Franz Leuninger zum Gedenken 

Freisler 
Roland Freisler, berüchtigter Vorsitzender des Volksgerichtshofes in Berlin. Er kam am 3.2.1945 bei einem Luftangriff auf Berlin um. 







Gefängnis und Tod 


  

    Schau die Gefängnisse, ganz angefüllt mit Menschen, die zum Tode verurteilt sind: Man sollte glauben, nur Verbrecher zu sehen, und man sieht nichts als Helden.  

    Nachtgedanken des Heiligen Augustinus 
U

rsprünglich waren die verhafteten Angehörigen der Widerstandsbewegung ,,20. Juli 1944" in verschiedenen Gefängnissen des Reichsgebietes untergebracht. Johannes Albers, ehemals Kartellsekretär der christlichen Gewerkschaften in Köln und Vorgänger eines Bruders von Franz Leuninger, wurde, nachdem ihn die Gestapo schon Monate vorher gesucht hatte, am 24. Oktober 1944 verhaftet. Gemeinsam mit Heinrich Körner, ebenfalls ein Funktionär der christlichen Gewerkschaften in Köln, war er zunächst im Zuchthaus Rheinbach inhaftiert. Über das Untersuchungsgefängnis in Fürstenberg/Mecklenburg kam Franz Leuninger im Januar 1945 nach Berlin Moabit. Diese Situation ergab sich wohl aus der Tatsache, daß die Widerstandsgruppe ,,20. Juli" sich trotz der verhältnismäßig geringen Zahl ihrer Angehörigen, über das ganze Reichsgebiet erstreckte. Hermann Freiherr von Lüninck, der auch dazugehörte, glaubt ernsthaft, daß zum Zeitpunkt des 20. Juli nicht mehr als 200 Personen beteiligt waren. Erst im Laufe der auf das Attentat folgenden Monate erfolgte die Zusammenführung der inhaftierten Widerstandskämpfer ins Gefängnis Berlin-Moabit. Bis dahin kannten sie sich vielfach nicht untereinander, was auf die streng geheime Tätigkeit des Einzelnen im Widerstand zurückzuführen ist. Johannes Albers hörte von der Zugehörigkeit Franz Leuningers zur Widerstandsgruppe erstmalig in der Haftzeit am 9. Dezember 1944. Die erste Begegnung zwischen beiden, die sich von ihrer gewerkschaftlichen Tätigkeit her kannten, war am 18. Januar 1945 im Moabiter Gefängnis beim ,,Spaziergang".  

In Moabit waren sie alle - soweit noch nicht tot oder noch in Freiheit - versammelt; Angehörige jeglicher Gesellschaftsschichten und politischer Gesinnungen. Vom Adligen über den Offizier und Beamten bis zum Gewerkschaftssekretär, vom liberalen Demokraten bis zum Sozialdemokraten ,,und selbst Verbindungsleute bis hin an die Grenze des Kommunismus". Nach der Auffassung von Lüninck stellten das Hauptkontingent Männer christlich-konservativer und christlich-sozialer Prägung. Alle aber hatte der Wille geeint, den Unrechtsstaat zu beseitigen und an seine Stelle Ordnung und Recht zu setzen. Schwer trugen die Gefangenen an ihrem Schicksal. Die Haft war ausgefüllt mit seelischen Qualen und körperlicher Not. Bis etwa Mitte Januar bestand in Moabit strenge Einzelhaft. Neben der ungewissen persönlichen Zukunft und bei manchen die Vorahnung des sicheren Todes mag vor allem die Sorge um Heimat und Volk und die Familie die größte Rolle gespielt haben. Man wird davon ausgehen dürfen, daß Franz Leuninger um seine Frau und seine drei Söhne große Not ausgestanden hat. Seine Frau hielt sich in den ersten Monaten der Haft allein in Breslau auf und die Söhne im Alter von 16 bis 20 Jahren standen an der Front. Zeitweilig war ihm deren Schicksal völlig unbekannt. Seine Sorge ist auch in Gesprächen mit seinen Mitgefangenen zum Ausdruck gekommen, wie von Lüninck und Albers bestätigten. Sie ist aber auch durch einen Brief belegt, den er bereits am 13. Oktober 1944 aus dem Gefängnis Fürstenberg an drei seiner Brüder schrieb, der folgenden Wortlaut hatte:  

    Fürstenberg, den 13.10.44 

    Meine lieben Brüder Aloys und Schorsch! 

