Ernst Leuninger

Wiederaufbauarbeiten in Bosnien

0 Bosnienbeauftragter des Bistums

Seit April 97 ist Prof. Dr. Ernst Leuninger, damals noch Dezernent im Bischöflichen Ordinariat Limburg, Bosnien-Beauftragter des Bischofs von Limburg. In dieser Funktion hat er bis Augsut 1999 11 Reisen nach Bosnien durchgeführt, um Wiederaufbauprojekte zu fördern. Der folgende Beitrag stellt einen erweiterten Reisebericht dar, der auch nach Hintergründen fragt.. 
 
 

1 Frühzeitig war der Bischof von Limburg in Bosnien

Schon in den Zeiten der kriegerischen Auseinandersetzungen war der Bischof von Limburg, Dr. Franz Kamphaus, verschiedentlich in Sarajevo, der Hauptstadt von Bosnien-Herzegowina. Teilweise unter abenteuerlichen Umständen vollzogen sich diese Reisen. Sarajevo war eine belagerte Stadt, auch wenn Waffenstillstand herrschte. An Neujahr 1995 reiste der Bischof im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz dorthin. Es kam zu Gegenbesuchen von Kardinal Puljic und Weihbischof Sudar aus Sarajevo. Vom Bistum Limburg wurde der Aufbau der "Schulen für Europa" gefördert und die Gläubigen eingeladen, über Spenden unter dem Thema "Ein Dach über dem Kopf" zur Erneuerung von Dächern und Fenstern beizutragen. So entstand denn auch der Gedanke, beim Aufbau intensiver mitzuhelfen. Ostern 1997 fuhr deshalb der Bischof mit mir nach Sarajevo, um dort die Möglichkeiten für weitere Hilfe, vor allem in Pfarreien, zu erkunden. 

Alles, was in Bosnien geschah, hatte seine Vorgeschichte und seinen politischen Kontext, auf die hier kurz eingegangen wird, damit die Zusammenhänge verständlich sind. Dazu gehört auch der Termin der Abfassung in der zweiten Februarhälfte 1998. Im Kern der Ausführungen werden die Erfahrungen des Verfassers stehen. 
 
 

2 Der Kontext der Ereignisse

2.1 Einige geschichtliche Anmerkungen

Die Verhältnisse in Bosnien-Herzegowina sind ohne die historischen Entwicklungen nicht zu verstehen. Auf die Bedeutung der Geschichte für die derzeitigen Konflikte ist in der letzten Zeit durch eine Reihe von Veröffentlichungen hingewiesen worden. Die Materie ist äußerst komplex und keineswegs hinreichend aufgearbeitet. Die Aufarbeitung wird auch immer schwieriger durch die Zerstörung der zentralen Bibliothek in Sarajevo während der Kriegsereignisse. Hier kann nur kurz auf wichtige Einflußzusammenhänge hingewiesen werden. Unterschiedliche Sichtweisen sind vor allem bei den bisherigen Kriegsparteien vorhanden. 

Bosnien lag im Bereich der Schnittlinie zwischen Ost- und Westrom. Dies wurde später deutlich durch die unterschiedliche Ausprägung des Christentums in den jeweiligen Einflußzonen. Im Osten war es die Orthodoxie, im Westen das römisch beeinflußte Christentum. Der größte Teil Bosnien gehörte ja zur Provinz Dalmatien der Römer. In diese Zeit fallen auch Kirchengründungen, 20 Basiliken lassen sich nachweisen. Dabei wird dem römisch beeinflußten Christentum nachgesagt, daß es recht eigenständig war, und das Bemühen der Franziskaner um Reformen nicht unbedingt von Erfolg gekrönt war. Die oben genannte Schnittlinie entspricht auch im wesentlichen der Schnittlinie zwischen Serben im Osten und Kroaten im Westen. Durch Wanderungsbewegungen ist es immer wieder zu Verschiebungen gekommen. 

Dabei muß aber betont werden, daß die Ausgangslage keine einheitlich zugewanderten Völker waren, sondern der Zusammenhalt in Nationen sich erst später herausbildete und keineswegs abgeschlossen ist. Wissenschaftlich ist völlig ungeklärt und wohl auch nicht klärbar, was denn eine Nation ist. Zumeist handelt es sich um emotional besetzte Kampfbegriffe nach außen oder Einigkeitsbeschwörungen nach innen. 

Sowohl bei Serben als auch bei Kroaten verbreitete sich die Lehre des orthodoxen Priesters Bogumil. Seine Anhänger, die Bogumilen, galten als Ketzer. Es war eine sehr asketisch geprägte Religion, die Kirchen und Klöster ablehnte und dualistische Züge hatte. 

1180 gab es erstmals einen eigenständigen bosnischen Staat. Die Eroberung des Balkan durch die Anhänger des Islam begann im späten Mittelalter. Bis 1463 waren alle befestigten Orte Bosniens und der Herzegowina in der Hand des Islam. Es ist nicht auszuschließen, daß die Bogumilen sehr schnell zum Islam übertraten, weil sie diesen als Befreier erlebten. Dazu läßt sich aber wenig Gesichertes sagen. 1468/69 gab es 37.125 christliche und 332 muslimische Haushalte, 50 Jahre später waren es knapp 50% Muslime und im erst im 17. Jahrhundert war Bosnien mehrheitlich islamisiert. Die Serben zeigten sich bezüglich der Bewahrung ihres Glaubens widerständiger, die Kroaten waren damals wohl religiös nicht so stabil geprägt. 

Die islamische Herrschaft unter türkischer Oberhoheit endete mit dem Einmarsch von Österreich-Ungarn 1878. Obwohl die Muslime ihren Glauben frei ausüben konnten und 1909 die kulturelle Autonomie erhielten, wanderten bis 1918 etwa 300.000 Muslime aus. In die Zeit der Habsburger fällt die Modernisierung und Industrialisierung des Landes. Die Leibeigenschaft wurde schrittweise abgeschafft, Bodenreformen durchgeführt. Der Mord am Tronfolgerpaar in Sarajevo löste 1914 den Ersten Weltkrieg aus. Nach dem Krieg wurde das Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen gegründet, dem Bosnien zwangsweise eingegliedert wurde. 

Dann kam die Besetzung durch Deutschland und Italien im Zweiten Weltkrieg. Es wurde ein kroatischer Staat gegründet, der unter der Führung der kroatisch-faschistischen Organisation Ustacha stand. Auf serbischer Seite gab es die Tschetnics. Bosnien gehörte zu diesem kroatischen Staat. Die Führung der Muslime ging mit der Ustascha zusammen. Letztlich konnte die kommunistische Partei mit ihren Kampforganisationen den Krieg für sich entscheiden. Die Opfer des Krieges, der gegenseitigen Morde und Rachefeldzüge, waren groß und hinterließen viele Wunden. Auch hier zeigte sich der Krieg von seiner schmutzigsten Seite. 

