Herbert Leuninger ARCHIV ASYL
2000

INFROMATIONSDIENST
Nachrichten aus dem Bistum Limburg
Nr. 23 Limburg, den 20. Juli 2000
Die Menschenrechte haben Vorrang

Pfarrer Leuninger, Mitbegründer und langjähriger Sprecher von PRO ASYL, um Zuzug von IT-Fachleuten, zur Aufnahme von Asylbewerbern und Flüchtlingen und Chancen eines gemeinsamen europäischen Asylrechts

LIMBURG (ids). -
Angesichts der durch ökonomische Beweggründe bedingten Öffnung Deutschlands und anderer westeuropäischer Länder für den Zuzug von Fachleuten für die Wirtschaft und andere Branchen werden die Menschenrechte und Gruppierungen, die sich für diese engagieren, nach Ansicht von Pfarrer Herbert Leuninger, Mitbegründer und langjähriger Sprecher von PRO ASYL, in Zukunft noch erheblich an Bedeutung gewinnen. Man müsse sich allerdings fragen, ob nachfolgende Generationen imstande seien, das "Staffelholz der Menschenrechte" genauso entschieden und durchsetzungsfähig weiter zu tragen wie gegenwärtig viele tausend Menschen hier zu Lande und anderswo in Europa.

Es gelte, auf den durch wirtschaftlich protegierte Entwicklungen bedingten Wertezerfall und ebenso auf die eigentlichen Wurzeln unseres Zusammenlebens immer wieder aufmerksam zu machen, gibt der Pfarrer des Bistums Limburg zu bedenken, der auch vier Jahre PRO ASYL-Beauftragter für Europafragen war. Unter den in europäischen Gremien Verantwortlichen sei ein ausgeprägtes Bewusstsein zu beobachten, das als gemeinsame Basis eine demokratisch orientierte Wertegemeinschaft respektiere, wovon auch die Behandlung asylrechtlich relevanter Fragen profitiere. Nicht zu übersehen sei jedoch, so seine Einlassung in diesem Zusammenhang, dass Europa zur Sicherung von Privilegien und als möglicher autarker Wirtschaftsblock in den kommenden Jahren dahin tendieren dürfte, sich mit allen Mitteln vor allem gegen die von Afrika ausgehenden Zuwanderungsbewegungen abzuschotten.

Mit seinen jüngsten Darlegungen, die Asylantragszahlen weiter verringern zu wollen, stellt Bundesinnenminister Otto Schily nach den Worten von Pfarrer Leuninger deutsche und internationale Standards des Flüchtlingsschutzes zur Disposition. Der Politiker meine damit, das bundesdeutsche Asylrecht abschaffen und aus den internationalen Schutzverpflichtungen aussteigen zu wollen. Dies gehe nicht an. Außerdem existiere die von allen zivilisierten Staaten unterzeichnete Genfer Flüchtlingskonvention, die verbindlich vorgebe, Asylsuchende aufzunehmen und deren Schutzbegehren in einem rechtsstaatlichen und fairen Verfahren zu prüfen. Deutschland erreiche nicht einmal das Schutzniveau der Genfer Flüchtlingskonvention, weil man politische mit staatlicher Verfolgung gleichsetze. Gegen diese Konvention richte sich, dass man hier zu Lande Verfolgung durch Bürgerkriege oder Übergriffe nichtstaatlicher Art nicht als staatliche und damit nicht als politische Verfolgung anerkenne.

Die Realisierung eines Teilaspekts des Amsterdamer Vertrages, nämlich binnen fünf Jahren eine gemeinsame Handhabung von Asyl, Einwanderung, Aufnahme von Flüchtlingen und Schutz der EU-Außengrenzen zu erarbeiten, habe für das Asylrecht, so Leuninger, aufgrund vorgegebener einstimmiger Beschlüsse kaum eine reelle Chance. Eine europaweite Verbesserung des Asylrechts sei daher gegenwärtig nicht zu erwarten. Erst im Kontext einer Erweiterung der EU auf 20 und mehr Mitgliedsländer böte sich die Gelegenheit, von der Einstimmigkeit im Beschlussfalle weg zu Mehrheitsbeschlüssen zu kommen, was auch Vorteile für die Asylpolitik zur Folge haben könnte.

Das Interesse der Medien an politisch akzentuierten europäischen Fragen ist nach Auffassung des Pfarrers gestiegen. Nach wie vor fehle aber eine "europäische Öffentlichkeit". Was PRO ASYL, Amnesty International und Menschenrechtsgruppen hinsichtlich Öffentlichkeitsarbeit in Deutschland beispielgebend gelinge, gebe es in der Form auf EU-Ebene noch nicht. Dies sei eine sehr ernste und für ganz Europa ungelöste Frage. Mut mache jedoch, "dass über europäische Themen in den Medien heute weit mehr als bisher informiert und kommentiert wird".