    Über mein Schicksal werdet Ihr wohl von meiner Frau unterrichtet sein. Ich bin nicht in der Lage, Euch öfter zu schreiben; daß ich das heute kann, verdanke ich dem Entgegenkommen des Beamten, der meine Sache bearbeitet. Während ich Euch nicht schreiben kann, dürft Ihr mir aber schreiben und ich bitte Euch herzlich darum.  

    Meine Zukunft ist ja nun recht unklar, und ich möchte doch alles, soweit mir das möglich ist, in Ordnung bringen. Mit gleicher Post geht ein Brief gleichen Inhalts an Bruder Josef ab. Ich weiß nicht, ob und wann es mir möglich ist, für meine Familie zu sorgen. Deshalb, meine lieben Brüder, habe ich an Euch die große Frage und herzliche Bitte: Werdet Ihr, Josef, Alois und Schorsch für meine drei Jungen sorgen, wollt Ihr jeder je ein Vater sein, wenn ich es nicht mehr kann? Josef für Franz, Du Alois für Walter und Du Schorsch für Herbert? Wollt Ihr für sie sorgen, als ob es Eure eigenen wären? Für die ersten 1-2 Jahre ist für Paula und auch die drei geldmäßig gesorgt. Am besten wird ja sein, wenn Paula nach dem Krieg das Häuschen in Breslau verkauft und zu Euch nach dem Westen zieht. Helft ihr bitte dabei, daß sie wieder Boden unter die Füße bekommt. Einige tausend Mark werden ja bei dem Verkauf des Hauses bleiben. Franz hat das erste Semester auf der Staatsbauschule fast beendet, Walter hat noch 1 1/2 Jahre bis zum Abitur, während Herbert noch 2/12 Jahre braucht. Je ein Testament lege ich bei, welches Du, Schorsch, und Du, Josef, aufbewahren willst. Ich kann Euch nicht zwingen, meinen Wunsch zu erfüllen und es wird auch für Euch nicht leicht sein, ihn zu erfüllen. Ich bitte Euch aber unter Berufung auf das Wort: ,,Was Ihr dem geringsten meiner Brüder getan, das habt Ihr mir getan" und ich bin doch jetzt der geringste meiner Brüder.  

    Es wäre für mich eine unendliche Beruhigung, von Euch recht, recht bald eine Nachricht zu erhalten, in der Ihr mir bei unserer guten Mutter versprecht, meinen Wunsch zu erfüllen. Gebt mir also, bitte, bald Bescheid. Seid auch so gut und schreibt meiner armen Frau, die ja alleine in Breslau sitzt und sich um ihre drei Jungen und den Mann sorgt, ab und zu ein paar Zeilen und unterstützt sie, falls noch Schwereres über sie kommen sollte. Falls ich es Euch nicht lohnen und vergelten kann, wird es sicher der Herrgott tun. Ihr wollt aber von diesem Brief niemand auch nur andeutungsweise Kenntnis geben.  

    Und nun, meine lieben Kerle, lebt wohl. Tragt mir nicht nach, wenn ich Euch jemals Schmerz bereitet habe, und vergeßt mich nicht.  

    Möge es Euch allezeit so gut gehen, wie Ihr es Euch wünscht."  
Der Brief richtete sich an die Brüder, welche jeweils die Taufpaten der Söhne waren. Damit entsprach Franz einem alten Brauch, nach welchem die Taufpaten über den religiösen Bereich hinaus für ihre Patenkinder neben den Eltern in besonderem Maße die Verantwortung tragen. Nachstehend der Auszug aus der Antwort eines der in dem Brief vom 13. Oktober aus Fürstenberg angesprochenen Brüder:
    ,,Du bist der brave Sohn unseres guten Vaters und das liebe Kind unserer heimgegangenen Mutter. Du bist mein Bruder. Mein höchster Wunsch ist - und das sind meine Gedanken und darum flehe ich -, daß Du stark sein mögest. Es wird uns zeitlebens - ganz gleich, was kommt - eine Beruhigung sein, von Dir zu wissen, daß Du seelisch ungebrochen den Weg gehst, wozu Du durch die Verhältnisse gezwungen wirst. Ich weiß von Dir, daß es so sein wird.  

    Ich will Deinem Sohn, soweit es von mir abhängt und wenn es einmal nötig sein sollte, so Vater sein, wie meinen eigenen Kindern. Das verspreche ich Dir bei dem Andenken unserer Mutter. Unsere Familiengemeinschaft ist groß und besitzt Werte, die jedem von uns Halt und Stütze sein können. Wenn die Bitterkeit und Einsamkeit Dich überkommen wird, dann denke daran, daß wir alle Deiner in Liebe und Sorge gedenken.  