Durch Tito und unter Führung der kommunistischen Partei wurde ein geeintes Jugoslawien gegründet. In dieser Zeit wurden neben Serben und Kroaten, die für Bosnien von Bedeutung sind, auch die Muslime ethnisch 1961 anerkannt (Bosniaken) und erhielten 1971 den Status einer "Nation in Jugoslawien". Zu sagen, die Muslime seien letztlich Serben oder Kroaten gewesen, ist nicht ungefährlich, weil damit immer wieder Machtansprüche abgeleitet wurden, obwohl das für den Ursprung stimmt. In dem Entstehen des neuen Nationalismus im Gebiet Jugoslawiens holten sich Muslime ihre Gedanken überwiegend aus dem Bereich des Islam. Insgesamt unterscheiden sich die Serben und Kroaten auch eher durch die Religion als durch andere kulturelle Gegebenheiten. 

Im politischen und wirtschaftlichen Zerfall der zentralen kommunistischen Macht und des kommunistischen Staates bildete das Hin und Her der geschichtlichen Entwicklung ein allgemeines Substrat der Unsicherheit, der verlorenen oder nie richtig gefunden Identität, das für politische Heilsprediger beste Voraussetzungen bietet. Das nationalistische Denken der Menschen war weniger die Ursache der nun folgenden Auseinandersetzungen, sondern ein guter Wurzelboden, auf dem ein kämpferischer Nationalismus begründet bzw. erweitert werden konnte, der dann zu all dem derzeitigen Elend führte. 
 
 

2.2 Der Krieg und seine Folgen

Anlaß zu dem Bürgerkrieg in Bosnien-Herzegowina war die Schwäche der Zentralmacht und das Zusammenbrechen des Kommunismus. Es entstanden neue Staatsgebilde, oft auf historischem Hintergrund, meist mit den Grenzen, wie sie im kommunistischen Staat für die Bundesländer existierten. An die Stelle des Kommunismus trat zumeist nationales Denken. Soweit es Slowenien betraf, beinhaltete es keine unterschiedlichen Nationen und es wurden auch keine Herrschaftsansprüche erhoben. 

Anders sah dies in Serbien aus. Dort war in Kreisen von Intellektuellen vor allem im Umfeld der Akademie der Wissenschaften von Belgrad die Idee Großserbiens wiederbelebt worden. Es ist ein "Verrat der Intellektuellen" an den Werten Freiheit, Gleichheit und Geschwisterlichkeit, an der grundlegenden Bedeutung der Menschenwürde. Blut und Boden werden zu letzten Werten. Das Sanu-Memorandum der Belgrader Akademie von 1986 postulierte die großserbischen Blut- und Bodenansprüche und wurde damit geistige Grundlage aller nationalistischen Auseinandersetzungen. Gemäß dieser Idee wurde Anspruch auf alle Gebiete erhoben, in denen Serben wohnten, auch wenn sie in der Minderheit waren. Schon unter den Kommunisten wurde die großserbische Idee zu einer populistischen Idee. Zu solchen Ideologien gehört dann immer auch die propagandistische Einrede: "Wenn wir nicht handeln, werden uns die anderen ausrotten". Hier handelt es sich eindeutig um Theorien, die denen der Nazis entsprechen und auch so durchgeführt werden. 

Gemäß dieser Idee wurden Ansprüche auch auf große Teile Bosniens-Herzegowinas erhoben. Muslime und Kroaten wären davon betroffen gewesen. Die ethnische Zusammensetzung des Landes bestand 1991 aus ca. 1,9 Millionen Muslime, 1,4 Millionen Serben, 780.000 Kroaten und noch gut 200.000 Angehörige anderer Gruppen. Letztlich fühlten sich alle als Verlierer im Vielvölkerstaat. Vor allem serbische und kroatische Intellektuelle bezogen ihre Ideen aus den jeweils außerhalb des Landes liegenden Machtzentren Belgrad bzw. Zagreb. Die drei großen nationalen Parteien erhielten bei den Wahlen 1990 86% aller Stimmen. 

Es gab unter den Volksguppen Spannungen und Vorurteile, aber das Zusammenleben war über lange Zeit friedlich verlaufen. Als der Krieg in Kroatien 1991 auf dem Höhepunkt war, bestätigen bei einer Untersuchung in Bosnien-Herzegowina nur ein Zehntel der Befragten, daß Nationalität ein wichtiges Kriterium für Freundschaft sei. Bei der Wahl des Ehepartners zeigte man sich schon vorsichtiger. 43% der Muslime, 39% der Kroaten und 25% der Serben wollten sich bei der Partnerwahl an der Nationalität orientieren. Die Nationalitätenproblematik war zwar vorhanden, aber nicht dramatisch. Das Konfliktpotential erschien den Menschen um so größer, je weiter weg sie von multikulturellen Gebieten lebten. Viele Vertriebene aus multikulturellen Gebieten berichteten, daß das Leben dort vor der Vertreibung konfliktarm verlaufen sei. 

Absicht vor allem der Serben war es, eine eigenständige Republik zu gründen, die dann zu Restjugoslawien kommt. Die Gründung geschah dann auch am 7. April 1992 nach dem Referendum, die Kroaten folgten im Juli, die Muslime später. Die Serben lehnten die Anerkennung Bosnien-Herzegowinas durch ausländische Staaten ab. Bosnien-Herzegowina beantragte aber die Anerkennung. Ein Referendum vom 1. März 1992 für die Anerkennung Bosnien-Herzegowinas als eigenständiger Staat erhielt 99,4% der abgegebenen Stimmen, wurde aber von den Serben boykottiert. 

Danach übernahmen die Ethnokraten die Macht und begannen ihre Säuberungsideen zu verwirklichen. Sie begaben sich in die Beschützerrolle und zwangen die Beschützten mit zum Morden. Es entstand eine Eskalation der Gewalt. 

Am 1. März 1992 begannen die bewaffneten Auseinandersetzungen, nachdem unbekannte Heckenschützen in Sarajevo das Feuer auf eine Gruppe von feiernden Serben eröffnet hatten. Das jugoslawische Militär verläßt formal das Land, aber 70% der Bewaffnung geht an die Serben über; sie erhalten auch militärisches Großgerät. Wenn es in die Hände von Kroaten oder Muslime hätte fallen können, wurde militärisches Gerät zerstört. Belgrad unterstützt aber in vieler Beziehung die Serben militärisch, der Oberbefehl liegt praktisch in Belgrad. So stammten im April 1994 25.000 Offiziere und Mannschaften aus Serbien und Montenegro. 

