Herbert Leuninger ARCHIV 2004


Leserbrief vom 5. Oktober 2004

Wir sind nicht Hitler

INHALT

Stellungnahme zu:
"Wir sind Hitler"
in Frankfurter Rundschau, Plus Kultur
vom 17. September 2004

In dem Interview, das Holger Fuß mit Niklas Frank, dem Sohn des ehemaligen NS-Generalgouverneurs für Polen geführt hat, ist der auch im Layout heraus gehobene Satz enthalten : "Wer nicht zufällig Kommunist, Sozialdemokrat oder Jude war, hat den Nationalsozialismus richtig genossen..." Dies empfinde ich als eine geschichtlich haltlose Kollektiv-Beleidigung großer Bevölkerungsgruppen vor allem des katholischen Milieus, dem ich entstamme.

Ich habe als Kind (Jahrgang 1932) die deutliche Distanz dieses Milieus in Köln und später nach unserer Flucht in den Westerwald auch in dem Ort Mengerskirchen kennengelernt. Ich bin sehr dankbar, einer Großfamilie zu entstammen, die nicht das Geringste mit Hitler zu tun hatte. Der Bruder meines Vaters, Franz Leuninger ist als dem Widerstand des 20. Juli 1944 zugehörig in Berlin-Plötzensee hingerichtet worden. In Köln habe ich als kleiner Ministrant das Nazi-ferne Innenleben einer katholischen Gemeinde kennen gelernt und einen Pfarrer verehrt, der eines Tages verschwunden war. Wegen einer Äußerung bei der Predigt war er in das Nachbarbistum Limburg verbannt worden. Ich habe dann später eine Reihe Kollegen gesprochen, die in der Nazizeit als Seelsorger von der Gestapo verhört worden waren oder im Gefängnis gesessen hatten. Sie wussten, wie immun gegen Hitler ihre kirchennahen Gemeindemitglieder waren.

In meinem Archiv befinden sich Übersichtskarten über das Wahlverhalten der (katholischen) Bevölkerung Deutschlands 1932-1933 (Katholischer Arbeitskreis für zeitgeschichtliche Fragen e.V., Bonn, 1979). Darunter die von der Reichstagswahl vom 31. Juli 1932. Damals hatte Hitler sein, unter den Bedingungen einer wirklich noch freien und geheimen Wahl, bestes Ergebnis erreicht. Die schlechteste Zustimmung (bis 30 Prozent) erzielte er in Gebieten, in denen der katholische Bevölkerungsanteil mehr als 60 Prozent betrug. Die Katholiken haben in ihrer großen Mehrheit Hitler nicht gewollt. Im katholisch geprägten Mengerskirchen wählten seinerzeit 84 Prozent die katholische Zentrumspartei, nur fünf Prozent stimmten für Hitler. SA und SS aus einer Nachbargemeinde durchsuchten danach den Ort, verhafteten 30 Männer und misshandelten einige. Ich verwahre mich gegen die Aussage: "Wir sind Hitler". Wir und unzählige Menschen sind und waren nicht Hitler!

Herbert Leuninger, Pfr. i. R., Frankfurt a. M.