    Du bist nicht der Geringste, mein Bruder. Du bist der Beste, Du bist uns der Liebste."  

Zu persönlichen Begegnungen zwischen Franz Leuninger und seinen Angehörigen ist es während der Haftzeit mit einer Ausnahme nicht gekommen. Das hatte verschiedene Gründe. Vor allem mag es daran gelegen haben, daß die nächsten männlichen Verwandten alle unmittelbar in das Kriegsgeschehen verwickelt und gehindert waren, direkte Beziehungen zu ihm herzustellen. Ein Versuch, einen guten Bekannten in Berlin dafür zu gewinnen, scheiterte. Hinzu kommt, daß die Angehörigen keinerlei Kenntnis über den Personenkreis der Widerstandsgruppe hatten und daher auch keine Informationen über Angehörige anderer Inhaftierter erhalten konnten. Zu berücksichtigen sind bei alledem die damaligen Schwierigkeiten einer Reise nach Berlin vom Westerwald aus, wo die Verwandten einschließlich seiner inzwischen aus Breslau geflüchteten Frau lebten. Umso lebhafter war der briefliche Kontakt seiner engsten Angehörigen, den sie mit ihm pflegten, wobei vor allem seine jüngste Schwester hervortrat. Eine damals vierzehnjährige Nichte erinnert sich noch gut an die Briefe, die sie dem Onkel Franz in das Gefängnis schrieb. Und er wiederum legte in seine seltenen Briefe alle Liebe und Sorge für die Seinen, deren er fähig war. Seiner Frau ließ er zum einundzwanzigsten Hochzeitstag an Weihnachten aus der Haftanstalt Blumen übermitteln.  

Die mit der Haft verbundene Einsamkeit wird Franz Leuninger, den im Grunde vom Gemüt her sehr empfindsamen Menschen, hart angekommen sein. Vor allem hat er wohl sehr daran getragen, daß er, der in dieser Zeit doch zwischen Tod und Leben schwebte, nicht einmal ein Gespräch mit einem Angehörigen hatte. Deshalb war auch der Besuch seines nächstjüngeren Bruders (Alois, der Verfasser,  Anm. d. Red.)am 18. Januar 1945 für den Gefangenen als auch für den Besucher ein erschütterndes Erlebnis. Er berichtet so darüber:  
    ,,Eine Wehrmachtsdienstreise führte mich im Januar 1945 nach Berlin. Ein großer Fliegerangriff auf die Stadt ließ mich vor ihren Toren warten. Erregt dachte ich an den gefangenen Bruder, der im Gestapogefängnis schutzlos dem Bombenhagel ausgesetzt war. Nach dem Angriff bahnte ich mir den Weg durch die brennende Stadt zum Moabiter Gefängnis. Ich bat, meinen Bruder sehen zu dürfen. Auf mein wiederholtes Bitten trug man mir auf, eine Besuchsgenehmigung beim Volksgerichtshof zu erwirken. Um eine solche Genehmigung konnte ich mich aber erst am anderen Tage, einem Sonntag, bemühen. Das Volksgerichtshofgebäude war jedoch am Tage vorher, von Spreng- und Brandbomben getroffen, ausgebrannt. Ich ging erneut zum Gefängnis. Nach anfänglicher Weigerung wurde mir doch ein Besuch gewährt. Da stand nun der alte Obergefreite dem gefangenen Bruder gegenüber. Starrer Schmerz auf der einen, fassungsloses Schluchzen auf der anderen Seite. Doch die Worte des Besuchers ,Nun bin ich bei Dir, nun ist alles gut' lassen den Schmerz hinter die Freude des Wiedersehens zurücktreten. Der gefangene Bruder bettelt bei dem ,Wachhabenden' um einen gemeinsamen Aufenthalt mit dem Besucher in der Besucherzelle; es war nur eine kurze Begrüßung in der Wachstube vorgesehen. Wir gehen in die Besucherzelle. Alle brüderliche Liebe offenbart sich nun dort, als wir eingetreten sind.  

    Der gefangene Bruder: ,Ich habe heute morgen zum Herrgott gebetet, er möge mir heute eine Freude bereiten. Mein Gebet ist erhört! Und daß gerade Du gekommen bist!'  