Es entsteht ein gnadenloser Krieg, mit Zerstörungen, Massenmorden, Internierungslagern, Vertreibungen, ethnischer Homogenisierung und etwa 6 Millionen Stück Verminungen, im Land. Gerade die ethnisch zerstückelte Besiedelung des Landes macht die sogenannte ethnische Säuberung, die ja das ursprüngliche Kriegsziel der Serben und auch von den anderen war, wenigstens faktisch teilweise und in viel geringerem Umfang übernommen wurde, so folgenschwer. Die Serben zeichneten sich dabei besonders aus. Trotz Bemühungen der UN geht der Krieg weiter. Kroaten kämpfen gegen Muslime. Es geht allenthalben um Gebietsgewinne. Ende 1992 beherrschen nämlich die Serben 70% des Territoriums. Es kommt aber zum Frieden zwischen den Kroaten und Muslimen, nach umfangreichen gegenseitigen Zerstörungen. Dadurch wird die Waffenkraft gegen die Serben gestärkt. September 1995 beherrschen die Serben nur noch 50% des Landes. Nach 234 gebrochenen Waffenstillständen trat das Abkommen von Dayton am 15. Dezember 1995 in Kraft. Es hat bis jetzt gehalten (Februar 1998). 

Die "ethnischen Säuberungen" hatten riesige Flüchtlingsströme in Bewegung gesetzt. Sie begannen durch Serben, die sie im größten Ausmaß und am systematischsten betrieben, in der Regel in bevölkerungsmäßig geschlossenen Gebieten mit einem Artilleriebombardement, Brandschatzungen bis hin zum Morden, Vergewaltigungen, Verstümmeln und zu Deportationen. Im Gebiet Korace sollen Tausende dabei getötet worden sein. Die Männer unter 60 kamen in Todeslager, also Lager, die ausgesprochen nur zum Töten eingerichtet worden waren. Noch im Mai 1994 gehen solche Säuberungen durch die Karadzic-Serben weiter, um sich damit bei Gebietszusprüchen in den Friedensverhandlungen Vorteile zu verschaffen. 

Die Handlungen der Muslime waren meist Racheakte und Handlungen aus Haß, weniger gezielte ethnische Säuberungen, die der Kroaten hatten viel kleineres Ausmaß. 

Bis März 1994 waren aus serbisch besetzten Gebieten 740.000 Menschen vertrieben worden oder geflohen. 400 000 Serben waren in umgekehrter Richtung gegangen. Ende 1995 hielten sich in Bosnien-Herzegowinas 2,7 Millionen, in Kroatien 463.000 und in Serbien 449.000 Flüchtlinge auf. Andere Datenwiedergaben sprechen von mehr als 2 Millionen Flüchtlingen, davon mehr als 1 Millionen in Bosnien-Herzegowina und eine Million in 25 anderen Ländern. z.B. 330.000 in Deutschland. So eine Mitteilung des UNHCR vom März 1997. 175.000 Menschen waren September 1995 schon getötet, darunter 17.000 Kinder; ähnlich viele Menschen wurden verletzt; 80% überlebten nur durch humanitäre Hilfe. Etwa 220.000 kehrten 1996 in die Heimat zurück, für 1997 rechnete man mit 200.000. Der Prozentsatz der zerstörten Häuser ist enorm. Was nicht kriegszerstört wurde, das wurde oft nach der Flucht oder Vertreibung der Einwohner geplündert und abgetragen. Das Transportwesen, die Trinkwasserversorgung und die Stromversorgung waren weitgehend zusammengebrochen. Die Schadenschätzungen liegen zwischen 10 - 70 Milliarden Dollar; aus der Kenntnis der Lage vor Ort würde ich eher auf die größere Zahl verweisen.

Zur ethnischen Säuberung gehört aber auch die systematische Zerstörung der Kulturgüter, schon 1992 waren z.B. 70% der islamischen Gotteshäuser und öffentlichen Gebäuden zerstört. Auch Serben und Kroaten beklagten den Verlust ihrer Kulturgüter. Die Wirtschaft war zerstört, nur noch 5-10% funktionierten. Wissenschaft und Landwirtschaft sind in ihrer Substanz vernichtet, viele Wissenschaftler außer Landes gegangen. Hinzu kommen die zerstörten menschlichen Beziehungen. Ein Muslime, der seine Tochter verloren hatte sagte: "Das ist kein Krieg zwischen Serben und Moslems - das ist ein Krieg zwischen Verrückten, zwischen Monstern." Intellektuelle, so z.B. Karadzic, die ihre menschenwürdeverachtenden Theorien in die Praxis umsetzten wollten, tragen dafür die volle Verantwortung. Wer wird sie jemals zur Rechenschaft ziehen? 
 
 

2.3 Dayton und die Befriedung des Landes

Seit 1994 hatte sich das Kräfteverhältnis gewandelt. Die kroatische Armee brachte die Serben in Bedrängnis. Bosnische Serben stürmten die von Blauhelmen geschützten sicheren Zonen und nahmen außerdem Blauhelme als Geiseln. Dies veranlaßte den Westen zu einer härteren Gangart. Die USA griffen nach bisheriger Zurückhaltung deutlicher ein. Die Serben lenkten ein, da sie auf der Verliererstraße waren. Am 21. November wurde in Dayton (Ohio USA) ein Friedensabkommen von den Präsidenten Serbiens, Bosniens und Kroatiens paraphiert und im Dezember in Paris endgültig unterzeichnet. 

Der Plan klärte den Rückzug der Truppen, die Bildung von zwei Entitäten, der Republik Serbien und die kroatisch-bosniakische Föderation in der Republik Bosnien-Herzegowina. Die Serben erhielten 49% des Landes, die kroatisch-bosniakische Föderation 51%. Jeder sollte das Recht haben, in sein Eigentum zurückzukehren, demokratische Wahlen wurden angesagt und Sarajevo sollte ungeteilte Hauptstadt werden. Die UN sollte eine Übergangsverwaltung wahrnehmen. 

Wie schwierig sich die Realisierung gestaltete, mag man daraus ersehen, daß in der serbischen Republik erst im Sommer 1997 die ersten Eigentumsscheine an Kroaten ausgestellt und im Februar 1998 berichtet wurde, daß in Brcko Baugenehmigungen an nichtserbische Flüchtlinge erteilt worden seien. SFOR-Soldaten sorgen für die Sicherheit, nachts dürfen die Aufbauwilligen noch nicht in ihren Häusern bleiben. Ein zäh erarbeiteter, von der neuen Regierungschefin in der serbischen Republik nur mühsam durchgesetzter Schritt, sicher nicht ohne Druck von außen erreicht; aber an Dayton darf kein Weg vorbeigehen. 

