schrecken.

Ich ersuche Sie daher dringend, ab sofort einen Wachdienst mit der Bewachung des Hauses zu beauftragen, da die Polizei nicht in der Lage ist, die Menschen ausreichend zu schützen.

Außerdem bitte ich Sie, die Fensterläden, Türen und Fenster mit Sicherungsmaßnahmen versehen zu lassen, die ähnliche oder noch weitergehende Angriffe auf die Wohnungen verhindern helfen könnten.

Da ich nicht ausschließe, daß die Angriffe auch im Zusammenhang mit meiner Öffentlichkeitsarbeit für PRO ASYL stehen, werde ich von meiner Seite darauf bestehen müssen, dass die bedrohten Menschen gerade in der Ahornstraße ausreichend geschützt werden.

Mit freundlichen Grüßen!
gez. H.Leuninger, Pfr.

z.K. Polizeipräsidium Frankfurt, Arbeitsgruppe "Asyl"


Hofheimer Wohnheim für Flüchtlinge

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