Herbert Leuninger ARCHIV ASYL

Kreiszeitung Böblinger Bote vom 20. November 2004

Abbau der Menschenrechte ist derzeit im Trend
Limburger Theologe Herbert Leuninger referierte über EU-Flüchtlingspolitik

Herrenberg - „Wir sind in einer Situation, wo der Abbau der Menschenrechte Trendcharakter hat!" Mit viel Nachdruck und Sarkasmus referierte am Donnerstagabend der Limburger Theologe Herbert Leuninger über die EU-Flüchtlingspolitik.

VON SABINE ELLWANGER

Rund dreißig sehr interessierte, und zum Teil persönlich betroffene Zuhörer fanden den Weg in den Klosterhof zum Vortrag des streitbaren Katholiken, der auf Einladung des Vereins „Flüchtlinge und wir" und des Arbeitskreises Asyl Baden-Württemberg gekommen war.

„Die Würde des Menschen ist unantastbar. Hat das für uns noch Gültigkeit?" Leuninger, der von 1986 bis 1994 als Sprecher von PRO ASYL und anschließend vier Jahre als Europa-Referent arbeitete, setzt sich vehement für die Einhaltung der Genfer Flüchtlingskonvention ein. Dabei ermuntert er zugleich diejenigen, die sich für die Flüchtlinge engagieren: „Es ist ein Ruhmesblatt dieses Landes, dass Tausende Solidarität mit des Asylbewerbern zeigen!". Er rief dazu auf, die Ausgrenzung der Flüchtlinge nicht hinzunehmen, das Menschenrecht auf Asyl zu erhalten.

Inzwischen werde-die Genfer Konvention geschickt ausgehebelt: Wenn die Leute gar nicht erst ins Land kommen, muss man sie auch nicht zurückweisen. Auf diese Weise habe man die Konvention nicht verletzt. 1999 im finnischen Tampere habe der Europäische Rat diese widersprüchlichen Beschlüsse. manifestiert, so Leuninger. Genfer Konvention ja - aber gleichzeitig bessere Abschottung und effizientere Abschiebeverfahren. „Und seither ringen die EU-Innenminister um einheitliche Standards, die bereits im Mai 2004 hätten stehen sollen." Bis zu diesem Zeitpunkt hatte eine EU-Kommission auftragsgemäß Vorschläge zum Schutz der Flüchtlinge erarbeitet: Weg von der Abschottung, hin zu einer humane-.. ren Form der Aufnahme.

„Aber: die zuständigen Innenminister zeigten keinerlei Bereitschaft, die restriktiven Gesetze aufzubrechen. Sondern schlimmer noch: Sie haben jeweils in ihrem Heimatland die Gesetze gegen Flüchtlinge verschärft. Schnellere Verfahren, mehr Lager, härtere Abschiebeverfahren", kritisiert Leuninger. Hier habe Deutschland unter der Regie Schilys inzwischen Platz eins eingenommen. Den.11. September sowie den Anschlag in Spanien am 11. März 2004 nutzten die Regierungen der USA, Großbritanniens, Kanadas, Frankreichs und Deutschlands als günstige Gelegenheit, Dinge durchzusetzen, die bereits fertig vorbereitet in der Schublade lagen, so der Referent. Auch ein geschickter Schachzug: die Drittstaatenregelung, denn hier müsse man schon mit dem Fallschirm abspringen, um Asyl beantragen zu können.

Neueste Idee: Auffanglager in Afrika

Im Zuge der erfolgten EU-Erweiterung stehe nun eine neue Drittstaatenregelung an, als solche wären dann Moldawien, Serbien und die Ukraine eingestuft. Und damit noch nicht genug: „Die neueste Idee sind Auffanglager in Afrika. Das Mittelmeer ist schon zum Massengrab geworden. Und Schily - in Sorge um die armen Flüchtlinge - will verhindern, dass all diese Menschen sich auf den gefährlichen Weg machen." Mit

nicht zu überhörendem Sarkasmus schildert der Theologe seine Sicht der Lage: „Auffanglager in Nordafrika verhindern, dass Menschen die europäischen Grenzen erreichen und einen Antrag stellen können. Unter Kontrolle des Menschenrechtsverletzers Gaddafi erinnerten die Lager an die der-dreißiger Jahre und des Bosnien-Krieges", zitiert Leuninger den italienischen Philosophen Giorgio Agamben. Die Rechtsstaatlichkeit werde suspendiert, fügt er hinzu. Und das, obwohl sich das Europaparlament in einer Empfehlung gegen die Lager ausgesprochen habe, weil es die Verletzung der Menschenrechte befürchte. .

In der anschließenden Diskussion stellte ein Zuhörer die Frage, ob und wie das Asylrecht in der anstehenden EU-Verfassung verankert sei. Hierzu die Antwort Leuningers: In jedem Fall gelte nach wie vor die Genfer Flüchtlingskonvention. Aber das Hochkommissariat, das deren Einhaltung, überwachen soll, sei nur begrenzt agil, weil es finanziell von den Staaten mit restriktiver Politik abhängig sei. Eine weitere „schüchterne" Frage richtete sich auf die Haltung der Kirchen zum Thema Asyl: „Hätten die großen und kleinen Kirchen nicht die Aufgabe, sich für das Recht der Flüchtlinge einzusetzen? Ich sehe keine Herrenberger Kirchenvertreter hier!" An dieser Stelle klingt Verbitterung aus Leuningers Antwort: „Bis 1992, als die Kirchen die Einschränkung des Grundrechts abgesegnet haben, hatten wir über lange Jahre konsequente Unterstützung. Das war für mich als katholischer Theologe ein ganz schlimmer Tag."