Wenn auch die ersten Schritte zum Wiederaufbau gemacht werden, so ist dies noch ein langer, schwieriger und gefährlicher Weg. Der Krieg geht in vielen Köpfen und Herzen weiter. Außerdem ist viel Eigentum durch Flüchtlinge belegt, die auch nicht zurück können. Die wirtschaftlichen Voraussetzungen sind äußerst schlecht. Auf dem Land soll die Arbeitslosigkeit teilweise bei über 90% liegen (Oktober 97). Trotzdem muß der Weg von Dayton weiter gegangen werden. Nicht mit großer Eile und massivem Druck, das schafft neue Probleme bei der Rückkehr im Land. Markige Sprüche von Ministern helfen vielleicht bei ihrer Wiederwahl, aber kaum den Betroffenen. Druck auf die Mächtigen im Land ist durchaus angebracht. Die Menschen wollen ja nach Hause, aber in einigermaßen gesicherte Verhältnisse. Es darf nicht durch überhastete Rückführung der ethnischen Säuberung im Nachhinein eine Chance gegeben werden, weil Flüchtlinge in Gebiete anderer Nationalitäten zurückgebracht werden, denn dort sei ja Platz. Dieser wird aber zu oft von den örtlichen Kräften gegen die ursprünglichen Besitzer für Angehörige der eigenen ethnischen Gruppe künstlich frei gehalten. 

Den Menschen muß geholfen werden, in ihrer Heimat wieder Fuß zu fassen. Da setzt die Hilfe des Bistums Limburg ein. Es hilft Minoritäten, die es immer schwerer haben, zu ihrem Recht zu kommen. Dabei kooperiert es eng mit dem Erzbistum Vrhbosna-Sarajevo. 
 
 

2.4 Das Erzbistum Vrhbosna-Sarajevo

Über die Beginn der Christianisierung wurde ja schon in 1.2.1 gesprochen. Die erste schriftliche Erwähnung einer bosnischen Diözese fällt in das Jahr 1089. 1238 baute Bischof Ponsa die mittelalterliche Stadt Vrhbosna mit einer Kirche und einem Kapitelshaus. Ponsa mußte nach Dakovo fliehen. So hatte das Bistum über Jahrhunderte keinen Bischof am Ort. 1291 kamen die Franziskaner. Durch ihre Missionierung kamen viele bosnischen Christen in die volle Gemeinschaft mit Rom. 1339 wurde das franziskanische Vikariat gegründet. Nach der Besetzung durch die Türken 1463 flohen viele Christen. Die Franziskaner blieben, 1735 wurde ein Franziskaner apostolischer Administrator. Unter den Habsburgern wurde 1881 die Hierarchie erneuert und das Erzbistum Vrhbosna-Sarajevo mit den Suffraganen Banja Luka und Mostar-Duvno und Trebinje-Mrkan gebildet. 

Zur Zeit leitet Kardinal Vinko Puljic das Erzbistum, Weihbischof ist Pero Sudar, der Ökonom ist Pfarrer Anto Jelic. 

Vor dem Krieg hatte das Erzbistum 144 Pfarreien in vier Archidiakonaten und 13 Dekanaten. mit 528.000 Katholiken. Die serbische Aggression hat 45% der Diözese zerstört, 200.000 Gläubige mußten fliehen; die meisten Kirchen wurden gesprengt, 62 Pfarreien zerstört. 

Im Krieg zwischen der BiH-Armee und den Kroaten wurden 120.000 - 150.000 Katholiken vertrieben und viele Kirchen zerstört. Auch muslimische religiöse Gebäude wurden zerstört. 

600 kirchliche Gebäude des Erzbistums sind im Krieg insgesamt zerstört oder unbenutzbar geworden. Rund 100 Pfarreien wurden von serbischem oder muslimischem Militär besetzt und die Mehrzahl davon zerstört. In 90 der Pfarreien gab es 1994 keinen Geistlichen mehr. Über 50 Kirchen wurden völlig oder fast völlig zerstört, viele weitere schwer geschädigt. Insgesamt sind über 70% des kirchlichen Baubestandes zerstört. Drei Priester (Franziskaner) wurden getötet. Täglich starben im Krieg im Durchschnitt über 200 Menschen in Bosnien-Herzegowina. 

Die Bischöfe von Bosnien-Herzegowina haben sich eindeutig für den Erhalt des Staates eingesetzt, den ethnischen Säuberungen widersprochen und die freie Rückkehr der Flüchtlinge gefordert. Sie haben sich für Versöhnung angesagt, wohl wissend, wie schwer dies ist und daß diese zuerst im Herzen beginnen muß. Sie fordern Freiheit und freie Glaubensausübung für alle. Nur durch Versöhnung wird der Frieden gelingen. Die größten Kriegsopfer haben in Bosnien-Herzegowina die Kroaten gebracht. Trotzdem schließen die Bischöfe sich ausdrücklich dem Ruf des Papstes an: "Vergeben wir und bitten wir um Vergebung." 

Von besonderer Bedeutung und Ermutigung war der Besuch des Papstes im April 1997. Er machte deutlich, daß die Menschen in Bosnien-Herzegowina nicht allein gelassen sind. In dem zum Glück mißlungenen Anschlag auf den Papst wurden aber auch nochmals die vorhandenen Spannungen offen gelegt. 
 
 

3. Partner für den Frieden

3.1 Die Anfänge

Durch den frühzeitigen Besuch des Bischofs erfolgte sehr schnell eine Entscheidung im Bistum Limburg, sich beim Wiederaufbau zu engagieren. Dieser Einsatz sollte unter dem Thema stehen: "Partner für den Frieden". Durch Spenden kamen Mittel für die Aktion: "Ein Dach über dem Kopf" zusammen. Damit sollten Dächer saniert und Fenster beschafft werden, um Häuser wieder bewohnbar zu machen. 
 