    Ich packe meine ersparte Marschverpflegung aus. Etwas Butter, Brot, einige Äpfel und Zigaretten. Wieviel Dankbarkeit strahlt aus den Augen des durch körperliche und seelische Strapazen verhärmten Bruders. Wir rauchen eine Zigarette, der anwesende Posten raucht mit. Er ist rücksichtsvoll und läßt uns in der Unterhaltung ungestört. Wir sprechen die vertraute Muttersprache. Der gefangene Bruder nimmt mein Gesicht in die Hände und sagt: ,Wie gut, daß Du gekommen bist. Grämt Ihr Euch, daß ich Euch Kummer bereitet habe? Seid mir gut, was ich tat, mußte ich tun. Ich tat es ja auch für Euch.' Meine Entgegnung: ,Es ist alles gut, Du bist unser liebster Bruder und bleibst es immer.' Der gefangene Bruder: ,Ich werde nicht wiederkommen.' Meine Antwort: ,Du mußt Hoffnung haben. Die Russen stehen vor Berlin; bald wirst Du frei sein.'  

    Wir sprechen von seiner Familie, seinen drei Söhnen, der jüngste kaum sechzehnjährig und auch im Kriegsdienst, und von seiner Frau, die in diesen Tagen unter Zurücklassung der gesamten Habe aus Breslau flüchten mußte. Von unserem alten Vater und den Geschwistern. Um aller willen möchte der gefangene Bruder leben.  

    Dann sagt er: ,Es ist nicht leicht, mit 46 Jahren auf dem Schafott zu sterben.' Ich entgegne: ,Du wirst leben.' Der gefangene Bruder: ,Aber wenn ich sterben muß, werdet ihr mich dann unter den alten Linden der Heimat begraben?' Meine Erwiderung: ,Ja, diese Gewißheit soll Dir ein Trost sein.'  

    Der Aufseher mahnt zum Aufbruch; die für die Besuchszeit vorgesehenen 10 Minuten sind überschritten. Wir erheben uns. Der gefangene Bruder segnet mich mit dem Kreuzzeichen und sagt dabei: ,Das ist für Euch alle.'  

    Eine letzte Umarmung. Zum Bruderkuß drücken sich seine Lippen noch einmal auf die meinen. Ein letztes ,Auf Wiedersehen'. Sein Körper strafft sich, und in Begleitung des Aufsehers entschwindet der Bruder in den düsteren Gängen des Gefängnisses meinen Blicken für immer!"  

Trotz allem, was hier über den Besuch gesagt worden ist, wird man nicht meinen dürfen, daß Franz Leuninger von der Traurigkeit über sein persönliches Leid übermannt worden sei. Hierfür bezeichnend sind die Worte in einem seiner letzten Briefe:  
    ,,Ich habe mein Schicksal in die Hände des Herrgotts gelegt. Wie er es macht, so wird es schon richtig sein." 
Sein Mitgefangener, Freiherr Hermann von Lüninck, ist ihm etwa ab Anfang Februar in Arbeitsgruppen begegnet und hatte eine relativ enge Fühlung mit ihm. Sein Gesamteindruck, wie Lüninck ihn in Erinnerung hat, war, daß Franz Leuninger eine frohe, eigentlich heitere Grundhaltung, hatte. Über das, was ihm bevorstand, war er sich völlig klar. Er sprach viel von seiner Frau und seinen Kindern und zeigte Bilder von diesen. ,,Die paar Jahre, bis ich sie wiedersehe, gehen bald herum." Das Denken aller Häftlinge war damals auf das Jenseits gerichtet. Bei Franz Leuninger war diese Einstellung besonders ausgeprägt. Sein irdisches Geschick wußte er in Gottes Hand und dort gut aufgehoben. Besonders traurig und bedrückt war er nicht, sondern in des Wortes eigentlicher Bedeutung innerlich frei. ,,Er hat", so urteilt von Lüninck ,,die letzten Wochen seines Lebens als Heiliger gelebt".  

Hinrichtungsstätte Plötzensee
Das Innere der Hinrichtungsstätte
Plötzensee

 
I

n der Verhandlung vor dem Volksgerichtshof am 28. Februar 1945 wurde Franz Leuninger zum Tode verurteilt. Hiervon setzte er seinen ältesten Bruder, der in einer thüringischen Stadt Soldat war, gemäß einer brieflichen Abrede in Kenntnis. Dieser bekam von einem verständnisvollen Vorgesetzten einige Tage Urlaub für eine Reise nach Berlin. Dort versuchte er, den Aufenthalt von Franz zu erfahren. Niemand wollte oder konnte ihm eine Auskunft geben. Zu guter Letzt erhielt er dann den Bescheid, daß das Urteil bereits vollstreckt sei. Man händigte ihm einige Gegenstände aus dem persönlichen Eigentum des toten Bruders aus, mit denen er dann die Rückreise antrat. Weitere Einzelheiten über die Geschehnisse jener Tage weiß Johann Albers zu berichten: 

