Herbert Leuninger ARCHIV ASYL

Gäubote vom 20. November 2004

Europa macht die Grenzen dicht
Vortrag über europäische Asylpolitik: Ehemaliger Europa-Referent von Pro Asyl im Klosterhof

Herrenberg - „Deutschland ist Europameister in Sachen Abwehr". Mit diesen deutlichen Worten beschloss Herbert Leuninger seinen Vortrag über die aktuelle Asylrechtspolitik in Europa. In seinem rund 80 Minuten dauernden Vortrag erläuterte Leuninger kompetent aktuelle Fakten und Hintergründe zum gegenwärtigen Stand der Bleiberechtsregelung.

VON KLAUS SIEGLE

Der Herrenberger Verein „Flüchtlinge und wir" hatte am Donnerstagabend im Klosterhof zu einem unbequemen, aber wichtigen Thema eingeladen. In seinem Vortrag Europäische Union ohne Flüchtlinge?" erläuterte Herbert Leuninger die Hintergründe des Ringens um eine gemeinsame Asylverfahrensrichtlinie auf europäischer Ebene. In der öffentlichen Meinung scheint dieser Kampf um eine neue Asylregelung regelrecht ausgeblendet zu sein. Wo liegen die Gründe dafür? Verhindert internationale Terrorgefahr, die hohe Arbeitslosenrate oder Hartz IV eine adäquate öffentliche Wahrnehmung? Jedenfalls zeigten die fast 50 Zuhörer durch ihre Teilnahme deutlich ihr Interesse an diesem Thema.

Herbert Leuninger, ehemaliger katholischer Pfarrer und Mitbegründer von Pro Asyl stieg mit einer Beschreibung des Fernsehfilms „Der Marsch" in das komplexe Flüchtlingsthema ein. Der 1990 von der BBC ausgestrahlte Fernsehfilm erzählt die Geschichte des charismatischen Führers El Mahdi -„ein Art moderner Jesus", so Leuninger. El Mahdi schart eine Gruppe von verzweifelten Flüchtlingen aus dem Sudan um sich. Gemeinsam brechen sie nach Europa auf, um sich so vor dem Hungertod zu retten.

Damals planten die Medienstrategen mit diesem Film einen ähnlichen Erfolg wie die 1979 sehr erfolgreich gelaufene Fernsehserie „Holocaust". „Der Film ging jedoch unter", so Leuninger, „und war auch umstritten." Mitarbeiter von verschieden Menschenrechtsorganisationen stellten sich die Frage, ob dieser Film nicht das Gegenteil seiner beabsichtigten humanitären Wirkung erreicht.

Nach dieser interessanten Einleitung informierte Leuninger anhand von Statistiken und Fakten über den aktuellen Stand der Flüchtlingspolitik. Dabei lieferte Leuninger überraschende Zahlen. So liegt die Bundesrepublik Deutschland mit der Zahl (Stand 2003) der aufgenommenen Asylbewerber pro Einwohner im Vergleich mit anderen europäischen Ländern im letzten Drittel. In Relation dazu nimmt Österreich fast siebenmal soviel Asylbewerber auf.

Kein gutes Haar ließ Leuninger mit seiner leisen, aber deutlichen Kritik an der aktuellen Asylpolitik der Bundesregierung. Leuninger kritisierte das „scheinheilige Hochhalten" der Genfer Flüchtlingskonvention mit gleichzeitiger Anwendung der Drittstaatenregelung. So soll in Zukunft möglich sein, Flüchtlinge in so genannte sichere Drittstaaten wie beispielsweise Albanien, Bulgarien, Türkei, Mazedonien und Russland abzuschieben. Verschiedene Menschenrechtsorganisationen verurteilen entschieden dieses Unterfangen, da dort die Menschenrechtssituation sehr problematisch ist. Besonders fragwürdig findet Leuninger, wie Innenminister Schily versuche, die eigene restriktive Asylverfahrenslinie in der EU-Innenministerkonferenz als Standard durchzudrücken. „In der Flüchtlingspolitik unterscheidet sich Rot-Grün in keinster Weise von der Kohl-Ära", so Leuningers Fazit.

Mit einer humanitären Vision, schloss Herbert Leuninger seinen Vortrag ab. Leuninger verweist auf den 2002 ausgestrahlten Dokumentarfilm „Badolato - Hoffen auf ein Wunder". Der Regisseur Jan Ralske zeigt darin wie ein marodes Zementschiff mit 800 kurdischen Flüchtlingen an der Küste des kleinen kalabrischen Dorfes Badolato in Kalabrien landet. Anstatt auf Ablehnung und Feindseligkeit zu stoßen, kämpft der Bürgermeister in Rom um Gelder, um die Flüchtlinge aufzunehmen. Diese humanitäre Einstellung und Nächstenliebe der Bewohner Badolatos, beeindruckten Leuninger tief. Dieser Film sieht Leuninger als „Metapher für ein künftiges, offenes Europa". Ob es wahr wird, werde die Zukunft zeigen müssen.

(Fotos: Bruno Gantz)