 

3.2 Schulen für Europa

Viele Schulen wurden im Krieg zerstört, die Kinder mußten unter schwierigen und gefährlichen Umständen unterrichtet werden. Nach dem Krieg ging es nicht nur um den Aufbau von Schulen, sondern auch um die Förderung von Toleranz unter den unterschiedlichen ethnischen Gruppen. Bosnien-Herzegowina war ein Land der Begegnung und soll es wieder werden. Trotz aller Probleme wurde das Zusammenleben unterschiedlichster Gruppen als Bereicherung empfunden. Schon im Frühjahr 1994 begann das Erzbistum mit dem Wiederaufbau eines Schulgebäudes in Sarajevo. Die Zahl der zuströmenden Schüler ist größer als die Kapazität. Andere Schulen folgten. Zur Zeit sind es fünf mit 1800 eingeschriebenen SchülerInnen. Die Schulen sind in katholischer Trägerschaft und nennen sich: katholisch, multiethnisch, multireligiös." Geistliche verschiedener Religionen erteilen den Religionsunterricht, zu dem man sich anmelden muß. In der Schule sollen die ethischen Grundlagen für ein versöhntes Miteinander gelegt werden. Das Schulprojekt wurde vom Bistum Limburg mit ca. 200.000 DM unterstützt. 
 
 

3.3 Vielfältige Aktivitäten

Die Not in Bosnien hat viele Aktivitäten herausgefordert. Die Pfarrei Breidenbach führte Lebensmitteltransporte durch. Die Malteser des Bistums engagieren sich beim Wiederaufbau eines Krankenhauses. Der Caritasverband Wiesbaden berät Rückkehrwillige und verhilft ihnen in Zusammenarbeit mit der Stadt zu Aufbauzuschüssen. Ein Pfarrer aus dem Limburger Raum arbeitet bei einer großen Initiative bei Feriencamps für Flüchtlingskinder mit. Dies sind Aktivitäten, die über die nationalen Grenzen hinausgehen und in besonderer Weise der Versöhnung dienen sollen. Am "Tag der Frauen" in der Kreuzwoche des Bistums Limburg wurde eine Spende für Frauen und Kinder in Sarajevo gesammelt. Sie dient der Arbeit mit Waisenkindern. Den Erlös für den Verkauf ihrer Bilder bei einer Ausstellung spendet die Malerin für die Menschen in Sarajevo. Spendenaufrufe bei Pfarrfesten und vielen anderen Veranstaltungen blieben nicht ungehört. Das alles kann hier nicht weiter ausgeführt werden, wäre es aber wert, nicht vergessen zu werden, weil es gegen zerstörerischen Haß kreative Liebe setzt. 

In Novi Travnik wird von einer kirchlichen Organisation eine Suppenküche betrieben. 150 und mehr Menschen essen dort täglich. Es ist für sie oft das einzige Essen, das sie am Tag bekommen. Bei vielen Kollekten und Anlässen wurde immer wieder Geld gesammelt und nach Novi Travnik überbracht. Regelmäßig gingen im vergangenen Jahr auf ein Spendenkonto Mittel für die Menschen in Bosnien ein. 

Jetzt (1999) wurde die Aktion guter Hirte gegründet. Damit sollen Bergdörfer durch die Anschaffung von Milchschafen wieder auf eine wirtschaftliche Basis gestellt werden. 
 
 

3.4 Hilfe beim Aufbau von Pfarreien

Anläßlich eines Besuches von Weihbischof Pero Sudar 1996 in Limburg wurde beschlossen, beim Projekt des Erzbistums Sarajevo "Haus für Gott - Häuser für die Menschen" mitzuarbeiten. Es war an 15 Pfarreien in Bosnien gedacht, die eventuell in Kooperation von Kirchengemeinden in unserem Bistum beim Wiederaufbau gefördert werden sollten. Daß diese Angelegenheit nicht richtig weiter ging, hatte verschiedene Gründe. Die Probleme waren komplexer als ursprünglich vorauszusehen. Anfang 1997 übernahm dann der Verfasser des Artikels gemeinsam mit dem Leiter der Pressestelle in Limburg die Aufgabe, dieses Projekt weiter zu moderieren unter Begleitung einer Projektgruppe. Die Mittel für dieses und andere Projekte sollten vor allem aus den Projektmitteln Dritte Welt, aus Spenden und einer Sonderkollekte im September 1997 fließen. 

Diese Projektgruppe, zu der die Referenten aus dem Bereich Mission und der persönliche Referent des Bischofs gehören, begleitet die Arbeit regelmäßig. Vor allem veranlaßte sie auch eine umfangreiche Werbung für das zu leistende Aufbauprojekt, "Partner für den Frieden" genannt, in den Pfarreien. In der Gruppe wurde eine Liste der von Sarajevo vorgeschlagenen Pfarreien mit Renovabis abgestimmt und zwei Pfarreien vorerst als mögliche Partner ausgewählt, nämlich Ovcarero und Dobretici. 

Die erste Fahrt nach Bosnien fand vom 31. März bis 2. April 1997 statt; weitere folgten. Insgesamt wurde zwei Pfarreien intensiv und fünf anderen mit Zuschüssen geholfen. Die Hilfe in größerem Umfang ging in die weiter unten beschriebenen zwei Pfarrprojekte. Die folgende Darstellung lehnt sich eng an vorhandene Protokolle an. 

Ich fahre mit Anto Jelic nach Ovcarero. Dort zeigt sich, daß vor allem Dachsanierungen bei den Kirchengebäuden notwendig sind, ein Betrag von 50.000 DM könnte hier schon weiterhelfen (in diesem Teil Bosniens ist die DM die faktische Währung). Die übrigen Arbeiten müßten in Selbsthilfe weitergeführt werden. 

Nach Dobretici kommen wir wegen des Wintereinbruchs überhaupt nicht. Dort sind die Verhältnisse ähnlich wie in Ovcarero. Es sind einige Sanierungsarbeiten notwendig, dann kann dort wieder notdürftig gearbeitet werden. Auch hier sollen DM 50.000 zur Verfügung gestellt werden. 

Wir besuchen Kupres und zwei weitere Pfarreien in der Umgebung an. Hier haben die Serben die Kirchen gesprengt. Wir besuchen ein Massengrab. Die Pfarrei in Kupres arbeitet inzwischen wieder in einer Notkirche, 3000 der ehemals 5000 Katholiken sind wieder da. In einer Nachbarpfarrei engagiert sich ein italienisches Bistum. 

Danach besuchen wir noch die Pfarreien Skopaljska Gracanica und Potkraj. Im abschließenden Gespräch in Sarajevo wird im Bischofshaus zwischen Kardinal Puljic und Bischof Kamphaus (weitere Anwesende Weihbischof Sudar, Pfarrer Anto Jelic, Dr. Ernst Leuninger) geklärt, daß Ovcarero und Dobretici wie vorgesehen eine Hilfe erhalten, wir uns aber vor allem beim Wiederaufbau von Skopaljska Gracanica und Potkraj engagieren. Potkraj soll hier als Beispiel aufgeführt werden. 

Die Pfarrei Potkraj wurde besucht. Der Zustand wurde aus Sarajevo wie folgt beschrieben: "Pfarrei Potkraj, Dekanat Travnik. 