    ,,In der Zeit nach der ersten Begegnung mit Franz Leuninger hatte ich alle Tage für kurze Minuten Gelegenheit, mich mit ihm auszutauschen. So erfuhr ich auch die näheren Umstände seiner Verhaftung und wurde von ihm über die Anklagepunkt ins Bild gesetzt. Es war wahrhaftig keine Begründung für ein Todesurteil. Aber alle, die aus der christlichen Arbeiterbewegung kamen, wurden von der Gestapo besonders ,,bewertet". Der Verhandlungstermin beim Volksgerichtshof war schon auf Anfang Februar festgelegt. Durch den Tod von Freisler und die Zerstörung der Gebäude des Volksgerichtshofes mußte der Termin aber immer wieder hinausgeschoben werden, so daß er erst Ende Februar stattfand. Am Tage vor der Verhandlung bat er um unser gemeinsames Gebet. Pater Provinzial Rösch SJ. hat ihm an diesem Tage die Kommunion vermittelt. Ich war der Auffassung, daß er mit 5-6 Jahren Zuchthaus rechnen konnte. Daß ein Todesurteil über ihn und seine beiden Mitangeklagten aus den freien Gewerkschaften verhängt wurde, kam uns allen unerwartet. Überhaupt waren alle Insassen des Gefängnisses von dieser Härte geschlagen. Als Franz mittags nach der Verhandlung an meiner Zelle vorbeiging, konnte ich zum letzten Mal in seine Augen schauen. Am gleichen Tage wurde er gefesselt und in die Todeszelle nach Plötzensee gebracht.  

    In den ersten Tagen des März wurde er mit noch vielen anderen hingerichtet. Der katholische Gefängnispfarrer sagte mir, daß Franz Leuninger den Kopf unter das Fallbeil gelegt habe mit dem Gesang: ,,Großer Gott, ich lobe Dich."  
Die Gründe für das Todesurteil sind im einzelnen nicht bekannt. Es scheint jedoch, wie einem Gnadengesuch des Offizialverteidigers zu entnehmen ist, im wesentlichen damit begründet worden zu sein, daß Franz Leuninger in einer Besprechung von Männern des Widerstandes den ehemaligen Oberpräsidenten der Provinz Schlesien und späteren Bundesvertriebenenminister Lukascheck für den Fall einer Beseitigung des Naziregimes zum Oberpräsidenten der Provinz Schlesien vorgeschlagen hat.  

Von den etwa 200 Männern des Widerstandes ,,20. Juli 1944" starben rund 150 eines gewaltsamen Todes. Die Zahl der Überlebenden soll nicht nennenswert über 50 hinausgehen. Alle setzten ihr Leben bewußt ein, denn die Chancen des Gelingens ihres Unternehmens wurde von ihnen ,,bei den Vorbesprechungen immer nüchtern beurteilt". Hermann von Lüninck meint, die meisten hätten das Gelingen des Vorhabens auf 25 bis 30 Prozent geschätzt und die großen Optimisten auf 50 Prozent. Diese Ungewißheit konnte sie indessen nicht von ihrer Absicht abbringen, den Versuch zu machen, dem deutschen Volk Ordnung und Ehre wiederzugeben.  

Als der Versuch mißlungen war und sie in die Fänge des Hitlerregimes gerieten, herrschte natürlich Enttäuschung und Entsetzen unter ihnen. Aber sie bereuten nicht, was sie getan. Keinesfalls erschien ihnen ihr Handeln sinnlos. Sie hatten ihrem Volke und der Welt das andere Deutschland gezeigt, das lebte. Mutig stellten sie sich der Institution, die man damals Volksgerichtshof nannte und standen dort zu ihrer Sache. Fünfundachtzig von ihnen wurden zum Tode verurteilt. Aber auch der Tod erschien ihnen noch als Gabe an Deutschland und die Freiheit. Nach Hermann von Lüninck gab es unter ihnen Männer, die sich in Haft und Gefängnis und unter dem Galgen zu unvorstellbarer Seelen- und Charaktergröße erhoben. Sie kämpften nicht um ihr Leben, sondern brachten es bewußt, frei und stolz als Sühneopfer dar. Zu ihnen gehörte, was bezeugt ist, auch Franz Leuninger.