Travnik ist eine Stadt in Mittelbosnien, die zur Zeit der Osmanen entstanden ist. In Travnik regierte lange Zeit der Vesir und es gab auch konsularische Vertretungen aus vielen europäischen Ländern. In der Stadt übte der Kadi seine Gerichtsbarkeit gemäß der Scharia aus. Travnik liegt am Ufer des kleinen Flusses Lasva in einem sehr engen Tal. Auch zur Zeit der österreichischen Monarchie konnte sich hier keine Industrie und keine größere Wirtschaft entwickeln. Erst zwischen den beiden Weltkriegen sind in der Stadt doch noch ein paar Fabriken entstanden. Hier gab es seit langem auch eine große Kaserne. Die Region ist stark bewaldet. In letzter Zeit hat sich im nahegelegenen Vlasic-Gebirge Wintertourismus entwickelt. Aus der Bevölkerungszählung von 1991 ersieht man, daß es auf dem Gemeindegebiet von insgesamt 70.747 Einwohnern 26.118 Kroaten, 31.813 Moslems, 7.777 Serben und etwa 5.000 "Restliche" gab. In der Stadt gab es eine große moslemische Mehrheit, doch gab es in der Umgebung von Travnik viele rein kroatisch-katholische Dörfer. Das Dekanat zählt vierzehn Pfarreien. 

Die Pfarrei Potkraj befindet sich auf den Ablegern des Vlasic-Gebirges auf dem Gebiet der Gemeinde Travnik. Die Bevölkerung arbeitet in der Land- und Viehwirtschaft (hier wird der bekannte Vlasic-Käse hergestellt). Ein großer Teil der Bevölkerung arbeitet auch in Fabriken. Viele Pfarrangehörige arbeiten in Kroatien und in Deutschland. 

Die Pfarrei wurde 1879 gegründet. 1914 wurden die schöne Kirche der Hl. Anna und eine geräumige Pfarrwohnung gebaut. Beide Objekte wurden zwischen den Weltkriegen grundlegend renoviert. Damals wurde auch ein großer Pfarrsaal erbaut. Aus dem Pfarrgebiet stammen viele Priester und Ordensschwestern. 1991 zählte die Pfarrei 1.991 Katholiken. 

Ein Teil des Pfarrgebietes wurde von den Serben aus dem Vlasic-Gebirge eingenommen, da dieser Teil nahe ihrer Stellung lag. Der Rest des Pfarrgebietes und der Kommunikationsweg im Lasva-Tal blieben verschont. Innerhalb der Pfarrei befand sich die ganze Zeit über die Kriegsfront zwischen Serben und Moslems. Als die Serben 1995 gezwungen wurden sich zurückzuziehen, fiel das ganze Gebiet unter die Kontrolle der Armee Bosnien-Herzegowinas (Moslemische Streitkräfte). 

Die Bevölkerung besucht ihre Pfarrei zahlreich um zu sehen, was zerstört wurde und hat dabei viele Probleme mit den Moslems. Dennoch muß man ihnen helfen. Man müßte das Notwendigste an den Pfarrobjekten reparieren und daraufhin den Menschen helfen ihre Unterkünfte neu aufzubauen. Weiterhin sollte man an eine Grund- und Hauptschule denken, um besonders auch den jungen Familien zu helfen." 

Im April 1997 sind in dieser Pfarrei fast alle Häuser unbewohnbar. Einige Bewohner fangen schon an zu reparieren. Bisher sind 105 Katholiken zurückgekommen. Das Pfarrhaus ist relativ zerstört, kein Dach, keine Fenster, keine Türen. Daneben ist der Pfarrsaal. Dort hat der Pfarrer notdürftig ein Zimmer eingerichtet. Der Pfarrsaal ist Gottesdienstraum. Bei der Renovierung hat das Bistum Augsburg mitgeholfen. 

Das Kirchendach ist von Granaten getroffen, die Fenster sind zerstört. Es sind Löcher in der Wand, die Kirche ist unbenutzbar, sie müßte saniert werden. Es liegt eine Kostenschätzung vor. Das Pfarrhaus ist innen völlig zerstört, die Fenster sind heraus, die Böden nur noch teilweise notdürftig erhalten, es sind keine Türen mehr da, das ganze Inventar ist verschwunden. 

Es sollen das Pfarrhaus und die Kirche wiederaufgebaut und bei zehn Häusern eine Anschubfinanzierung gegeben werden. Der Betrag könnte an ein halbe Million DM kommen. Bei zwei Familien kann die Arbeit sofort beginnen. Auch bei der Kirche und Pfarrhaus kann begonnen werden. Ein Problem ist, daß Strom- und Wasserleitung nicht funktionieren. 

Beim Besuch im Mai wird gerade das Dach des Pfarrhauses gedeckt. Viele Männer aus der Umgebung haben durch diese Arbeiten ein Einkommen. Sonst gibt es zur Zeit keine Arbeit. Die Arbeiten an der Kirche verzögern sich, da durch ein Granate die Statik gelitten hat. Das Pfarrhaus könnte im September fertig sein, die Kirche Ende November 1997. Es kommt eine dritte Familie dazu, die auch einen Zuschuß erhält. 

In nahezu jeder Familie ist wenigstens ein Kriegsopfer zu beklagen. Die Felder sind weithin noch vermint, die Schule deshalb auch noch nicht geöffnet. Für weitere sieben Familien soll der Pfarrer dem Ordinariat Sarajevo Vorschläge unterbreiten, dort wird dann entschieden. 

Beim Besuch im September in Potkraj warteten schon viele Menschen. Eine ganze Reihe von Leuten wollten auch Unterstützung für den Wiederaufbau haben. Anscheinend hat sich unser Engagement herumgesprochen, und die Menschen möchten ihre Häuser renovieren. 

Wir besichtigen eine Reihe der Häuser, die in Renovation sind. Es wird intensiv gearbeitet. Die Atmosphäre in Potkraj ist etwas gedämpft wegen der zwei Meuchelmorde einige Tage zuvor an Kroaten, die abends beim Abendessen durch das Fenster erschossen wurden. Dies geschah in Turbe, der Stadt, zu der Potkraj gehört. 

Die zehn im Ausbau befindlichen Häuser werden kurz besichtigt. Überall regt sich in der Zerstörung Leben. Die Menschen möchten zurück. 

Das Pfarrhaus ist bewohnbar,.außen und innen soweit fertig. Bezogen sind zwei Räume. In der Küche ist noch kein Wasseranschluß vorhanden. Es fehlen auch die weiteren Möbel. 

Die Kirche ist im Bau, die Kirchturmspitze ist soweit fertig. Das Dach wird mit Biberschwänzen gedeckt, die Sparren sind schon verlegt. Der Betonkranz zur Sicherung der Statik der Kirche ist geschaffen. Sie könnte meiner Schätzung nach tatsächlich Ende November 1997 fertig sein. 

Es fand ein Gespräch im Pfarrhaus mit dem Pfarrer statt. Die Stadt verweigert den Stromanschluß. Sie sagt, das wäre zu gefährlich wegen der Minen. Dies ist natürlich ein vorgeschobenes Argument. Wir sind wie folgt verblieben: der Pfarrer schreibt erneut der Stadt, daß sie diese Arbeiten selbst machen und zum großen Teil auch das Material selbst finanzieren werden. Die Stadt sollte bitte die Genehmigung dazu erteilen. Hat dieses keinen Erfolg, so müssen Wege über die Politik gesucht werden. An der Stromleitung hängt auch die Wasserversorgung. 

Der Finanzierungsplan wird eingehalten. 

Beim Besuch im Dezember feiere ich mit der Gemeinde in Potkraj um 11 Uhr den Sonntagsgottesdienst. Die Gemeinde hat etwa 150 Gläubige. 90 bis 120 sind zur Zeit die Gottesdienstbesucher. Der Gottesdienst findet noch im Pfarrsaal statt. Ich spreche ein Grußwort für die Gemeinde. Anschließend schauen wir uns die Kirche an. Die Kirche soll am 21. Dezember 1997 vom Kardinal wieder in Benutzung genommen werden. Bis dahin muß noch der Altar, der Fußboden und der Innenanstrich gemacht werden. Der anwesende Baumeister verspricht, daß dies geschehen kann. Es ist wieder ein Meuchelmord an einem Kroaten geschehen. Die Menschen halten sich zum Schutz Hunde; der Hund des Pfarrers ist kurz vor dem Mord gestohlen worden. 

Die Kinder werden mit einem VW-Bus privat in die Schule gebracht. Ich lasse von einer Spende 1.000,- DM dort einsetzen. Pfarrer Jelic wird sie für Busfahrten nach Potkraj transferieren. 

Im Pfarrhaus findet ein Gespräch statt: Jelic, Pfarrer und Leuninger. Es geht vor allem auch um den Elektroanschluß. Inzwischen nennt die Gemeinde einen Betrag von 140.000 DM. Sie hätten kein Geld. Das stimmt, aber der Preis scheint auch politisch zu sein. Weitere Verhandlungen sollen folgen. 

Am vierten Advent 1997 erfolgte die feierliche Wiedereinweihung der Kirche. Damit ist die Hilfe des Bistums Limburg für das Projekt Potkraj abgeschlossen. Ein partnerschaftlicher Schritt für den Frieden wurde gegangen, viele weitere sind notwendig, besonders solche, die die Einstellung der Machthaber verändern und die Herzen erneuern. Das zeigt sich auch in Potkraj. 

Inzwischen wurden oder werden weitere Projekte durchgeführt in: 

Glavice 

Turic 

Gradradac 

Ulice 

In einer weiteren Pfarrei wurde das Pfarrhaus wieder bezugsfähig gemacht. 
 
 

4. Die Einweihung der Kirche von Potkraj

Von der Wiedereinweihung der Kirche in Potkraj am vierten Adventssonntag 1997 liegt folgender Bericht von Pfarrer Don Anto Jelic aus Sarajevo vor: "Heute war ich in Potkraj. Unser Kardinal Vinko Puljic hat die neu renovierte Pfarrkirche geweiht. Bei der Heiligen Messe waren neben dem Pfarrer Zeljko Cuturic noch 12 andere Priester und 2 Diakone anwesend. Der Kirchenchor aus Travnik hat bei der Messe gesungen. Die Kirche war ganz voll, es standen die Menschen noch draußen. Wir schätzen die Zahl der Gläubigen auf 1000. Es waren wohl nicht alle aus der Pfarrei Potkraj, sondern auch aus den anderen Nachbarpfarreien. Viele Vertriebenen aus Potkraj waren auch dabei. Es war auch eine Taufe. Es ist die erste Taufe in der neu renovierten Kirche gewesen. Da getaufte Mädchen heißt Antonela. Kardinal Puljic hat in seiner Ansprache herzlich der Diözese Limburg und allen Wohltätern aus dieser Diözese gedankt. Er hat betont, daß ohne Ihre großzügige Hilfe und Sorge weder die Kirche, noch das Pfarrhaus, noch die 10 Familienhäusern renoviert wären. Es ist sicherlich das größte Weihnachtsgeschenk für unsere Diözese allgemein und für die Pfarrei Potkraj insbesondere. 

Er hat sich kritisch geäußert gegenüber den lokalen Kommunal- und Kantonalbehörden, die es nicht tot notwendig erachtet hatten, die benötigte Infrastruktur für die Rückkehr zu schaffen; wie z.B. Strom und Wasserleitungen. 

Der Kardinal betonte die Notwendigkeit den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen. Der leidgeprüfte Mensch muß unsere prioritäre pastorale und seelsorgerische Aufgabe sein. Die Heilung der seelischen Wunden braucht Zeit und Menschen, die sich dieser Aufgabe stellen." 

So langsam kommt das Erzbistum und die dort wohnenden Menschen wieder in eine gewisse erste Normalität nach dem Krieg. Es bleibt aber noch viel zu tun, denn zuviel war zerstört und muß noch wiederaufgebaut werden. Noch längst sind die Wunden in den Herzen nicht vernarbt. 
 
 

5. Projekt "Guter Hirt"

Der Bosnien-Beauftragte des Bistums Limburg hat die Aktion "Guter Hirte-Schafe für Bosnien", ins Leben gerufen. Menschen in den Bergdörfern in Bosnien sollen eine Existenzgrundlage erhalten, indem sie mit Milchschafen ausgestattet werden. Die Kosten für ein Mutterschaf betragen DM 250,00. Unser Ziel ist es, so viele Mutterschafe wie möglich zu finanzieren. Partnerogansiation in Bosnien ist eine dortige karitative Gesellschaft. 
 

Aktionsbeschreibung 

Prof. Dr. Ernst Leuninger, Bosnien-Kosovo-Beauftragter des Bischofs von Limburg 

Das Projekt "Guter Hirte" – Schafe für Bosnien (1998)

Aktion I

Es gibt viele Dörfer in Bosnien, vor allem in den Bergen – und das Land ist sehr gebirgig – die deshalb auch angesichts der noch vorhandenen Verminung, keine Chance haben. Hier möchten wir eine Entwicklung fördern. Es ist daran gedacht, die Menschen in den Dörfern mit Milchschafen auszustatten. Damit sind Milch, Butter und Käse, die sehr teuer sind, gewährleistet. Dazu kommen noch Fleisch und Wolle. Es ist eine basisorientierte Aktion, oder wie es in englisch heißt, eine "grassroot (Graswurzel) action" im wahrsten Sinne des Wortes. Der Bosnienbeauftragte der Bundesregierung Koschnik hält dies, so wurde es in einem Gespräch in Limburg deutlich, auch für einen guten Ansatz.  Inzwischen sind über 320 Schafe gespendet und viele davon schon in Bosnien gekauft und den Familien übergeben.

Das Pro-Kopf-Einkommen liegt unter 300,00 DM. Die Preise sind eher höher als bei uns, DM ist die größte Verrechnungseinheit. Die Arbeitslosigkeit liegt auf dem Land oft bei 90 – 100%; in den großen Städten ist es besser. 

Jede Familie soll 10 Muttertiere erhalten. Innerhalb von fünf Jahren wären diese zu bezahlen durch die Weitergabe von 10 Mutterlämmern an eine andere Familie. Damit könnten die Familien eine eigene kleine Herde aufbauen und sich selbst unmittelbar helfen. Menschen werden bewegt, wieder in ihr Land zurückzukehren. "Die Herde des Volkes wird wieder gesammelt." 

Diese Idee wurde angesichts eine Bosnienreise von dem Finanzdezernenten des Erzbistums Sarajevo und dem Unterzeichneten entwickelt. Die Aktion wird in Deutschland von dem Unterzeichneten begleitet und das Geld in seiner Verantwortung nach Bosnien transferiert. In Bosnien übernimmt die Trägerschaft ein bestehender karitativer Verein, der sich durch viele Aktivitäten als sehr verläßlich herausgestellt hat. 

Hintergrundinformationen 

Schon in den Zeiten der kriegerischen Auseinandersetzungen war unser Bischof verschiedentlich in Sarajevo. Es kam zu Gegenbesuchen von Kardinal Puljic und Weihbischof Sudar. Vom Bistum wurde der Aufbau der Schulen für Europa gefördert und eingeladen, über Spenden für die Erneuerung von Dächern und Fenstern beizutragen. So entstand dann auch der Gedanke beim Aufbau intensiver mitzuhelfen. Ostern 1997 fuhr deshalb der Bischof mit Ordinariatsrat Ernst Leuninger nach Sarajevo, um dort die Möglichkeiten für weitere Hilfe zu erkunden. 

In Bosnien soll Frieden werden. Das ist nach den erfolgten Auseinandersetzungen nicht leicht. Jahrhunderte haben die unterschiedlichen Konfessionen zusammengelebt. Nun soll dies alles nicht mehr gehen. Die führenden Nationalpolitiker im ehemaligen Jugoslawien wollen noch über den Umweg der Rückführung von Flüchtlingen die sogenannte ethnische Säuberung vollenden, indem sie die Menschen dorthin schicken, wo andere vertrieben wurden. Der Friedensschluß von Dayton sieht vor, dass jeder in gesicherte Verhältnisse in seine Heimat und in sein Eigentum zurückkehren kann. Das wollen auch die Bischöfe von Bosnien. 
 
 

Bosnien hatte vor dem Krieg etwa 4,4 Millionen Einwohner. Die ethnische Zusammensetzung des Landes bestand 1991 aus ca. 1,9 Millionen Moslime, 1,4 Millionen Serben, 780 000 Kroaten und noch gut 200 000 Angehörige anderer Gruppen. Es gab nach dem Krieg etwa 2 Millionen Flüchtlinge, davon 700 000 bis eine Million Binnnenflüchtlinge. Wirtschaft und Landwirtschaft waren weithin zerstört, das Land mit 3-8 Millionen Minen vermint. Vermutlich über 50% des Wohnungsbestandes zerstört. 

Das Erzbistum Sarajevo führt eine Aktion durch, "Haus Gottes-Häuser für die Menschen." Es sollen kirchliche Räume aufgebaut werden, zugleich aber auch beim Wiederaufbau von Häusern geholfen werden. Es hat sich gezeigt, dass wenn sich um die Kirche etwas tut und der Pfarrer zurückkehrt, auch langsam die Menschen kommen. Das Bistum Limburg beteiligte sich daran bei den Pfarreien Podkraj und Gracanica. Diese Dörfer sind inzwischen in einem guten Wiederbelebungsprozeß, es fehlen nur oft die landwirtschaftlichen Aktivitäten. Diese Aktion wurde in Glavice fortgesetzt und zur Zeit in Ulice begonnen. Dazu kommen eine Reihe anderer Engagements. 

Aktion II

Guter Hirt

Auch die Aktion für Kühe im Kosovo geht weiter, Dort gibt es gute Viehweiden. Für viele kriegsgeschädigte Bauern sind Kühe eine Existenzgrundlage. Die Kühe werden möglichst ortsnahe gekauft und kosten etwa 600-700 ? die Kuh. Die Marktpreise schwanken. Über 120 Kühe sind schon gespendet. 150 hat die Herde, Ziegen sind hinzugekommen. Aus den Kriegs- und Nachkriegsjahren weiß ich noch gut, was es als Existenzgrundlage bedeutet, Kühe im Stall zu haben. Kleinbauern im Kosova bekommen durch unsere Aktion eine Kuh. Sie müssen diese bezahlen durch die Weitergabe von einem Mutterkalb in drei Jahren. Damit setzt sich die Spende fort. 

Aktion Guter Hirt III in Nothgottes eröffnet

Auf der Kirmes in Nothgottes am 6. Juni 2004 der Tagungsstätte des Bistums Limburg in Rüdesheim-Nothgottes, wurde die Aktion Guter Hirt Teil III eröffnet. Initiator dieser Aktion ist wieder der Bosnien-Kosovo-Beauftragte des Bischofs Dr. Ernst Leuninger, der den Festgottesdienst bei dem Weihefest der Kirche von Nothgottes und der Begegnung der Freunde des Hauses Nothgottes leitet. Bei seinem letzten Besuch in Bosnien bat ihn Kardinal Puljic, diese Aktion auch auf Nordbosnien in das Dekanat Derventa auszudehnen; dort wohnten vor dem Krieg 45.000 Menschen, jetzt sind es noch 500. Dreihundert Familien haben schon ihre Bereitschaft erklärt zurückzukehren, wenn sie mit Schafen oder Ziegen eine Existenzgrundlage hätten. Dafür wurde in Nothgottes geworben. 450 Schafe (ca. 100-130 Euro das Tier) von etwa 3000 notwendigen wurden schon gekauft.

 Dr. Ernst Leuninger   14.5.04